Hintergründe zum Thesenanschlag vom 31.10.1517 Ein Wertpapier namens Hoffnung, eine Währung namens Angst
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Ein Regionalpolitiker aus Brandenburg namens Albrecht, der an Ämtern und Ehren nicht genug bekommen konnte, ein Banker namens Jakob Fugger, der die Ambitionen der Mächtigen zu finanzieren wusste und Papst Leo X., korrupter Pate in der Kirchenzentrale in Rom – das Handeln dieser Dreierbande löste aus, was die Reformation werden sollte.

Albrecht von Brandenburg (1490-1545) brachte die Lawine ins Rollen. Mit Magdeburg und Halberstadt hatte er schon zwei Bistümer, letzteres als "Administrator". Und er wollte noch ein drittes: Mainz, das größte Bistum des deutschen Reiches, das sich bis nach Erfurt hinzog und ihm die Kurfürstenwürde einbringen sollte. Diese Ämterhäufung war unzulässig. Doch damals war allgemein bekannt: Für jedes römische Gesetz gibt es eine Ausnahme – wenn man zahlen konnte. Albrecht sollte insgesamt etwa 26.143 Dukaten für Dispens und Bischofswürde für Rom aufbringen – mehrere hundert Handwerker-Jahresgehälter – dann würde er das Bistum Mainz bekommen.
Der Petersablass: Die Kirche als Seelenverkäufer
Doch woher sollte Albrecht diese enorme Summe nehmen? Als besessener Kunst- und Reliquiensammler war er notorisch klamm. Hier kam der Bankier Jakob Fugger (1459-1525) ins Spiel, der bereit war, das Geld vorzuschießen. Zwischen Albrecht, Jakob und Papst Leo (1475-1521) wurde also folgender Deal geschlossen: Albrecht sollte in seinen Bistümern für acht Jahre den sogenannten Petersablass vertreiben. Die Einnahmen daraus wurden auf 50.000 Dukaten geschätzt. Die Hälfte davon sollte Fugger als Schuldendienst für Albrecht erhalten, den Rest der Papst – offiziell für den Aufbau des Petersdoms. Ansonsten galt wie heute: Diskretion bitte!
In den Jahrzehnten zuvor hatte es mehrere große Ablässe gegeben. Gegen eine Kaufsumme erwarb der Gläubige Ablasszettel, dafür wurden ihm Bußstrafen im Fegefeuer erlassen. Der Markt für Ablässe war bald gesättigt: Irgendwann hatten alle Gläubigen ihren Ablassbrief. Um den Markt wieder zu beleben, wandte die Kirche folgenden Trick an: Die Wirkung eines beendeten Ablasses wurde durch die Kirche für mehrere Jahre ausgesetzt. Quasi wurde der Kurs der Ablassaktie damit auf Null gesetzt. Das sollte Nachfrage für den nächsten Ablass schaffen – und war nichts anderes als Betrug an den Gläubigen. Entsprechend ausgeprägt war Anfang des 16. Jahrhunderts der Unmut über die Ablasspraxis.
Beim Petersablass des Jahres 1517 ging es um viel Geld, entsprechend aggressiv wurde er vertrieben. Der Dominikanermönch Johannes Tetzel war bekanntlich der "Vermarkter" dieses Ablasses und seiner "Wertpapiere" – vor allem der Beichtbriefe. Beim Petersablass konnte der Gläubige nach dem Erwerb seines Beichtbriefes diesen bei einem Priester seiner Wahl und ohne Beichte zweimal einlösen: Einmal bei aktuellem Bedarf und einmal in seiner Todesstunde. Auch war es möglich, Ablassbriefe für bereits Verstorbene zu erwerben, um deren Leiden im Fegefeuer zu verkürzen – für die Kirche eine zusätzliche Einnahmequelle.
Luthers Thesen
Luther beschäftigte sich seit Anfang 1517 mit der Ablasspraxis, brauchte aber ein halbes Jahr, bis er seinen Unmut öffentlich machte. Er war zu dieser Zeit kaum ein Mann der Öffentlichkeit, schon gar kein erfahrener Publizist. Und eines musste ihm klar gewesen sein: Dass es riskant war, den Ablass und damit ein wichtiges Finanzierungsinstrument der Kirche in Frage zu stellen. Im Oktober war er dann so weit und veröffentlichte seine 95 Thesen.
Brisant an Luthers Thesen waren mehrere Aspekte. Zum einen hatte der Mönch Luther ein völlig anderes Verständnis von Buße und Sünde als die Ablassprediger: Buße war für ihn ein fortgesetztes Streben des Gläubigen nach Besserung, ein lebenslanges Ringen des Sünders, um mit seinem Gott ins Reine zu kommen. Buße war eben kein rein formaler, schon gar kein finanzieller Akt. Auch sah er die Gläubigen durch die Ablasspraxis in die Irre geführt: So redeten die Ablassprediger ihren Kunden ein, der Ablasserwerb sei nötig. Luther widersprach:
Jeder Christ, der wahrhaft Reue empfindet, hat vollkommenen Erlass von Strafe und Schuld, auch ohne Ablassbriefe.
Schließlich ging es ihm um die Kompetenzen des Papstes und um dessen Geldgier. Er fragte: "Warum baut der Papst, dessen Reichtum heute größer ist als der der reichsten Reichen, nicht wenigstens die eine Peterskirche von seinem eigenen Geld als von dem der armen Gläubigen?" (These 86)
Den Nerv der Zeit getroffen
Luther schickte seine Thesen mit einem ausführlichen Begleitbrief an Albrecht von Brandenburg, den höchsten geistlichen Würdenträger des Deutschen Reiches. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Luther nicht wollte, dass seine Ideen im kirchlichen Getriebe stecken blieben. Er sah seine Kirche in Gefahr und wollte Wirkung erzielen.
Weiter fanden die Thesen schnelle Verbreitung im ganzen Reich. Bald entstanden Nachdrucke in Nürnberg, Leipzig und Basel. Übersetzungen wurden gefertigt. Erasmus von Rotterdam schickte ein Exemplar nach England zu Thomas Morus. Luther hatte den Nerv der Zeit getroffen. Mit seinen Thesen sprach er ein brisantes Thema an, das in allen Gesellschaftsschichten, sogar auf den Reichstagen seit Jahrzehnten diskutiert wurde: Die überfällige Reform der Kirche an Haupt und Gliedern.
Der dominikanische Ablassprediger Tetzel sah jetzt das Ablassgeschäft und damit seinen lukrativen Job in Gefahr. Er reagierte prompt und veröffentlichte 106 Gegenthesen zu Luther: Es entstand Gegen-Öffentlichkeit. Mehr noch: Luther war von katholischer Seite, gar von einem Dominikaner, dem Orden der Inquisitoren, angezählt worden. Er reagierte schnell und zeigte sein Medientalent: Der "Sermon von Ablass und Gnade" erschien im Frühjahr 1518. Auf wenigen Seiten in 20 meist knappen Absätzen erklärte er die Hintergründe seiner Thesen und seiner Zweifel am Ablasswesen. Und er tat es für den gebildeten Laien und deshalb schrieb er auf Deutsch – damals absolut ungewöhnlich für einen theologischen Stoff. Der "Sermon von Ablass und Gnade" wurde ein Riesenerfolg, wurde wieder und wieder aufgelegt. In den nächsten fünf Jahren sollte Luther etwa 150 Schriften veröffentlichen, darunter die Reformatorischen Hauptschriften. Sein Ruhm wuchs von Monat zu Monat.
Im Frühjahr 1518 hatte Albrecht von Brandenburg die Thesen längst nach Rom geschickt. Dort wurde der Ketzer-Prozess gegen Luther vorbereitet. Doch Luther hatte eine Waffe entdeckt, die zu seinem Schutz nutzen konnte: Die öffentliche Meinung im Deutschen Reich.