Reformationsorte in Mitteldeutschland: Mansfeld "Ich bin ein Mansfeldisch Kind"
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Erstmals urkundlich erwähnt wurde Mansfeld in einem Vertrag zwischen dem Erzbischof von Magdeburg und dem Abt von Fulda 973. In Anwesenheit Kaiser Ottos II. (955-983) wurde festgelegt, dass die bis dahin selbstständigen Nachbarstädte Mansfeld und Leimbach zum neuen Erzbistum Magdeburg gehören. Die sehr alte Burg Mansfeld war Stammsitz der Grafen von Mansfeld. Sie wurde nach der Erbteilung im Jahr 1501, als Luther sein Studium in Erfurt begann, zu einer der stärksten Festungsanlagen der Zeit ausgebaut.
Die Entwicklung in und um Mansfeld war im Mittelalter vom Kupfer- und Silberbergbau bestimmt. Sie begann in dieser Gegend schon um 1200 bei Hettstedt. Jährlich wurden aus der Region bis 40.000 Zentner Kupfer und beträchtliche Mengen Silber nach fast ganz Europa transportiert. Die Kreuzhütte bei Leimbach wird schon 1469 erwähnt.
Luthers Vater, der sich noch Hans Luder schrieb, zog mit seiner Familie im Jahr nach der Geburt seines Sohnes Martin nach Mansfeld. Dass er als einfacher Bauernsohn und Bergmann nach Mansfeld kam, ist eine lang gepflegte Mär. Er war Unternehmer, die Familie begütert, und Martin wuchs unter guten Umständen auf, die weit oberhalb des damaligen Durchschnitts lagen.
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Die Arme-Leute-Herkunft ist reine Legende
An der "Arme-Leute-Legende" hat Martin Luther selbst, das muss leider vermerkt werden, kräftig mitgestrickt. So sagte er in seinen späteren Tischreden: "Darnach ist mein vater gegen Mansfelt getzogen vnd doselbes ein bergkheuer worden." Oder: "Mein Vater, als ich heranwuchs, ist er ein armer hewr gewesen. Die mutter hatt al yhr holtz auff den rucken eingetragen."
In Wahrheit stammte der Vater aus einer Großbauernfamilie in Möhra, die auch eine Kupferschiefergrube betrieb. Seine Frau Margarethe Lindemann kam aus einem Eisenacher Bürgerhaus; die Brüder waren gebildete Juristen. Sie verfügte außerdem über Verbindungen zur gräflichen Bergwerksverwaltung im Mansfeldischen. Ein Onkel war oberster Bergwerk- und Hüttenverwalter. Hans Luder wurde Hüttenmeister.
Martin war wahrscheinlich das zweite Kind seiner Mutter, doch das erste, das überlebte. Wie viele Kinder sie gebar, wissen wir nicht, die Historiker vermuten neun. Bekannt sind neben Martin vier Mädchen und Bruder Jakob, der später das Unternehmen des Vaters weiterführte; dazu die Brüder Veit und Heintz. Die Kinder heirateten in die eingesessenen einflussreichen Mansfelder Familien ein, oder besser gesagt: Sie wurden nach den Maßstäben der damaligen Zeit eingeheiratet. Martin sollte nach dem Willen seines Vaters Jurist werden. Aber es kam anders.
Nach ein paar Jahren war Vater Luder ein angesehener Mann in Mansfeld. Er besaß drei Kupferschmelzen und 80 Hektar Land. Außerdem verlieh er Geld gegen fünf Prozent Zinsen; das war gerade so viel, wie es die Kirche noch erlaubte. 1492 wurde er Vierherr. Das bedeutete, er gehörte zu den "Vieren der Gemeinde", die den Ort in der Stadtversammlung vertraten. Voraussetzung für das Amt war Hauseigentum.
Und Hans Luder hatte inzwischen ein stattliches Anwesen gekauft: 25 Meter Hausfront mit drei Gebäudeteilen, darunter wuchtige Kellergewölbe, ein großer Hof, umfasst von Wirtschaftsgebäuden.
Zum Essen gab es Braten und Singvögel
Das Ende der Legende von den armen Verhältnissen, aus denen Luther kam, besorgten nicht Historiker, sondern Archäologen. Als 2002 Bauarbeiter in Mansfeld auf sehr alte Grundmauern stießen, reagierte das sachsen-anhaltische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle alarmiert. Das Amt vermutete aufgrund von Archivalien, dass die Arbeiter auf die Reste des Anwesens der Familie Luder gestoßen waren – eines Gebäudeteils, der 1805 abgerissen worden war.
Was Archäologen mit Schäufelchen, Sieben und Pinseln zutage förderten, war enorm; insbesondere aus einer über viele Jahre verfüllten Abfallgrube. Sie konnten rekonstruieren, was bei den Luders auf den Tisch gekommen war: Gänsebraten, Hühner- und Entenfleisch, Ferkel, Aal, diverse Fischsorten, auch Seefisch, wie er gesalzen in Fässern gehandelt wurde. Dazu kamen Rebhühner, Tauben und Singvögel, zur Abrundung auch Feigen und Weintrauben.
Entsprechend stellte sich der Hausrat dar: Stangengläser fürs Bier, Becher für den Wein. Zum Schneiden und Zerlegen dienten feine Messer mit Griffen aus Knochen oder Messing. Auch eine Hausapotheke gab es, gefüllt mit Schlafmohn und Johanniskraut.
Der Nachwuchs durfte mit der Kinderarmbrust spielen
Für damalige Zeiten lebten die Luders luxuriös. Butzenscheiben waren schon etwas, was sich nur der Adel oder Patrizier leisten konnten. Teile von Festkleidern mit verzierten Gürteln und Schnallen wurden bei den Ausgrabungen gefunden und aufbereitet. Und jede Menge Münzen.
Im Hof spielte Martin mit Geschwistern oder Nachbarskindern. Die Archäologen fanden Murmeln und Schellen, ein Kegelspiel aus Rinderknochen, einen Pfeifvogel aus Ton und sogar eine Kinderarmbrust. Dafür wurden Martin und seine Geschwister Jakob, Dorothea, Maria und Margarete sicherlich von anderen Kindern beneidet.
Doch das Leben der Luders kannte in ihrer Zeit auch Schattenseiten. Die Pest war ständiger Begleiter und bedrohte das Leben. Offenbar gab es 1505 auch zwei Pesttote im Hause zu beklagen, Martins Brüder Veit und Heintz. Margarethe Luder starb 1529, ihr Mann Hans im Jahr darauf.
Jedes Jahr wird Martins Einschulung nachgespielt
Eisleben, Geburts- und Sterbestadt Martin Luthers, und Wittenberg, Hauptwirkungsort des Reformators, heißen offiziell "Lutherstadt Eisleben" (seit 1946) und "Lutherstadt Wittenberg" (seit 1938). Mansfeld wurde 1996 zur dritten Lutherstadt gekürt, allerdings wird der Namenszusatz als nicht fester Bestandteil der Stadtbezeichnung hintenan gesetzt zu "Mansfeld-Lutherstadt". Auch bei der Vergabe des Titels "UNESCO-Weltkulturerbe" im Jahr 1996 konnte Mansfeld nicht mit Eisleben und Wittenberg gleichziehen.
Doch hat Mansfeld mit dem Luther-Museum und seiner Dauerausstellung "Ich bin ein Mansfeldisch Kind", gleich gegenüber dem restaurierten Elternhaus, ein vorzügliches Museum zu bieten. Es ist das einzige weltweit, das sich besonders den Kindheitsjahren des Reformators widmet. Zu sehen sind unter den rund 230 Exponaten drei tönerne Murmeln, mit denen Martin gespielt haben soll, eine Schulordnung und Keramikteile aus dem Haushalt der Familie.
Vom einstigen großen Komplex des Elternhauses ist heute nur noch ein Drittel erhalten. Die ehemalige Stadtschule erhielt 1893 die Ehrenbezeichnung "Lutherschule". Jährlich wird am 1. Sonnabend nach Ostern Martin Luthers Einschulung nachgespielt und ein Volksfest gefeiert.
Der Luther-Brunnen hebt sich von anderen Denkmalen ab
Während das "Deutsche Reich" in den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts geradezu einen Bauboom an Luther-Denkmalen erlebte, musste Mansfeld bis 1913 auf einen eigenen Luther-Brunnen warten. Dafür hebt er sich in schöner Weise vom üblichen Hier-stehe-ich-Trotzschema der meisten anderen ab. Sein Schöpfer war der aus Merseburg stammende Bildhauer Paul Juckoff (1874-1936).
Drei Bronzetafeln zeigen entscheidende Ereignisse in Luthers Leben: "Hinaus in die Welt" (Abschied des 13-Jährigen aus Mansfeld, darüber die Porträts seiner Eltern nach den Gemälden von Lucas Cranach); "Hinein in den Kampf" (Thesenanschlag 1517 zu Wittenberg) und "Hindurch zum Sieg" (vor dem Kaiser auf dem Reichstag zu Worms 1521). Die Tafeln ergeben im Querschnitt ein Dreieck. Oben auf dem Brunnenbau sitzt auf einem Pferd der Heilige Georg, Schutzpatron der Mansfelder Grafen. In der St. Georg-Kirche ist das Luther-Bild von 1540 zu sehen, das den Reformator in vollem Ornat zeigt.
Von der enormen Bautätigkeit der Grafen zu Mansfeld zeugen die erhaltenen Gebäude wie das Schloss mit der Schlosskirche sowie die Ruinen der weitläufigen Anlagen. Heute wird Schloss Mansfeld als eine Christliche Jugendbildungs- und Begegnungsstätte des Fördervereins "Schloss Mansfeld e.V." genutzt.
Über dieses Thema berichtete auch:
MDR Sachsen-Anhalt Heute | Fernsehen | 27.09.2016 | 19:34 Uhr
MDR Sachsen-Anhalt | Radio | 13.12.2016 | 15:24 Uhr
Wer mehr wissen will ...
Buchtipps:
Franz Kadell: Blicke auf das Alltagsleben Martin Luthers und seiner Zeit, in: Lutherland Sachsen-Anhalt, Halle 2015
Harald Meller (Hrsg.): Fundsache Luther. Archäologen auf den Spuren des Reformators, Halle 2008
Otto Kammer: Reformationsdenkmäler des 19. und 20. Jahrhunderts, Leipzig 2004