Luthers Haltung zu den Bauernaufständen Mit Apostel Paulus zugunsten von Staat und Obrigkeit
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Luthers Predigt von Seeburg wirft ein kontroverses Licht auf den Reformator. Luthers Haltung zu den Bauernaufständen wird von den Historikern sehr unterschiedlich bewertet. Die Autoren Heinz Stade und Thomas A. Seidel – beide Luther und seinem Erbe wohlwollend zugewandt – schreiben in ihrem Buch "Unterwegs zu Luther" zu diesem Thema. Dabei knüpfen sie an die theoretische Schrift "Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" von 1523 an:
"An Martin Luther kann man die Praxis einer doppelten Herrschaftskritik studieren. Zwei folgenschwere Macht-Missverständnisse seiner Zeit nimmt er scharf aufs Korn: die überbordende weltliche Macht geistlicher Würdenträger auf der einen und die Anmaßung weltlicher Machthaber, in Fragen des Glaubens einzugreifen, auf der anderen Seite. In seiner sogenannten Obrigkeitsschrift von 1523 ('Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei') versucht er unter Bezugnahme auf den Apostel Paulus (Römerbrief, Kapitel 13), die seiner Überzeugung nach gottgegebene Aufgabe des Staates zu umreißen."
Die häufig vorgebrachte Kritik 'lutherischer Obrigkeitsfixierung' zahlreicher Protestanten ist dort, wo diese Haltung zu beobachten war oder ist, durchaus angebracht. Der Blick in Luthers Text selbst lässt allerdings eine solche Engführung nicht zu.
"Anwalt für die einfachen gläubigen Menschen"
Mit dem Verweis auf die Bibel kritisiert er die politische, militärische und organisatorisch-äußere Machtausübung der Kurie. Und er sah sich hier durchaus in Übereinstimmung mit seinem inner-reformatorischen Gegenspieler Thomas Müntzer: Das Gewaltmonopol liege allein bei den Fürsten, also beim Staat.
Dieses Gewaltmonopol diene jedoch einzig und allein dem Zweck, äußerlich Frieden zu schaffen und bösen Werken zu wehren. In Fragen des Gewissens und des Glaubens des Einzelnen hat der Staat nichts zu suchen:
"Wo weltliche Gewalt sich vermisst, der Seele Gesetze zu geben, da greift sie Gott in sein Regiment und verfährt und verdirbt die Seelen. Dieser Keim heutiger Glaubens- und Gewissensfreiheit drohte in den schrecklichen Religionskriegen des 17. Jahrhunderts zu ersticken. Über die europäische Aufklärung, die in Deutschland maßgeblich von evangelischen Theologen und Philosophen geprägt wurde, fand diese doppelte Herrschaftskritik in der Trennung von Staat und Kirche auf der einen und mit der Gewährung der Religionsfreiheit auf der anderen Seite Eingang in modernes Recht und gesellschaftspolitische Praxis."
Der Kieler Historiker Hartmut Lehmann kommentierte diese Problematik so: "Den jungen Luther kann man vielleicht als Anwalt für die einfachen gläubigen Menschen ansehen." Mit den Bauernkriegen aber habe sich seine Einstellung zugunsten der Fürsten geändert. Der anfängliche Reformkatholik habe sich seit 1521 zum Anführer einer kirchenpolitischen Partei gewandelt, dem es um die Behauptung gegen die römische Kirche ging. Zum Vorbild tauge Luther nicht: "Seine Person ist zwiespältig, sein Vermächtnis ambivalent."
Buchtipp: Heinz Stade und Thomas A. Seidel: Unterwegs zu Luther, Weimar 2010