Siegmar_Muecke im Gespreach mit einer betreuten Frau
Betreuer Siegmar Mücke im Gespräch Bildrechte: MDR/Mia Media

Reportage vom 18.08.2022 Die Alltagsmanager: Wie gesetzliche Betreuer helfen

06. September 2023, 11:09 Uhr

Schlaganfall, Demenz, ein Unfall – es gibt viele Gründe, im Alltag plötzlich auf einen gesetzlichen Betreuer angewiesen zu sein. In Deutschland sind es 1,3 Millionen Menschen. Tendenz steigend. Doch wie geht das, das Leben eines Fremden zu managen, ohne ihn zu bevormunden? Jana Lindner hat für "Nah dran" Uta von Wilcke und Siegmar Mücke über mehrere Monate begleitet, die genau das versuchen und weit mehr als einen Klienten zu betreuen haben.

Sie sind Lotsen für Menschen, die sonst im Leben untergehen würden. Gründe auf sie angewiesen zu sein, gibt es viele: Verwahrlosung nach Schicksalsschlägen, Krankheit oder Sucht. Gesetzliche Betreuer und Betreuerinnen organisieren den Alltag, begleiten bei Arztbesuchen, sorgen für den Unterhalt, denn sie beschaffen Geld aus den Sozialkassen. Nicht nur die Hilfsbedürftigen, auch die Helfer und Helferinnen erleben dabei oft eine emotionale Achterbahnfahrt.

"Den Menschen ihre Würde zurückgeben"

Beispiel Hausbesuch: Uta von Wilcke aus Halle sitzt bei Susi und ihrem Freund Ekki. Zum wiederholten Mal versucht sie, die 27jährige zu einem Drogenentzug zu motivieren. Außerdem hat Susi einen Kreditvertrag unterschrieben, der schon fast kriminell ist. Betreuerin von Wilcke muss diesem nun widersprechen, um finanziellen Schaden abzuwenden. Sie hat viel Verständnis für Susi, die es schon beim Start ins Leben nicht leicht hatte.

Doch es gibt auch andere Fälle. Wie den eines ehemaligen Werkzeugmachers, der in seinen Fünfzigern durch Schicksalsschläge aus seinem geordneten Leben gerissen wurde. Die Betreuerin fand ihn auf einer Gartenbank lebend im verwilderten Grundstück seines Vaters. Er kam nicht ins Haus, weil er keinen Schlüssel hatte und lebte monatelang auf nur zwei Quadratmetern. Inzwischen ist er im Haus und Uta von Wilcke versucht, ihn "wieder an die Lebensadern anzuschließen". Also an Wasser, Strom und Gas. "Ich möchte den Menschen ihre Würde zurückgeben" fasst die Hallenserin ihren Auftrag zusammen. 

Was ist ein gesetzlicher Betreuer?

Bei der Betreuung handelt es sich um die gesetzliche Vertretung von Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung ihre Angelegenheiten vorübergehend bzw. dauerhaft nicht selbst regeln können.

Zuständig für die Anordnung einer Betreuung ist das Betreuungsgericht als Teil des Amtsgerichts. Jede Person, darunter natürlich auch der Betroffene selbst, kann eine rechtliche Betreuung anregen. Ein formloser Situationsbericht ist ausreichend für die Prüfung. Hilfestellung hierzu geben die Allgemeinen Sozialen Dienste, die örtlichen Betreuungsbehörden, Betreuungsvereine sowie fachkundige Rechtsanwälte.

Liegt eine geistige Erkrankung wie zum Beispiel Demenz vor, kann eine rechtliche Betreuung sogar gegen den Willen des Kranken eingerichtet werden. Für Menschen mit Körperbehinderung, die ihren eigenen Willen vermitteln können, darf eine rechtliche Betreuung nur auf eigenen Antrag hin gestellt werden.

Rechtliche Betreuungen werden zunächst auf ein halbes Jahr begrenzt und danach erneut geprüft. Endgültige Betreuungen werden alle sieben Jahre geprüft. Auf Antrag des Betroffenen oder des Betreuers können rechtliche Betreuungen jederzeit aufgehoben werden.

Das Gericht setzt in den meisten Fällen pflegende Angehörige als Betreuer ein. Findet sich in der Familie niemand für diese ehrenamtliche Aufgabe, bestimmt das Gericht einen Berufsbetreuer. Betreute, die nicht mittellos sind, müssen die Kosten für einen Berufsbetreuer ganz oder teilweise selber tragen, ebenso die Kosten für das Betreuungsverfahren.

Zu den Aufgaben eines Betreuers gehören:

Verwaltung des Vermögens, Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge, Schriftverkehr, Post, Aufenthaltsbestimmung

Bei der Auswahl eines Betreuers hat das Gericht die Wünsche des Betroffenen zu berücksichtigen. Mit einer gültigen Betreuungsverfügung kann daher im Vorfeld festgelegt werden, wer Betreuer werden soll – und wer nicht. Betreuer können Angehörige, Mitarbeiter der Betreuungsbehörden, ehrenamtliche Mitglieder eines Betreuungsvereins oder Rechtsanwälte sein.

Der Betreuer muss jährlich Rechenschaft ablegen und wird vom Gericht kontrolliert, wenn es zum Beispiel um Zahlungseingänge geht. Angehörige oder andere Dritte können Anmerkungen oder Beschwerden einreichen, denen das Gericht nachgehen muss. Bei medizinischen Eingriffen ist der Betreuer verpflichtet, zuvor eine Genehmigung beim Amtsgericht einzuholen.

Die Bestellung eines Betreuers bedeutet im Übrigen nicht, dass der Betreute nicht mehr geschäftsfähig ist. Er kann also auch weiterhin am Rechtsverkehr teilnehmen und zum Beispiel Verträge abschließen. Bei Streitigkeiten muss dann im Einzelfall die Geschäftsunfähigkeit festgestellt werden.

Quelle: pflegenundwohnen.de

"Das Leben wieder lebenswert machen"

Betreuer Siegmar Muecke in seinem Büro in Erfurt
Betreuer Siegmar Mücke in seinem Büro in Erfurt Bildrechte: MDR/Mia Media

Auch Siegmar Mücke ist beruflicher Betreuer. Gleich nach der Wende schulte der gelernte Krankenpfleger um. Seit 1994 betreut er in Erfurt Menschen, die ihr Leben alleine nicht mehr hinkriegen. "Dabei ist keiner wie der andere", jeden einzelnen Fall sieht Mücke als Herausforderung. Wie den des ehemaligen Elektroingenieur Hans-Dieter, der psychisch erkrankte und dem jeglicher Antrieb fehlt. Seine einzige Leidenschaftist es, unötige Technik einzukaufen. Entsprechend zugemüllt ist seine Wohnung. Und aus der will Mücke ihn nun rausholen.

Und auch die ehemalige Hausärztin Karin sperrt sich zunächst gegen seine Hilfe. Die demente Seniorin braucht dringend einen Pflegegrad, Hilfe im Haushalt und beim Einkaufen. All das organisiert Mücke für sie - zunächst gegen ihren Widerstand.

Die Menschen denken oft, dass wir sie entmündigen, dabei ist das nicht der Fall. Wir wollen ihnen das Leben wieder lebenswert machen, wozu sie im Moment einfach nicht in der Lage sind.

Siegmar Mücke Betreuer

Bei einem Zahnarzt löst er gerade seine Praxis mit auf, weil dieser nach einem Burnout nicht mehr dazu in der Lage ist. Siegmar Mücke betreut aber auch Menschen mit geistigen Behinderungen oder verschiedenen Suchterkrankungen. Im Moment versucht er, einer 18jährigen wieder ins Leben zu helfen, die enorme psychische Probleme hat. Dennoch möchte sie endlich einen Schulabschluss machen und in eine eigene Wohnung ziehen.

Viele Klienten, schlechte Bezahlung

Uta von Wilcke beim vor Ort Termin
Uta von Wilcke bei einem Klienten Bildrechte: MDR/Mia Media

Wie ihr Kollege betreut auch Uta von Wilcke etwa 60 Klienten gleichzeitig. Pro Klient und Betreuungsauftrag bekommt sie eine Pauschale. Egal, wie lange sie sich mit diesem Menschen dann beschäftigt, ob er zu Terminen erscheint oder sie ihn mehrfach aufsuchen muss. Egal, wieviele Telefonate vergehen, bis sie einen Arztbesuch für einen Klienten besorgt hat oder wie lange sie mit diesem dann gemeinsam beim Arzt warten muss.

Die ehemalige Journalistin hat sich für diesen Beruf aus Interesse und Engagement entschieden. Sie wollte helfen, etwas bewirken. Doch da sie einen berufsfremden Universitätsabschluss hat, ist sie in der niedrigsten von drei Gehaltsgruppen eingestuft.

Siegmar Mücke hat durch seinen ersten Lehrberuf des Pflegers immerhin die mittlere Stufe erreicht. Auch für ihn ist es eher eine Berufung als ein Job, um reich zu werden. Das kann man zumindest mit den ersten beiden Stufen nicht. Auf Grund der vielen Arbeit bei vergleichsweise schlechter Bezahlung, gibt es laut Mücke auch einen enormen Nachwuchsmangel. Und das, obwohl der Bedarf durch zunehmende psychische Erkrankungen und Überalterung steigt.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 18. August 2022 | 22:40 Uhr