JubiläumDienst ohne Waffe: 60 Jahre Bausoldaten in der DDR
Vor 60 Jahren, am 7. September 1964 erließ der Nationale Verteidigungsrat der DDR eine Verordnung mit Folgen: In der DDR konnten nun, als einzigem sozialistischen Staat, junge Männer einen waffenlosen Wehrdienst leisten – als Bausoldaten. Vor allem die Kirchen hatten darauf gedrängt, dass es jungen Männern ermöglicht wurde, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern.
"Wir haben nur mit Schaufel, Kreuzhacke und Spaten arbeiten dürfen, weil Bausoldaten keine Technik in die Hand bekamen", so berichtet der damalige Bausoldat Andreas Ilse über seine Arbeit Mitte der 1980er-Jahre im Fährhafen Mukran auf Rügen.
Die Bausoldaten wurden vor allem als billige Arbeitskräfte eingesetzt, die auch gesundheitlichen Risiken ausgesetzt waren, erzählt Sebastian Kranich. Er erlebte als Bausoldat den Niedergang der Chemieindustrie in Leuna mit.
Hoher Preis für Ideale
Das Leben der Bausoldaten war mit etlichen Schikanen verbunden: "Wir haben keinen Ausgang bekommen. Wir durften keinen Kontakt zu anderen Soldaten haben“, berichtet Andreas Ilse. Und die Vorgesetzten übten besonders viel Druck auf ihre Untergebenen aus.
Zu den Schikanen zählte auch, dass Bausoldaten mit negativen Folgen für ihre Ausbildung und ihren Beruf rechnen mussten.
Die Kirchen hatten sich von Anfang an dafür eingesetzt, dass es in der DDR eine Alternative zum Kriegsdienst mit der Waffe geben müsse. Es sei nicht allein der Druck der Kirchen gewesen, der die DDR dazu brachte, 1964 den Wehrdienst ohne Waffe zuzulassen, meint der Jenaer Kirchenhistoriker Roland Lehmann.
Propagandistisch konnte der DDR-Staat den Bausoldaten-Dienst national wie international ausnutzen: so konnte das demokratische Legitimationsdefizit wettgemacht und der Bausoldaten-Dienst als Beispiel für sozialistische Demokratie propagiert werden.
Roland Lehmann
Bausoldaten oder doch sozialer Friedensdienst?
Trotz der grundsätzlichen Unterstützung durch die Kirche erwarteten viele Bausoldaten von ihr mehr Engagement, zum Beispiel für die Aktion "Schwerter zu Pflugscharen".
Der ehemalige Bausoldat Sebastian Kranich, heute Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen erinnert sich: "Die Frage ging darum, ob man sich mit den Bausoldaten zufriedengibt, oder ob man nicht doch einen sozialen Friedensdienst einführen möchte. Wir wollten mehr, als nur den Bausoldatendienst verrichten", so Kranich.
Bausoldatentum als Schule der Demokratie
Die meisten der Bausoldaten begründeten ihre Verweigerung mit christlich-pazifistischen Motiven. Fast alle "Spatis", wie die Bausoldaten wegen des Spatensymbols auf der Schulterklappe genannt wurden, verband eine kritische Distanz zur DDR.
Das Bausoldatentum war eine Schule der Demokratie. Was die NVA nicht berücksichtigt hatte war, dass sich nun regimekritische Menschen an einem Ort kennenlernen und vernetzen konnten.
Roland Lehmann
Was die NVA vielleicht nicht im Blick hatte – der Stasi waren die Bausoldaten auf jeden Fall ein Dorn im Auge. Sie empfand die Bausoldaten als "legale Konzentration feindlich-negativer Kräfte" und als "letztes Zugeständnis an den Klassenfeind", so Kranich.
Christlicher Stachel im Fleisch der atheistischen DDR
Als Bausoldat sei man in der Bevölkerung auf manchmal eher heimlich geäußerte Zustimmung gestoßen, meint Andreas Ilse. Auch weil man bereit war, für die eigenen Ideale viel in Kauf zu nehmen.
Insgesamt gab es zwischen 1964 und 1990 rund 15.000 Bausoldaten – keine Massenbewegung, eher ein Stachel im Fleisch des DDR-Systems. Vor allem ein christlicher Stachel: Sebastian Kranich spricht auch von der besonderen Spiritualität auf den Stuben der Bausoldaten.
"Das hat uns getragen, das war ein Zusammenhalt. Es gab Gottesdienste innerhalb der Baueinheiten, obwohl die gesagt hatten, innerhalb der NVA darf man das nicht machen. Aber natürlich haben sich sieben, acht Leute auf die Stube gesetzt, es wurde gesungen, gebetet und jemand hat eine Schriftauslegung gemacht. Das hatte schon was von Untergrund, was wir da praktizierten", berichtet Sebastian Kranich.
Bei den NVA-Soldaten gab es den Brauch, bei den letzten 150 Tagen jeden Tag einen Zentimeter vom Maßband abzuschneiden. Die Bausoldaten hatten ihren eigenen Ritus: Jeden Tag wurde ein Psalm vorgelesen. Vom 150. bis zum ersten Psalm am letzten Tag.
Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 01. September 2024 | 08:15 Uhr