Die Doku jetzt in der Mediathek ansehen Zwischen Recht und Gerechtigkeit: Dresdner Migrations-Anwältin zieht Bilanz
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07. August 2024, 11:49 Uhr
Mehr als 20 Jahre hat Gundula in ihrer Heimatstadt Dresden als Anwältin für Migrationsrecht gearbeitet und für das Bleiberecht von Menschen gekämpft. Sie zahlte persönlich einen hohen Preis und fragt sich heute, was ihr Einsatz bewirkt hat. In der MDR-Doku "Zwischen Recht und Gerechtigkeit" zieht sie Bilanz.
Gundula Brunner hat erschütternde Lebensgeschichten gehört, vor Gericht gegen Vorurteile gestritten, zuhause Familienpflichten als Mutter von zwei Kindern erfüllt und sich zudem ehrenamtlich engagiert. Im Januar 2022 wird ihr alles zu viel. Sie bricht zusammen. Nach dem Burnout zieht sie sich aus ihrer Kanzlei zurück.
Damals weiß sie noch nicht, wie es beruflich für sie weitergeht. Aber sie weiß, dass sie Bilanz ziehen möchte: Was ihr Einsatz gebracht hat? Ob die Frauen und Männer, für die sie gekämpft hat, wirklich angekommen sind in Deutschland?
Gesetze sind nicht gerecht oder ungerecht, mit 'gerecht' und 'ungerecht' argumentiere ich wirklich ungern. Dann müssen wir die ganze Welt auseinander nehmen.
Warum Menschen flüchten: Kinfe aus Äthiopien
Beispielsweise Kinfe aus Äthiopien: Sie ist sechs, als ihre Eltern mit ihr in den Sudan fliehen. Dem armen entbehrungsreichen Leben in Flüchtlingscamps hofft sie, durch eine Ehe zu entkommen. Ein folgenschwerer Irrtum, denn in ihrerer Ehe erlebt sie Gewalt, Missbrauch und Demütigung. Kinfe flieht wieder: Ihren fünfjährigen Sohn nimmt sie mit, eine Freundin begleitet sie. Sie schffen es bis nach Prag. Ein Schleuser bringt sie schließlich bis kurz vor die deutsche Grenze und schickt sie los, den Rest des Weges entlang der Schienen zu gehen. Die Flucht endet dramatisch. Ein Zug erfasst ihr Kind und die Freundin. Beide sterben.
Ihr Glaube habe ihr geholfen, weiterzuleben, sagt Kinfe unter Tränen. Sie ist äthiopisch-orthodoxe Christin, hat wieder geheiratet und eine Familie gegründet. Inzwischen fühlt sie sich zuhause, ist glücklich, hier zu sein, sagt sie Gundula am Ende des langen Gespräches.
"Es ist wie eine erweiterte Familie. Ganz normal"
Nicht nur in ihrem Beruf, auch privat hat Gundula sich alles abverlangt. Und tut es noch. Zuerst hat sie Mujtaba bei sich aufgenommen. Und jetzt, wo er mit Anfang 20 auf eigenen Füßen steht, dessen zwei Brüder aus Afghanistan nach Deutschland geholt. Sie hat Visa für sie erkämpft und versucht, ihnen ein Zuhause zu geben.
"Es ist wie eine erweiterte Familie eigentlich. Ganz normal", sagt Gundula Brunner, während sie mit Mujtaba und ihrem Lebensgefährten Robert in der Küche das Abendbrot bereitet.
Der gesteht, dass er "große Zweifel" an der Unternehmung gehabt habe, auch wegen der Gefahr, die die Flucht aus Afghanistan für die beiden Brüder bedeutete: "Aber Gundula war sehr entschlossen und hat mehr oder weniger ein Dreivierteljahr tagtäglich sich nur um die Sache gekümmert." Er sei nicht sehr überrascht gewesen, dass Gundula ans Ende ihrer Kräfte kam.
Aufwachsen in Dresden-Johannstadt: "Es gab keine sozialen Unterschiede"
Gundulas Motivation, sich für gleiche Chancen einzusetzen, keinen Unterschied zu machen zwischen Menschen, egal woher sie kommen und was sie sind, liegt auch in der Kindheit begründet. In der Dresdner Johannstadt ist sie aufgewachsen, mittendrin im Plattenbau-Viertel:
"Hier war immer ein Kinder-Trupp unterwegs", erzählt sie beim Blick auf die sanierten Fassaden, "wir haben alle zusammen im Hof Verstecken gespielt. Schräg unter uns wohnte ein Arzt, zwei Etagen drüber der Kohlenfahrer. Und eine Etage drunter die alleinstehende Rentnerin. Es war alles gemischt, es gab überhaupt keine sozialen Unterschiede."
Kurz nach der Wende studiert Gundula Jura in Mainz. Sie kommt zurück nach Dresden, nicht wegen der Heimatgefühle, sondern weil sie mit anpacken will: "Es war so eine Aufbruchstimmung. Es war die Lust am Mitmachen oder Mitwirken."
Asylrecht als Lehre aus der deutschen Geschichte
Zweifel hat Gundula nie gehabt. "Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass das falsch ist, was ich mache." Und das sagt sie auch mit Blick auf die Geschichte des Landes, in dem angesichts der explodierenden Zahlen Geflüchteter so hart um Fragen von Obergrenzen und das Recht auf Asyl gerungen wird:
Ich denke, Menschen in ihrer Not zu vertreten, sollte uns allen ein Anliegen sein. Wir wissen nicht, wie es mit unserem Land weitergeht.
Gundula Brunner verweist auf die Tragödien des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf die NS-Zeit, die Verfolgung jüdischer Mitbürger und Andersdenkender und den von Deutschland angefachten Zweiten Weltkrieg: "Wir hatten hier schon die Situation, dass Menschen massenhaft fliehen mussten und dankbar waren über einen Ort, wo sie Hilfe und Aufnahme finden konnten."
Das Migrationsrecht speise sich aus diesen Erfahrungen, betont sie: "Die Genfer Flüchtlingskonvention, dann das Europarecht und eigentlich unser Migrationsrecht – das alles ist das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges. Damit hat das alles angefangen."
(Erstsendung Oktober 2023)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 08. August 2024 | 22:40 Uhr