Welttag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember Inklusion: Behindertenbeauftragter kritisiert Unternehmen und Sonderschulen

Jedes vierte Unternehmen vermeidet es trotz Beschäftigungspflicht, Schwerbehinderte einzustellen. Das kritisierte der Bundesbeauftragte Dusel zum Weltttag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember und forderte Konsequenzen. Zugleich wandte er sich gegen die sofortige Abschaffung der Werkstätten. Hingegen sprach er sich gegen das bestehende System der Sonderschulen aus.

Jürgen Dusel
Der Bundesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel Bildrechte: dpa

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, hat zum Welttag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember Bilanz zum Stand von Barrierefreiheit und Inklusion gezogen.

Ein Viertel der Unternehmen beschäftigt keine Schwerbehinderten

Dabei kritisierte er in einem Interview mit der Berliner tageszeitung, "dass ein Viertel aller beschäftigungspflichtigen Unternehmen keine Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen". Deshalb müsse die sogenannte Ausgleichsabgabe für die Unternehmen verdoppelt werden, die trotz Beschäftigungspflicht keinen Menschen mit Schwerbehinderung einstellen. "Das steht auch im Koalitionsvertrag und bis Ende des Jahres soll es einen entsprechenden Referentenentwurf geben", sagte Dusel mit Blick auf Pläne der Bundesregierung.

Dusel wandte sich außerdem gegen eine sofortige Abschaffung von Werkstätten für Menschen mit Behinderung: Für viele seien sie auch ein Ort sozialer Interaktion. Auf jeden Fall müsse aber über Reformen gesprochen werden, etwa über die Entlohnung und die Frage der Mitbestimmung.

Stichwort: Ausgleichsabgabe

Arbeitgeber mit 20 Mitarbeitern und mehr sind gesetzlich verpflichtet, fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen oder Gleichgestellten zu besetzen. Erfüllen sie diese Quote nicht, müssen sie einen monatlichen Ausgleich an die Integrationsämter zahlen.

In den vergangenen zehn Jahren haben Firmen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen rund 453 Millionen Euro sogenannter Ausgleichsabgabe gezahlt, weil sie nicht ausreichend Menschen mit Behinderung beschäftigen. Das geht aus einer MDR-Umfrage von 2018 unter den zuständigen Ministerien und Behörden hervor.

In Sachsen wurden demnach von Unternehmen zwischen 2008 und 2017 fast 222 Millionen Euro abgeführt, in Sachsen-Anhalt etwa 135 Millionen Euro und in Thüringen rund 96 Millionen Euro.

Was die Beschäftigungsquote behinderter Menschen anbelangt, sind Sachsen-Anhalt und Sachsen die Schlusslichter. In Sachsen-Anhalt wird die Quote zu 3,5 Prozent erfüllt. "In keinem anderen Bundesland ist die Beschäftigungsquote von Schwerbehinderten so niedrig wie in Sachsen-Anhalt. Und das bereits seit Jahren", sagte ein Sprecher der Regionalagentur Sachsen-Anhalt-Thüringen.

Dusel fordert Abschaffung der Sonderschulen

Hingegen sprach er sich für die Abschaffung sogenannter Sonderschulen aus. Es sei richtig, "dass Kinder mit und ohne Behinderung zusammen in die gleiche Schule gehen". Dazu müssten aber Förderschulpädagogen in die Regelschulen kommen, um den Mehrbedarf an Betreuung abzusichern. Das fehle in der Realität immer wieder. So fahre das Thema Inklusion an die Wand.

Welttag der Menschen mit Behinderungen seit 1992

Dass Themen wie Inklusion, barrierefreier Zugang oder selbstbestimmtes Leben seit einigen Jahren in unserer Gesellschaft sichtbarer wurden, ist auch dem Engagement der Vereinten Nationen (UN) zu verdanken. Die UN-Generalversammlung hatte 1992 den 3. Dezember zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen erklärt, um auf die Lebenssituation dieser Menschen aufmerksam zu machen und gleichzeitig deren Teilhabe und Gleichstellung einzufordern.

Fast jeder Zehnte lebt mit einer Behinderung

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten 2019 insgesamt 10,4 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Knapp acht Millionen von ihnen waren schwerbehindert, das ist fast jeder Zehnte der Gesamtbevölkerung.

Verschiedene Institutionen und Verbände setzen sich seit Jahren für die Interessen von Menschen mit Behinderung ein, etwa der Deutsche Behindertenrat, Aktion Mensch, der Sozialverband Deutschland, die Diakonie und die Caritas, der VdK oder der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen.

Gemischte Bilanz

Mehr als ein Jahrzehnt nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es in Deutschland noch immer Defizite in der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben.

So besteht etwa bei der Umsetzung von Inklusion im Bildungsbereich deutlicher Verbesserungsbedarf. Noch immer wird ein barrierefreier Zugang zu Mobilität, Arbeit und Kultur nicht selbstverständlich in der Planung bedacht, vorhandene Barrieren nicht wahrgenommen oder zu langsam abgebaut.

Auch sorgte das Thema Integration in den ersten Arbeitsmarkt und die damit verbundene Debatte um Behinderten-Werkstätten immer wieder für Zündstoff.

In der Corona-Pandemie wurde die Frage nach der Triage intensiv diskutiert. Wer soll versorgt werden, wer muss warten? Künftig soll allein die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erkrankter Menschen den Ausschlag geben, wer bei begrenzten Kapazitäten intensivmedizinisch behandelt wird. Alter oder Behinderung sollen demnach kein Kriterium sein.

Doch es gab auch Veränderungen zum Positiven: Ende 2016 verabschiedete der Bundestag das Bundesteilhabegesetz, das die Teilhabe am Arbeitsleben und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen stärken soll, etwa durch verstärkte Eingliederungshilfe.

Für einen Schritt in Richtung politische Inklusion sorgte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2019: Dort entschied man, dass betreute Menschen nicht länger pauschal von Bundestags- und Europawahlen ausgeschlossen werden dürfen. Nach dem Urteil beschloss der Bundestag die Einführung eines inklusiven Wahlrechts. Von dem Entschluss profitieren hierzulande mehr als 80.000 Menschen.

Vielfältige Initiativen geplant

Den Aktionstag nutzen Organisationen dazu, die Rechte und Anliegen von Menschen mit Behinderungen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und sich für deren selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe einzusetzen. In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto: "Neue Lösungen für eine inklusive Entwicklung: Die Rolle von Innovationen bei der Schaffung einer zugänglichen und gerechten Welt". Es gibt deutschlandweit viele Veranstaltungen. So lud der Deutsche Behindertenrat schon am 2. Dezember 2022 zu einer Online-Veranstaltung unter dem Motto "Ich bin nicht behindert - ich werde behindert" ein.

Die Vereinten Nationen.... ... hatten 1981 erstmals ein Jahr der Behinderten ausgerufen, um auf Menschen mit Behinderung sowie deren Anliegen aufmerksam zu machen. Diese Initiative führte zur Ausrufung des "Jahrzehnts der behinderten Menschen" von 1983 bis 1993. Zum Abschluss der Dekade legte die UNO in einer Resolution fest, den 3. Dezember fortan als "Internationaler Tag der Behinderten" zu begehen, der 2007 in den "Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung" umbenannt wurde.

 

Quelle: MDR, bpb.de

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 03. Dezember 2022 | 09:00 Uhr

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