Interview, Luther-ABC, Podcast zum Wartburg-Experiment 500 Jahre Lutherbibel: Einst Bestseller, heute Buch mit sieben Siegeln?

Nächstenliebe und Judaslohn, Machtwort und Bluthund, Feuertaufe und Herzenslust – nur ein paar der starken Worte, die Martin Luther als Übersetzer der Bibel geschaffen hat. In der Rekordzeit von nur elf Wochen übertrug der vom Papst gebannte und vom Kaiser geächtete Reformator das Neue Testament auf der Wartburg ins Deutsche. Vor genau 500 Jahren wurde das "Septembertestament" veröffentlicht. Ein Jubiläum, das bis 18. September mit einer Festwoche unter dem Motto "Die Kraft der Worte" gefeiert wird. Warum, das haben wir Jochen Birkenmeier, Direktor und Kurator im Lutherhaus Eisenach, gefragt.

Darsteller von Martin Luther schreibt mit Feder in Schreibstube 45 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

MDR Religion und Gesellschaft: Wir feiern 500 Jahre Bibelübersetzung, dabei war der Reformator nicht der Erste, der sich an das Buch der Bücher wagte, oder?

Jochen Birkenmeier, Wissenschaftlicher Leiter und Kurator der Stiftung Lutherhaus Eisenach, steht im Foyer des Lutherhauses.
Jochen Birkenmeier, Direktor der Stiftung Lutherhaus Eisenach Bildrechte: dpa

Jochen Birkenmeier, Direktor der Stiftung Lutherhaus Eisenach: Wir begehen die Vollendung des ersten Teils seines Übersetzungswerks – die Veröffentlichung des Neuen Testaments im September 1522, das deshalb "Septembertestament" genannt wird. Luthers Übersetzung war nicht die erste ins Deutsche, genauer gesagt in einen deutschen Dialekt. Sie unterschied sich aber in zwei wesentlichen Punkten: Zum einen beruhte sie nicht auf der lateinischen Übersetzung der Bibel, der Vulgata, sondern auf den Urtexten. Zum anderen entstand sie in der ausdrücklichen Absicht, allen Gläubigen einen direkten Zugang zur Heiligen Schrift zu ermöglichen und sie zum eigenständigen Lesen der Bibel einzuladen.

Mehr über Jochen Birkenmeier

  • Jochen Birkenmeier, geboren 1973 in Berlin, ist promovierter Historiker.
  • Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt war er Kurator der Dauerausstellung "Luthers letzter Weg" in Luthers Sterbehaus in Eisleben.
  • Seit 2013 ist er wissenschaftlicher Leiter und Kurator der Stiftung Lutherhaus Eisenach und zeichnet für die mittlerweile aktualisierte Dauerausstellung "Luther und die Bibel" verantwortlich, die seit 2015 im sanierten Lutherhaus Eisenach zu sehen.

Historische Bibel aufgeschlagen
Lateinische Bibel: Vulgata von 1450. Darin kannte sich Luther besonders gut aus. Bildrechte: Stiftung Lutherhaus Eisenach / Foto: André Nestler

Frühere Übertragungen waren inoffizielle Fassungen, die meist sehr wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt worden waren. Eine offizielle Version gab es nicht. Die Kirche hatte Sorge, dass theologisch ungebildete Laien den Sinn der Bibel missverstehen könnten und diese Missverständnisse zur Entstehung von Irrlehren, Sekten und Kirchenspaltung führen könnten.

Luther hatte übrigens, wie er später selbst sagte, bevor er 20 Jahre alt war, noch nie eine Bibel zu Gesicht bekommen. Selbst während seines Studiums war es ihm nur zeitweise möglich, einen Blick in die Heilige Schrift zu werfen. Erst nach dem Eintritt ins Erfurter Augustinerkloster hatte er die Möglichkeit, die biblischen Texte komplett und selbständig zu lesen.

Festwoche in Eisenach: "Die Kraft der Worte" | Poetry Slam, Dota Kehr Konzert, Gottesdienst | Bis 18.09. 2022

11. September, 18 Uhr, Festsaal der Wartburg: Eröffnungsveranstaltung - Luthers Testament - Jazz, Tanz und Thesen
Musikalisch werden Luthers berühmteste Choräle in die Welt des Jazz übertragen. Mit dabei sind: Alexander Blume (Piano) Ralf-Uwe Beck (Wort) Sina Rien (Bass) Maximilian Blume (Drums, Gesang) Linda Ahlers (Gesang) Kiki Havemann (Tanz).

14. September, 19 Uhr, Stadtschloss: "Das denkende Herz", ein Musiktheater nach den bewegenden Tagebüchern der Etty Hillesum, Beitrag der ACHAVA-Festspiele.

15. September, 19 Uhr, Georgenkirche: h-Moll-Messe, Johann Sebastian Bach
Thüringer Bach Collegium und sein Vocalconsort
Musikalische Leitung:  Gernot Süßmuth

16. September: An diesem Tag sind besonders Schüler auf den Eisenacher Marktplatz und die Plätze im Umkreis eingeladen. Mit dabei ist der Rapper CRZA ( vormals Doppel-U) mit einem eigens für den Anlass komponierten Rap. Ab 16 Uhr gibt es Poetry-Slam. Mit dabei: Bas Böttcher, Sebastian23 und Überraschungsgäste. Geplant sind Fassadenilluminationen rund um den Marktplatz und am Gebäude des Stadtschlosses, die sich mit der Kraft der Worte auseinandersetzen.

17. September: Stände, Kreativangebote, Aktionen, Open-Air auf dem Marktplatz statt. Mit dabei sind: Samuel Rösch und Dota Kehr mit Band.

18. September: Am Sonntag wird zu einem ökumenischen Gottesdienst mit Landesbischof Friedrich Kramer der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland auf dem Eisenacher Marktplatz eingeladen. Danach gibt es ein großes Markt-Picknick und im Anschluss ein Konzert mit Maybebop, einer der bekanntesten deutschsprachigen A-Cappella-Formationen. Am Nachmittag wird in der Eisenacher Georgenkirche das Oratorium "Messias" von G. F. Haendel zu erleben sein. Ab ca. 18 Uhr klingt das Fest auf der großen Bühne mit dem Romano-Glaszo-Projekt der Achava-Festspiele aus.

Eine historische Bibel 34 min
Bildrechte: Stiftung Lutherhaus Eisenach/André Nestler
34 min

Was ist so besonders an der Lutherbibel? Was halten junge Leute davon? Und was wäre die richtige Bibel für Anfänger und das Heute? Moderation: Julia Hemmerlin. Redaktion: Mechthild Baus.

MDR KULTUR - Das Radio Di 13.09.2022 18:00Uhr 33:51 min

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Wir reden von der Lutherbibel, war der Reformator tatsächlich ganz allein in seinem Schaffensrausch auf der Wartburg?

Mit der Schein-Entführung wollte Kurfürst Friedrich der Weise die Wogen nach Luthers Auftritt auf dem Reichstag in Worms glätten. Die Wartburg war ein abgelegener, bewusst gewählter Zufluchtsort. Aber das bedeutet nicht, dass Luther dort isoliert war. Er stand vielmehr mit seinen Mitstreitern in Wittenberg in regem Briefverkehr und verließ die Burg sogar inkognito, um sich mit ihnen auszutauschen.

475 Jahre Lutherbibel , Sonderausstellung auf der Wartburg
Immer wieder neu: Ein Blick in Luthers Übersetzungsmanuskript Bildrechte: dpa

Insbesondere Philipp Melanchthon hatte Luther gedrängt, die Zeit auf der Wartburg zu nutzen, um das Projekt einer neuen Bibelübersetzung anzugehen. Da Jesus Christus für Luther das Zentrum der Heiligen Schrift und des christlichen Glaubens darstellte, war es ihm wichtig, gerade die Evangelien und die Paulusbriefe – vor allem den Römerbrief zu übertragen.

Also begann er am 18. Dezember 1521 mit dem Neuen Testament. Als er die Wartburg Ende Februar 1522 verließ, hatte er nach nur elf Wochen das vollständige Manuskript im Gepäck. In Wittenberg machte er sich gleich an eine weitere Überarbeitung – mit seinen Mitarbeitern, allen voran Philipp Melanchthon, der – anders als Luther – ein Fachmann für Altgriechisch war.

Die Übersetzung des Alten Testaments ging der Reformator später gleich mit einer ganzen Arbeitsgruppe an, 1934 erschien die vollständige Lutherbibel, die somit eigentlich eine "Reformatorenbibel" ist.

Das Neue Testament von der Wartburg wurde in Wittenberg gedruckt und im September 1522 auf der Leipziger Buchmesse veröffentlicht. Der Autor war vom Papst gebannt und vom Kaiser geächtet: Klingt nach einer spannenden Geheimunternehmung ...

Luther und die Bibel in Eisenach in der Dauerausstellung
Blick in die Dauerausstellung mit Multimedia-Stationen Bildrechte: Stiftung Lutherhaus Eisenach / Foto: Tobias Wille

Luthers Aufenthalt auf der Wartburg war nicht ganz so geheim, wie meist angenommen wird, und auf sächsischem Territorium hatte der kaiserliche Bann aus formalen Gründen auch keine gesetzliche Gültigkeit erlangt. Dennoch wurden die Vorbereitungen für die Drucklegung des "Septembertestaments" sehr vertraulich behandelt – allerdings weniger, um Luther zu schützen, als um Raubdrucke durch andere Buchdrucker zu verhindern.

Korrekturen und Druck waren zeitaufwendig und es blieb lange unklar, ob man rechtzeitig zur Herbstmesse fertig würde. Der Verleger Melchior Lotter ließ deshalb zeitweise auf drei Pressen gleichzeitig drucken, um die zu erwartende Nachfrage zu decken. Die Vermutung, dass die Zeit für eine fundierte Bibelübersetzung reif war, erwies sich als richtig: Obwohl das "Septembertestament" recht teuer und damit nur für eine wohlhabende Käuferschaft erschwinglich war, verkaufte sich die erste Auflage so gut, dass im Dezember 1522 bereits eine zweite Auflage erschien, die als "Dezembertestament" bekannt ist.

Die Nachfrage riss auch danach nicht ab; bis zum Erscheinen der Gesamtausgabe 1534 entwickelte sich Luthers Übersetzung des Neuen Testaments zum Bestseller, der in insgesamt 85 Auflagen erschien. Es gab in den 1520er-Jahren bereits eine große Zahl von Menschen, die lesen und vorlesen konnte. Das galt insbesondere für die Städte, in denen auch das Interesse an reformatorischen Ideen besonders groß war.

Jugendliche stehen am Modell einer historischen Druckerpresse
Modell einer historischen Druckerpresse, die auch funktioniert! Bildrechte: Stiftung Lutherhaus Eisenach / Foto: Sascha Willms

Übersetzen heißt ja auch interpretieren: Wie zeigt sich Luthers Deutung, also seine theologische Sicht?

In der seinerzeit umstrittensten Passage, Römer 3,28: "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben." Er hatte das Wörtchen "allein" eingefügt, um hervorzuheben, dass der Mensch nicht durch eigene Anstrengung und gute Werke vor Gott gerecht wird, sondern vielmehr durch seinen vertrauenden Glauben.

Der Grundsatz "Allein durch den Glauben" (sola fide) wurde zu einem Kennzeichen der Reformation – zusammen mit den anderen "solae", die den Weg zum Seelenheil weisen: allein durch Christus (solus Christus), nicht durch Maria und die Heiligen; allein durch die Heilige Schrift (sola scriptura), nicht durch den Papst oder menschengemachte Vorschriften; allein durch die Gnade Gottes (sola gratia), nicht durch eigene Leistung.

Luthers Gegner sahen in der Hinzufügung des Wortes "allein" einen unzulässigen Eingriff, ja eine Verfälschung. Er verteidigte sich im berühmten "Sendbrief vom Dolmetschen": Übersetzen bedeute, den Sinn des Geschriebenen und die Absicht des Verfassers möglichst präzise wiederzugeben. Man dürfe sich dabei auch nicht zu schade sein, dem Volk "aufs Maul" zu sehen. Er übersetzte nicht nur, sondern steuerte auch Einleitungen zum gesamten Neuen Testament und seinen einzelnen Büchern bei und erläuterte Begriffe neben dem Text in den sogenannten Randglossen.

Worin bestand denn seine Übersetzungsleistung damals – und vielleicht bis heute?

Luther beklagt einmal, dass Menschen die nur wenige Meilen voneinander wohnten, bereits Schwierigkeiten hatten, sich zu verstehen, da es noch kein allgemein akzeptiertes Hochdeutsch gab.

Luthers Bibelübersetzung trug dazu bei, dass sich eine gemeinsame deutsche Schrift-, Literatur- und Bühnensprache entwickeln konnte – zunächst vor allem in den protestantischen Gebieten. Luthers mitteldeutsche Bibelsprache, die sich am Meißner Kanzleideutsch, einer Art "Amtsdeutsch", orientierte, drang dabei immer weiter in die ober- und niederdeutschen Gebiete vor.

Seine große Leistung bestand darin, seiner Bibelsprache eine außerordentliche poetische Kraft und Schönheit einzuhauchen, die spätere Bibelübersetzungen nie wieder erreicht haben.

Besonders deutlich wird das bei den Psalmen und dem Hohelied oder auch an der Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium: Der eingängige Rhythmus sowie die Verwendung von hellen Vokalen und Alliterationen bringen die Geburt Christi zum Klingen und helfen dabei, sich das Gehörte – wie bei einem Song-Text – leicht einzuprägen: "Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird."

Und natürlich verwenden wir – meist unbewusst – in unserer Alltagssprache zahlreiche kraftvolle Begriffe, die aus der Lutherbibel stammen und teilweise von Luther selbst geschaffen wurden: Von Wortschöpfungen wie Nächstenliebe, Ebenbild, Morgenland oder Judaslohn, Machtwort oder Denkzettel, Bluthund oder Lückenbüßer, Feuertaufe oder Herzenslust bis hin zu neuen Wendungen wie Stein des Anstoßes oder Krethi und Plethi.

Friedrich Kramer, Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), werden am einem Spielautomaten in der erneuerten und erweiterten Ausstellung 'Luther und die Bibel' im Lutherhaus Eisenach '429 Jahre Fegefeuer erlassen'.
EKM-Landesbischof Friedrich Kramer am "Ablassautomaten" in der Dauerausstellung im Lutherhaus Eisenach Bildrechte: dpa

Wie wurde das Neue Testament nach dem Erscheinen denn aufgenommen, vor allem von seinen Gegnern?

Luthers Gegner kritisierten die theologische Ausrichtung der Übersetzung, nicht ihre Qualität. Um ihre Verbreitung zu verhindern, ging man sogar so weit, sie zu kopieren. dabei aber theologisch anstößige Stellen zu "korrigieren".

Luther betrachtete seine Übersetzung übrigens selbst nie als "fertig", weil sich sein eigenes Verständnis der Bibel weiterentwickelte und er immerfort nach treffenderen Formulierungen suchte. Dieser Prozess begann schon beim "Dezembertestament", in dem nicht nur Druckfehler verbessert, sondern auch einige antipäpstliche Holzschnitte entschärft wurden, die im "Septembertestament" für Aufsehen gesorgt hatten.

Luther arbeitete bis zu seinem Tode an der Vervollkommnung seiner Übersetzung der Bibel. Die letzte Fassung, die er noch selbst autorisierte, erschien 1545.

Somit sind Überarbeitungen also im Sinne Luthers. Die letzte Revision der Lutherbibel erfolgte 2017 anlässlich des Reformationsjubiläums. Sie kehrte in vielen Fällen wieder zu Luthers Formulierungen zurück, die zwischenzeitlich nicht immer ganz überzeugend modernisiert worden waren.

Zum Jubiläum hat Ihr Haus die preisgekrönte Dauerausstellung "Luther und die Bibel" überarbeitet: Worauf haben Sie Wert gelegt?

Wir haben uns an den Anregungen der Besucher:innen orientiert. Es gibt u.a. drei neue interaktive Medienstationen. Entdecken lässt sich die überraschende Wirkungsgeschichte von Luthers berühmtestem Kirchenlied "Ein feste Burg ist unser Gott", der Einfluss von Luthers Bibelübersetzung auf andere volkssprachliche Bibelübersetzungen in ganz Europa und die Versuche späterer Übersetzer, den Bibeltext an die Vorstellungen, Bedürfnisse und Ideologien ihrer Zeit anzupassen – vom Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert über die "Bibel in gerechter Sprache" bis zu sozialistischen Texteingriffen.

Ein steinerner Kopf in Seitenansicht vor einer steinernern Mauer
Blick auf Ai Weiweis Skulptur "man in a cube" als Auseinandersetzung mit Luthers Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" für das Reformationsjubiläum 2017, zu sehen im Innenhof des Lutherhauses Eisenach seit 2020. Bildrechte: Stiftung Lutherhaus Eisenach / Foto: Norman Meißner

An anderer Stelle haben wir bestehende Angebote aktualisiert und verbessert, z.B. unseren "Ablassautomaten", der sehr beliebt ist, oder die Dialektkarte, bei der man jetzt noch leichter erleben kann, wie unterschiedlich Deutsch klingen kann. So ist die Ausstellung zugleich die perfekte Vorbereitung für einen Besuch der Wartburg, wo man dann mit der "Lutherstube" den Ort sehen kann, wo die Übersetzung des Neuen Testaments entstand.

Das Lutherhaus in Eisenach
Das Lutherhaus in Eisenach Bildrechte: Anna-Lena Thamm / Stiftung Lutherhaus Eisenach

Außerdem wollten wir die Dauerausstellung besser mit den drei anderen Angeboten verzahnen: der vielbeachteten und nochmals erweiterten Sonderausstellung zum kirchliche "Entjudungsinstitut" 1939–1945, bei der in diesem Jahr das Neue Testament und das Verhältnis zu Martin Luther im Fokus steht; der Skulptur "man in a cube" von dem chinesischen Künstlers Ai Weiwei im Innenhof, die von Luthers Aufenthalt auf der Wartburg und seiner Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" inspiriert wurde und schließlich unserem museumspädagogischen Programm in "Luthers Werkstatt", wo man u.a. selbst eine Seite aus der Lutherbibel mit einer Buchdruckerpresse drucken und anschließend nach historischem Vorbild von Hand kolorieren kann.

Die Festwoche steht unter dem Motto "Die Kraft der Worte": Welche Rolle spielt denn da jetzt die Bibel in einem Land, in dem erstmals die Mehrheit der Deutschen keiner der beiden großen Kirchen mehr angehört?

Man muss kein:e Christ:in sein, um mit Gewinn in der Bibel zu lesen. Ihre vielen, sehr unterschiedlichen Texte sind ein jahrhundertealter Schatz menschlicher Erfahrungen und Einsichten, die sich auch heute noch unmittelbar erschließen. Die Psalmen und das Hohelied sind – gerade in Luthers Übersetzung – von gewaltiger poetischer Kraft und Schönheit, die Weisheitsliteratur stellt die meisten Selbsthilfebücher unserer Tage in den Schatten und die biblische Sprache mit ihren einprägsamen Bildern prägt unser Denken und Sprechen bis heute, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind.

Hinzu kommt, dass unser Verständnis von Welt und Natur, unsere Kunst, Literatur und Musik, unser Jahresablauf und unsere Feiertage tief von der Bibel und der aus ihr abgeleiteten religiösen Praxis über Jahrhunderte geprägt wurden. Biblische Spuren lassen sich deshalb in unserem Grundgesetz ebenso finden wie in Science-Fiction-, Fantasy- und Superhelden-Blockbustern. Wer unsere Gegenwart verstehen will, tut also gut daran, sich etwas näher mit der Bibel zu beschäftigen.

Das Gespräch führte Katrin Schlenstedt für MDR Religion und Gesellschaft.

Ausstellungen: Lutherhaus Eisenach: Luther und die Bibel

Lutherhaus Eisenach
Lutherplatz 8
99817 Eisenach

Dauerausstellung "Luther und die Bibel"
Öffnungszeiten
Di – So: 10 bis 17 Uhr, montags geschlossen, an Feiertagen geöffnet, Betriebsferien: 24.12.- 31.01.
Diverse museumspädagogische Angebote

"Welt Übersetzen": Sonderschau zum Bibel-Themenjahr in Thüringen auf der Wartburg

Lutherstube mit Lichteffekte auf der Wartburg in Eisenach
Blick in die Lutherstube auf der Wartburg Bildrechte: imago/Steve Bauerschmidt

"Welt Übersetzen": diesen Titel trägt 2022 das touristisch-kulturelle Themenjahr in Thüringen. Es lehnt sich so an das Jubiläum 500 Jahre Bibelübersetzung an – 1522 vollendete Martin Luther auf der Wartburg seine Niederschrift des Neuen Testaments. Dazu gibt es eine Sonderschau auf der Wartburg. Bis 6. November 2022.

Palas, Museum und Lutherstube sind täglich von 9 bis 17 Uhr (letzter Einlass) geöffnet.
Die Burghöfe und Außenanlagen sind an allen Tagen von 8 bis 20 Uhr kostenfrei zu besichtigen.

Eisenacher Pilgerbibel erwandern auf dem Wartburg-Weg

Entlang des Eisenacher Wartburg-Wegs sind insgesamt 3.333 großformatige Drucke aus der "Eisenacher Pilgerbibel" aufgestellt. Auf insgesamt 1,17 Kilometern Länge können Besucher die von dem Stuttgarter Künstler Willy Wiedmann erstellte Bibel, die das komplette Alte und Neue Testament in Bildern wiedergibt, erwandern. Sie ist nach Angaben der Stadt die "vermutlich längste Freiluft-Ausstellung der Welt".

"Septembertestament" in Wittenberg: "Nicht ein Genius allein"

Eine Schau der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek Wittenberg zeigt bis zum 18. November 2022 ein Original des Septembertestaments von 1522 unter dem Titel "Nicht ein Genius allein. Das Septembertestament von 1522"
Neben dem aufwendig gebundenen Original präsentiert die Schau auch vorreformatorische Bibeln - darunter eine spätmittelalterliche Vulgata sowie ober- und niederdeutsche Übertragungen aus dem lateinischen Bibeltext.

Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek
Schlossplatz 1
06886 Lutherstadt Wittenberg
Öffnungszeiten
montags bis donnerstags: 10 bis 16 Uhr besichtigt werden. Eintritt frei.

Augustinerkloster Erfurt

Zum Bestand der Bibliothek im Erfurter Augustinerkloster gehören rund 300 wertvolle historische Bibelausgaben aus der Zeit zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert. Neben Ausgaben in den Ursprachen Hebräisch und Griechisch gibt es auch andere Übersetzungen. In dem Kloster, in dem Luther von 1505 bis 1511 als Mönch lebte, hat heute die Internationale Martin Luther Stiftung ihren Sitz. Für den Vorstandsvorsitzenden Thomas A. Seidel ist die Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Deutsche mehr als ein kirchenhistorisches oder theologisches Ereignis: er spricht von der "Geburtsstunde der Nationalsprache", die Luther geprägt habe. Einen Eindruck davon vermittelt eine die Ausstellung "Bibel, Kloster, Luther".

Augustinerkloster
Augustinerstraße 10
99084 Erfurt

Öffnunsgzeiten
Montag – Freitag: 8 bis 18 Uhr
Samstag/Sonntag: 8 bis 16 Uhr
Feiertage: 10 bis 14 Uhr

Buchtipp: Feridun Zaimoğlu: "Evangelio - Ein Luther-Roman"

Lesetipp: Welche Bibel passt zu mir?

Seit Martin Luthers Bibel-Übersetzung vor 500 Jahren sind weltweit über tausend Übertragungen entstanden. Allein die Deutsche Bibelgesellschaft gibt rund 300 verschiedene Bibelausgaben heraus, nicht nur auf Deutsch. Wer will, kann die Bibel auch im hebräischen und griechischen Urtext lesen.

Martin Luther, Mensch, Werk, Wirkung

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. September 2022 | 09:15 Uhr