"Entjudungsinstitut" in Eisenach
Das Gebäude des "Entjudungsinstituts" in Eisenach Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das kirchliche "Entjudungsinstitut" Der Theologe des Judenhasses und seine Nachkriegskarriere

04. Oktober 2023, 14:11 Uhr

1939 gründeten elf evangelische Landeskirchen ein Institut, das alle jüdischen Bezüge zum Christentum tilgen sollte – das sogenannte Entjudungsinstitut. Zweifelhafte Theologen schrieben daraufhin Bibel und Gesangbücher im Sinne des Antisemitismus um. Nach dem Krieg wurde keiner der Beteiligten dafür belangt. Und Direktor Walter Grundmann konnte weiter Karriere machen.

Der emeritierte Pfarrer Hanno Schmidt aus Dresden gehörte zu den Aktivisten der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR. In den 1950er-Jahren saß er in Stasi-Haft. Von der Uni Leipzig exmatrikuliert setzte er sein Theologiestudium am katechetischen Oberseminar in Naumburg fort, u.a. bei Walter Grundmann.

Ganze Generationen von Theologiestudenten nutzten Grundmanns Lehrbücher zum Neuen Testament. In der DDR wie in der BRD. Bis heute sind seine Kommentare zu den Evangelien in Antiquariaten erhältlich.

Karriere während der NS-Diktatur

Schon mit 27 Jahren war Grundmann – NSDAP-Mitglied seit 1930 – in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens zum Oberkirchenrat aufgestiegen. 1937 berief ihn die Universität Jena an die theologische Fakultät. Als Professor für das Neue Testament und für völkische Theologie. Seine Ernennungsurkunde trug die Unterschrift von Adolf Hitler.

"Entjudungsinstitut" in Eisenach
Aus christlichen Schriften sollte alles Jüdische entfernt werden Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Reiner Thümmel vom Freundeskreis Dresdner Synagoge erfuhr vom Eisenacher Institut durch einen Aufsatz der US-amerikanischen Publizistin Susannah Heschel, erschienen 1994. Sie stellte klar, dass Theologen wie Walter Grundmann, die alles Jüdische aus der Bibel tilgen wollten, damit der NS-Vernichtungspolitik zugearbeitet haben. 

Ich bin aus dem Staunen nicht mehr rausgekommen, als ich erfasst habe, was sich 1939 in Eisenach mit Gründung auf der Wartburg zugetragen hat. Das konnte man sich nicht vorstellen, denn die Kirchen haben nach dem Zweiten Weltkrieg darüber geschwiegen.

Reiner Thümmel

Heschels Aufsatz gehörte auch für Oliver Arnold zu den ersten Quellen für seine  Dissertation zum Thema "Entjudung – Kirche im Abgrund". Nichts wies Anfang der 1990er-Jahre in Eisenach auf das so genannte kirchliche Entjudungsinstitut hin.  Das Archiv war bis damals nicht zugänglich.

Wieder Fuß gefasst

Die Professur in Jena hatte Grundmann gleich nach dem Krieg verloren. Vergeblich bat er um eine Pfarrstelle in der sächsischen Landeskirche. Doch in Thüringen ließ man schnell Gras über seine NS-Vergangenheit wachsen – wohl auch mit Wissen von Bischof Moritz Mitzenheim, der als Vertreter der Bekennenden Kirche als unbelastet galt.

Man muss natürlich auch die Rolle der Kirche in der DDR sehen, dass dort auch kein Interesse bestand, nach 1945 in den Schattenseiten herum zu kramen. Die Kirche in der DDR hatte andere Sorgen, als die Aufarbeitung ihrer braunen Vergangenheit.

Oliver Arnold

Die Innere Mission Waltershausen stellte Grundmann schließlich als Pfarrer ein. Er bekam Lehraufträge am katechetischen Oberseminar in Naumburg und am Theologischen Seminar in Leipzig. 1954 wurde er sogar Rektor des Eisenacher Katechetenseminars. Bei seiner Nachkriegskarriere habe ihm auch geholfen, sich als Opfer darzustellen, so Arnold. Grundmann und auch andere ehemalige "Deutsche Christen" behaupteten, dass sie die Kirche vor dem völkischen Geist der Nazis hätten schützen wollten.  

Dann hat man dementsprechend solchen Leuten wie Grundmann eben auch den Weg wieder geebnet. Aber das Erschreckende ist natürlich, dass keine Notwendigkeit gesehen wurde, dass diese Menschen ihre Schuld eingestehen und ihre Vergangenheit dann entsprechend reflektieren.

Oliver Arnold

Auch bei der Stasi willkommen

Vor seiner Emeritierung 1975 verlieh ihm die Thüringer Kirchenleitung den Titel Kirchenrat, was zu einer erhöhten Pension führte. Dass er sich der Stasi andiente und sogar Berichte über Kirchenkollegen in Ost und West verfasste, wundert den pensionierten Pfarrer Hanno Schmidt nicht.

Nach dem Motto, die SED der große Freund der kleinen Nazis. Dass man auf diese Weise eine Entnazifizierung macht, indem man sich bei den neuen Machthabern anbietet. Ist ihm ja auch gelungen.

Pfarrer Hanno Schmidt

Mahnmal und Tagung

Achtzig Jahre nach Gründung des so genannten kirchlichen Entjudungsinstituts wurde nun am 6. Mai 2019 in der Nähe des Gebäudes ein Mahnmal eingeweiht, das an dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte erinnert. Im Herbst eröffnete eine Sonderausstellung im Eisenacher Lutherhaus, außerdem gab es eine wissenschaftliche Tagung.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion & Gesellschaft | 28. April 2019 | 08:15 Uhr