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Geschichte & Geschichte(n)Palmsonntagsprozession: Das Wunder von Heiligenstadt

31. März 2023, 16:00 Uhr

Festlich in Schwarz gekleidete Männern mit weißen Handschuhen und Zylinder – so sehen sie aus die Träger der überlebensgroßen Figuren bei der Palmsonntagsprozession in Heilbad Heiligenstadt. Ein Ehrenamt, das in Familien über Generationen hinweg "vererbt" wird. Am 2. April 2023, 14 Uhr startete das Passionsspiel wieder und erinnerte am Sonntag vor Ostern an den Leidensweg von Jesus Christus. Dazu kamen tausende Besucherinnen und Besuchers ins katholisch geprägte Eichsfeld. Was die Palmsonntagsprozession so besonders macht:

So läuft es am Palmsonntag, 14 Uhr in Heiligenstadt: Die Prozession startet, in sechs dramatischen Bildern zeigt sie den Leidensweg Jesu mit Kreuzigung und Tod. Überlebensgroße Holzstatuen werden, begleitet von Gebet und Gesang der Gläubigen, durch die Gassen von Heiligenstadt getragen.

Von Jesuiten 1581 ins Leben gerufen

Seit 1581 gibt es dieses Passionsspiel. Die Prozession wurde von den Jesuiten ins Leben gerufen und fand ursprünglich am Karfreitag statt. An dem Tag, der an die Kreuzigung Jesu erinnert. Später wurde sie aus praktischen Gründen auf Palmsonntag vorverlegt. Dass sie ausfällt, kam in den vergangenen 400 Jahren erst drei Mal vor. 2020 und 2021 war das pandemiebedingt der Fall. 2022 fand sie wieder mit 5.000 Besucherinnen und Besuchern statt.

Tradition und Familienerbe

Am Leben gehalten wird die Tradition von Heiligenstädter Familien wie den Spillners, die Söhne übernehmen das Amt von den Vätern. So wie es Rolf Spillner an seinen Junior Richard weiter gegeben hat. Damit wird Richard Teil einer Tradition, die in Heiligenstadt fast schon Heiligenstatus hat.

Dem jungen Mann ist die Bedeutung des Amtes bewusst. Nicht dass er sich als einer von zwölf Trägern die 320 Kilo schwere Darstellung des Grabes Jesu nicht zutrauen würde. Aber die Ehre wiegt schwer.

Getragen werden die Prozessionsfiguren von festlich in schwarz gekleideten Männern mit weißen Handschuhen und Zylinder. Diese Ehrenämter werden von Generation zu Generation meist innerhalb von Familien weitergegeben. Hier löst Richard Spillner seinen Vater als Träger des Heiligen Grabes ab. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Glaubensbekenntnis vs. Event

Es braucht kein Organisationskomitee und kein Veranstaltungsbüro, um die größte Prozession Mitteldeutschlands mit bis zu 8.000 Teilnehmern alljährlich auf die Beine zu stellen. Die Aufgaben sind verteilt und werden innerhalb der Familien weitergegeben. Die Spillners, Kunzes und Heinevetters kümmern sich in der Woche vor dem Ereignis um die Herrichtung der sechs überlebensgroßen Darstellungen des Leidensweges Jesu.

Geschichte & Geschichte(n) Impressionen: Palmsonntagsprozession von Heiligenstadt

Seit 1581 gibt es die Prozession in Heiligenstadt. Die Jesuiten im Kolleg nahe der Kirche kamen damals auf die Idee. Während eines Zuges durch die Stadt, die biblische Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu darzustellen, war Teil ihrer Strategie, die Reformation im Eichsfeld rückgängig zu machen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Durch alle Zeiten war die Prozession ein starkes Glaubensbekenntnis, erklärt Kirchenhistoriker Torsten Müller. Im ehemaligem Jesuitenkolleg, wo heute das Eichsfeldmuseum untergebracht ist, wollte Müller, der bis 2022 dessen Direktor war, gern mehr darüber erzählen und auch eine der Figuren ausstellen. Das hat er geschafft. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Kurz vor Palmsonntag werden die Prozessions-Figuren aus einem Verschlag am Giebel des alten Kollegs geholt, um sie zu schmücken. Diese Figur erinnert daran, dass Jesus vor seinem Tod am Ölberg betete. Da es im Eichsfeld keine Olivenzweige gibt, behilft man sich mit Eibe. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Heiligenstädter Familien halten die Prozession seit mehreren Generationen am Leben, in dem sie die Figuren vorbereiten und die Träger stellen. Nicht alle könnten sich mit der Idee anfreunden, die Figuren im Museum auszustellen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Bernadette Heinevetter findet, die Prozessionsfiguren eignen sich nicht als Ausstellungsobjekt. Den Geist der Prozession, das Glaubensbekenntnis, könne man nicht im Museum zeigen, man müsse an einem Palmsonntag dabei sein. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Die Prozession wird fortgeführt von Heiligenstädter Familien. Seit 1734 wurde sie übrigens vom Karfreitag auf den Palmsonntag verlegt. Jesus am Kreuz tragen seit 1943 Männer aus Westhausen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Das Dorf Westhausen liegt rund fünf Kilometer entfernt von Heiligenstadt. Dort fehlten damals die Männer, weil sie im Krieg waren. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Der Probst bat um Hilfe aus den Nachbargemeinden. So fanden sich in Westhausen neue Träger. Auch nach dem Krieg wollten sie das Amt nicht mehr abgeben. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Die Westhausener Johannes Dreiling und nach ihm sein Sohn Engelbert haben Jahrzehnte lang das Kreuz auf sich geladen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
"Das ist ein Höhepunkt für uns, das ist ein Höhepunkt der ganzen Stadt", sagt Gerhard Bode. Er gehört seit Jahren zu den 50 Männern mit Zylindern, die die Helden des Tages sein werden. Pünktlich 14 Uhr am Palmsonntag startet die Prozession. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Das vier Meter hohe Kreuz zu tragen und auf der mehr als einen Kilometer langen Strecke auszubalancieren, erfordert viel Kraft und Übung. Einer muss sich dem anderen unterordnen. Bisher ist alles gut gegangen, sagt Engelbert Dreiling aus Waldhausen, der wieder dabei ist. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Mit List und Schläue haben die Eichsfelde ihre Prozession verteidigt. Das hatte für einige Konsequenzen. In der Nazi-Zeit verbot die NSDAP-Kreisleitung, dass Schüler das Heilige Grab begleiten. Acht Jungen setzten sich darüber hinweg und kamen dafür ins Straflager der Hitlerjugend in Bad Berka. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Nach dem Krieg stand die Prozession ebenfalls auf der Kippe. Doch der damalige Probst Paul-Julis Kockelmann konnte sie durch Intervention beim sowjetischen Stadtkommandanten retten. So trauten sich auch die DDR-Funktionäre nicht, das Erbe anzutasten, wohl aber jene, die mitgingen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Rolf Spillner war in den 1980er-Jahren das erste Mal dabei. Er durfte deswegen nicht studieren, blieb aber bei seinem Bekenntnis. Nun hat er sein Amt auf seinen Sohn Richard übertragen, der die Kraft zehrende Aufgabe, das 320 Kilo schwere Heilige Grab mit über die 1.500 Meter lage Strecke zu befördern, meisterte. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Rund 8.000 Menschen beteiligen sich 2018 singend und betend an der Prozession, 4.000 schauen zu. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Zum Palmsonntag gehören auch die Schachteln von Helga Schotte. Eine, die sie mit dem biblischen Symbol des Lammes bemalte, ging sogar einmal an Kardinal Ratzinger. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Vor 40 Jahrem belebte Helga Schotte die vergessene Tradition wieder: "Einst schenkten die jungen Burschen ihrer Angebeteten eine Schachtel, Eltern gaben sie ihren Kindern mit Sprüchen drauf wie: 'Behüt dich Gott'", weiß sie. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Nach der Prozession ist vor der Prozession. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Von 2015 bis 2022 leitete Torsten W. Müller das kulturhistorische Eichsfeldmuseum in Heiligenstadt. Er konzipierte dort einen Erlebnisraum, in dem seit 2021 mehr über die Palmsonntagsprozession zu erfahren ist. Zu sehen sind etwa zwei der imposanten Prozessionsfiguren. Müller schwebte von Anbeginn vor, mehr vom Passionsspiel zu zeigen, sind doch die Prozessionsfiguren in den einstigen Jesuitenkolleg untergebracht. Die Pieta wurde vor rund 120 Jahren neu angefertigt, die anderen Figuren stammen zum Teil noch aus der Zeit vor 400 Jahren.

Von 2015 bis 2022 leitete Torsten Müller das Eichsfeldmuseum in Heiligenstadt. Inzwischen publizierte er ein Buch zur Palmsonntagsprozession von Heiligenstadt. Bildrechte: MDR/Elke Thiele

Doch zunächst waren nicht alle mit der Prozession verbundenen Heiligenstädter von der Idee begeistert. Den Geist der Prozession könne man nicht ausstellen, den müsse man erleben, meinte dazu Bernadette Heinevetter:

Das ist ein Glaubensbekenntnis. Ich kann das nicht mit dem Sommergewinn in Eisenach vergleichen oder mit der Bratwurstkrönung in Erfurt oder mit den Altenburger Spielfiguren.

Bernadette Heinevetter

Seit 2016 Immaterielles Unesco-Kulturerbe

Es gleicht einem Wunder, wie es den Heiligenstädtern gelungen ist, ihre Prozession über die Jahrhunderte hinweg stoisch zu verteidigen. Nur einmal, im Kriegsjahr 1945, fand die Prozession nicht statt und es gab Zeiten, in denen Mut dazu gehörte, sich den Gläubigen anzuschließen. Unter den Nazis wurden jugendliche Teilnehmer mit Straflager verwarnt. Zu DDR-Zeiten setzten Abiturienten ihren Studienplatz aufs Spiel. Doch die Prozession zu unterbinden, wagte niemand. Noch nicht einmal die Genossen der SED.

In der Woche vor Palmsonntag richten Ehrenamtliche der katholischen Pfarrgemeinde St. Marien die Traggestelle vor, befestigen die Figuren und legen ihnen Gewänder an.  Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Hinter Gebet und Tradition stand und steht ein Bekenntnis: Für die Heimat, für den Glauben und gegen politisch auferlegte Doktrin. 2016 wurde die Palmsonntagsprozession ins bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der Deutschen UNESCO aufgenommen, auch dafür hatte sich Torsten W. Müller stark gemacht. Die Ehre schmeichelt den Eichsfeldern schon, aber eigentlich wollen sie eine Woche vor Ostern nur eines: Glaubensstark und andächtig miteinander und mit Jesus durch Heiligenstadt ziehen.

Ausstellungs- und BuchtippEichsfeldmuseum
Kollegiengasse 10
37308 Heilbad Heiligenstadt
Telefon: 03606 / 677-480
E-Mail: eichsfeldmuseum@heilbad-heiligenstadt.de

Palmsonntagsprozession im Eichsfeldmuseum: Der große Ausstellungsraum präsentiert zwei der imposanten Figuren und macht die Prozession ganzjährig museal erlebbar.

Öffnungszeiten
Montag: Geschlossen
Dienstag–Freitag: 10 bis 17 Uhr
Samstag, Sonntag: 14:30 bis 17 Uhr


Torsten M. Müller
Die große Palmsonntagsprozession in Heilbad Heiligenstadt
Cordier Verlag

Mehr zum Thema: Palmsonntag, Karwoche, Ostern

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | 15. April 2022 | 07:05 Uhr