Drei Fragen an die Kriminalpsychologin Lydia Benecke Woher kommt der Glaube an das Übersinnliche?
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04. Dezember 2024, 04:00 Uhr
Lydia Benecke arbeitet als Kriminalpsychologin auf dem Gebiet von Straftaten und Straftatenprävention. Seit ihrem Studium ist sie in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) aktiv und seit 2015 in deren Wissenschaftsrat. Dort beschäftigt sie sich unter anderem mit Themengebieten wie vermeintlich übersinnliche Phänomene, Esoterik und Besessenheits-Phänomene. In der Web-Serie "Spuk – Leben mit dem Unheimlichen" ordnet sie zusammen mit dem Sozialpsychologen Dr. Timur Sevincer die paranormalen Erlebnisse der Protagonisten wissenschaftlich ein. Jan Dörre von MDR Religion und Gesellschaft hatte drei Fragen an sie.
MDR Religion und Gesellschaft: In der Web-Serie "Spuk – Leben mit dem Unheimlichen" ordnen sie zusammen mit einem Kollegen als Experten die vermeintlichen paranormalen Phänomene der Protagonisten wissenschaftlich ein. Dadurch geraten sie ein klein wenig in die Rolle der "Spielverderberin". Ist es heute einfacher und vielleicht auch angenehmer an Übersinnliches zu glauben, ohne sich den Mühen wissenschaftlicher Hinterfragung zu unterziehen? Was sind ihrer Erfahrungen?
Lydia Benecke: Es gibt unterschiedliche Gründe für den Glauben an das Übersinnliche. Einige Menschen machen beispielsweise eine Erfahrung, die sie als übersinnlich bewerten, da sie keine andere Erklärung für ihr jeweiliges Erlebnis haben. Die Einordnung entsprechender Erlebnisse wird immer auch geprägt durch Annahmen, die ein Mensch von der Welt hat.
Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das Phänomen der Schlafparalyse. Während wir schlafen, ist unsere Skelettmuskulatur gelähmt. Wäre es nicht so, würde unser Körper Bewegungen, die wir träumen auch ausführen und wir könnten uns beispielsweise verletzen. Dieser Mechanismus ist uns nicht bewusst, da er normalerweise verschwindet, sobald wir aufwachen.
Es kommt aber auch vor, dass diese Lähmung bestehen bleibt, während ein Menschen sich im Prozess des Aufwachens oder Einschlafend befindet. Dies kann dann als sehr unangenehm oder sogar stark beängstigend erlebt werden. In allen Zeiten und Kulturen gab und gibt es Menschen, die diese Erfahrung machen. Interessanterweise ist die Interpretation der Erfahrung von den in der Kultur bestehenden Vorstellungen geprägt.
So wird diese Phänomen in manchen Regionen als Angriff einer Hexe, in anderen als Heimsuchung durch ein dämonenhaftes Wesen und in wieder anderen als Besuch durch eine verstorbene Person interpretiert. Das identische Erlebnis wird also von unterschiedlichen Menschen sehr unterschiedlich interpretiert.
Erfährt ein Mensch, dass die Schlafparalyse beim Einschlafen oder Aufwachen ein ganz natürlich vorkommendes Phänomen ist, kann dieses Wissen wiederum das Erlebnis beeinflussen. So berichtete mir eine Frau, dass sie häufiger entsprechende Erlebnisse hatte und diese als äußerst beängstigende, vermeintliche Angriffe durch ein übernatürliches Wesen deutete.
Nachdem sie von der rationalen Erklärung erfahren hatte, konnte sie den Zustand beim nächsten Mal ganz anders interpretieren. Sie entspannte sich in der Erwartung, dass sie sich gleich wieder bewegen könne und keine reale Bedrohung vorhanden war. So erlebte sie die entsprechende Situation nicht mehr als belastend. Es gibt also Menschen, die von rationalen Erklärungen für ihre vermeintlich übernatürlichen Erlebnisse profitieren.
Der Glaube an vermeintlich übersinnliche Erlebnisse kann aber auch eine emotionale Funktion für einen Menschen haben. So kann beispielsweise der subjektive Eindruck, den Geruch der vermissten Oma, die kürzlich gestorben ist, neben sich im Raum wahrzunehmen und ihre Anwesenheit zu spüren, etwas sehr Tröstliches haben. Gleichzeitig kann ein solches Erlebnis die Angst vor dem Tod verringern, da der vermeintliche Besuch der verstorbenen Oma als Beleg für eine Existenz nach dem Tod interpretiert werden kann.
Wenn entsprechende Erlebnisse eine bedeutsame emotionale Funktion haben, macht es wenig Sinn, diese rational zu hinterfragen. Hier geht es nämlich nicht wirklich um rationale Erklärungen, sondern um die emotionale Funktion der Interpretation des eigenen Erlebens.
Vergleichbar ist es, wenn Menschen ihre Selbstdefinition und ihr Selbstwertgefühl stark an die Annahme knüpfen, über eine vermeintlich übersinnliche Begabung zu verfügen. Die Annahme, hierdurch „besonders“ zu sein und die Erfahrung, andere Menschen mit entsprechenden Behauptungen auch beeindrucken zu können, kann emotional sehr verstärkend wirken. In solchen Fällen werden rationale Erklärungen häufig abgelehnt, da sie als Bedrohung der eigenen Selbstdefinition und als Entwertung der eigenen Person empfunden werden können.
Gleich in der ersten Folge der Serie verweisen sie auf das Phänomen der Pareidolie, einer Fehldeutung unseres Gehirns gegenüber Sinneseindrücken. Inwieweit kann diese "Fehlfunktion" zu übersinnlichen Erlebnissen führen und was steckt evolutionär betrachtet hinter der Pareidolie?
Unser Gehirn nimmt automatisiert und für uns unbewusst Interpretationen unserer Sinneseindrücke vor. Dadurch können wir bekannte Muster äußerst schnell und effizient erkennen und auf diese angemessen reagieren. Besonders das Erkennen von Gesichtern ist für uns Menschen sehr wichtig, da wir soziale Wesen sind. Daher werden in zufälligen Mustern häufig Gesichter wahrgenommen.
Auch unser Vorwissen und unsere Erfahrungen spielen eine relevante Rolle für die automatisierte Mustererkennung. So gibt es beispielsweise immer wieder Menschen, die glauben, religiöse Figuren in Gegenständen zu erkennen. Dies erklärt, warum man im Internet so einiges findet, wenn man beispielsweise nach Abbildungen der religiösen Figuren Jesus oder Maria auf Toastbrotscheiben sucht.
Bezogen auf vermeintliche Geistererscheinungen spielt die automatisierte Mustererkennung des menschlichen Gehirns immer wieder eine wichtige Rolle. Solche Erscheinungen werden besonders häufig an Orten und in Situationen beschrieben, wo keine optimalen Sichtverhältnisse herrschen. Sie werden häufig nachts wahrgenommen oder in dunklen Räumen.
Dies hat einerseits damit zu tun, dass wir bei schlechten Sichtverhältnissen eher zu Ängstlichkeit neigen, was unsere Kampf- oder Fluchtbereitschaft erhöht. Außerdem interpretiert unser Gehirn bei entsprechend unklaren Sichtverhältnissen uneindeutige Strukturen besonders schnell als potenzielle Bedrohungen.
Evolutionär betrachtet ist dies vorteilhaft, da es unserem Schutz dient. Es sorgt dafür, dass wir auf eine potenziell auftauchende Gefahr besonders schnell und effizient reagieren können.
Wenn ein Mensch nachts durch ein altes Haus ohne ausreichende Lichtquellen geht, ist die Wahrscheinlichkeit für Anspannung größer, als wenn dieser Mensch das Haus bei strahlendem Sonnenschein betritt. Diese Anspannung kann verstärkt werden, wenn plötzlich eine Temperaturveränderung oder ein Geräusch wahrgenommen wird.
Die Person wird dann eventuell noch etwas angespannter und wachsamer und fokussiert sich noch stärker auf die nicht gut einsehbare Umgebung. Wird in dieser Gesamtsituation ein entfernter Schatten wahrgenommen, so kann dieser durch die automatisierte Mustererkennung des Gehirns leicht als menschliche Gestalt oder Gesicht interpretiert werden.
Fällt diese Wahrnehmung mit der Überzeugung zusammen, dass in dem Haus einst ein Mensch tragisch ums Leben gekommen sei und die Geister tragisch verstorbener Menschen zuweilen keine Ruhe finden, wird aus dieser Wahrnehmung leicht ein gruselig wirkender Bericht, einen Geist gesehen zu haben.
Hand aufs Herz: Ist ihnen bislang ein paranormales Phänomen begegnet, dass sie nicht wissenschaftlich einordnen konnten?
Nein.
Mediathek-Tipp: In der vierteiligen Web-Serie "Spuk – Leben mit dem Unheimlichen" treffen vier, sich bis dato unbekannte Menschen aufeinander. Eine Sache verbindet alle: ihre Begegnungen mit dem Paranormalen. Der Start der Serie in der ARD-Mediathek ist am 30.10.2022.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Spuk - Leben mit dem Unheimlichen | 31. Oktober 2022 | 22:45 Uhr