Jüdischen Woche startet Leipzig erinnert an Jüdische Verleger der Buchstadt
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Die Buchstadt hat eine große Vergangenheit. Welchen Anteil jüdische Verleger und Buchhändler daran hatten, ist heute kaum noch bekannt. Das Stadtgeschichtliche Museum will das mit Ausstellung, Buch – und einer Radtour ändern. Im Rahmen der Jüdischen Woche in Leipzig, die am Sonntag beginnt, wird im Haus Böttchergäßchen nicht nur die Schau "Uns eint die Liebe zum Buch. Jüdische Verleger in Leipzig 1815-1938" präsentiert. Die Spurensuche führt Interessierte im Juli auch an die Wirkungsorte, wo szenisch gelesen wird.

"Uns eint die Liebe zum Buch" – unter diesem Titel zeigt das Stadtgeschichtliche Museum jetzt in einer Ausstellung, was jüdische Verleger und Buchhändler einst zum Ruhm der Buchstadt Leipzig beitrugen. Zugrunde liegt der Präsentation ein gleichnamiges Buch. Beide wagten "trotz aller weißen Flecken eine erste Zusammenschau von Lebenswerken", wie Museumsdirektor Hartinger erklärt. Dabei ging dem Projekt eine Jahrzehnte währende Recherche zu diesem kaum noch bekannten Kapitels der Leipziger Buchstadtgeschichte voraus. Viele Zeugnisse seien verloren, so Kuratorin Johanna Sänger. Die Zahl der einst in Leipzig ansässigen Verleger jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft sei bis heute nicht genau bekannt. So stehe die Auswahl von acht Persönlichkeiten stellvertretend für die Leistungen der Ungenannten.
Religiöse Schriften, Noten und Künstlerbücher
Die kleine Schau im Böttchergäßchen gibt Einblicke, was weltoffene Verleger, Experten für Schriftsatz und Druck oder Vertrieb sowie Buchhändler zwischen 1815 und 1938 ermöglichten. Das Spektrum der damals weltweit gerühmten "Leipziger Ware" reichte von religiösen Schriften, etwa hebräisch-deutsch gesetzten Bibeln, über die berühmten Notendrucke der Edition Peters bis hin zu wissenschaftlichen Werken, Stadtplänen und kulturpolitischen Zeitschriften oder Künstlerbüchern der Moderne.
Henri Hinrichsen und Kurt Wolff
Noch im Gedächtnis der Stadt ist Henri Hinrichsen, der seit 1900 den weltberühmten Musikverlag C.F. Peters führte, aber sich auch als Stifter des Leipziger Musikinstrumentenmuseums oder der ersten deutschen Frauenhochschule engagierte. Die Geschichte des Verlags endete im November 1938 durch das Berufsverbot für jüdische Verleger und die "Arisierung" des Unternehmens durch die Nazis. Hinrichsen wurde nach Auschwitz deportiert, wo er 1942 in dem Konzentrationslager umkam. Das ehemalige Verlagshaus in der Talstraße 10 ist heute Edvard-Grieg-Gedenkstätte. Der norwegische Komponist, der einen Exklusivvertrag mit C.F. Peters hatte, nahm dort während seiner Leipzig-Aufenthalte Quartier.
Als Verleger des literarischen Expressionismus machte sich Kurt Wolff einen Namen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts neben Brockhaus, Reclam oder Insel deutschlandweit Geltung hatte. Namen wie Franz Kafka, Franz Werfel oder Walter Hasenclever sind mit der von Wolff herausgegebenen, kleinen, feinen, aber günstigen Buchreihe "Der jüngste Tag" verbunden. An Wolff erinnert heute noch ein Preis, der seinen Namen trägt und alljährlich zur Leipziger Buchmesse an innovative Unabhängige Verlage vergeben wird. Auch der Verlagssitz in der Kreuzstraße kann noch besichtigt werden.
Schussheim: Lesen und Wohnen
Doch viele andere sind vergessen, die Spuren verwischt oder zerstört. In Erinnerung bringen Ausstellung und Buch die Geschichte des international erfolgreichen Musikverlages Anton J. Benjamin, der Hebräischen Buchhandlung M. W. Kaufmann, der Sortiments- und Antiquariatsbuchhandlung Gustav Fock oder der Akademischen Verlagsgesellschaft von Leo Jolowicz. Jolowicz publizierte naturwissenschaftliche Zeitschriften und Arbeiten etwa auch der Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald, Marie und Pierre Curie.
Der Buchhändler Schussheim richtete sich mit einem Stadtplan sowie einem Lesezirkel, der zunächst in der heutigen Kurt-Eisner-Straße seinen Sitz hatte, hingegen an ein breites Publikum. Lesezirkel waren eine Form des Abonnements, bei dem Zeitschriften nicht gekauft, sondern ausgeliehen wurden, bis zu sieben in der Woche, darunter Blätter wie die Leipziger oder Berliner Illustrierte Zeitung, Gartenlaube oder Simplizissimus. Seine Einnahmen investierte er in den Bau der Schussheimschen Alters- und Wohnheime in Leipzig-Wahren, die für Abonnenten seines Familienlesezirkels zu günstigen Mieten vorgesehen waren.
Spurensuche per Rad und szenischer Lesung
Erst mit der so genannten Gewerbefreiheit hatten sich jüdische Verleger ab 1863 in Leipzig ansiedeln können. Der Blick auf ihre Geschichte zeige auch "eine neue Facette des Kulturtransfers", erklärt Museumsdirektor Hartinger mit Blick auf die Quellen des Buchstadt-Ruhms. Die Erforschung und Vermittlung dieser "Facette" sei wichtig zum Verständnis des jüdischen Lebens hier "einst und jetzt".
Neben Buch und Ausstellung lädt das Stadtgeschichtliche Museum im Rahmen der Jüdischen Woche, die am Sonntag beginnt, mit geführten Radtouren und szenischen Lesungen dazu ein, diese Spuren und alten Adressen der Buchstadt Leipzig wiederzuentdecken.
Jüdische Verleger
Weltoffene Verleger, Experten für Schriftsatz und Druck ermöglichten mit moderner Technik Herstellung und Vertrieb von jüdischer Literatur. Das reichte von hebräisch-deutschen Bibeln über Belletristik bis zu kulturpolitischen Zeitungen und Büchern des liberalen Judentums.
Auch wenn sich erst nach der so genannten Gewerbefreiheit ab 1863 jüdische Verleger in Leipzig ansiedeln konnten, wurden bereits vorher so wichtige Publikationen wie die Allgemeine Zeitung des Judentums des Magdeburger Rabbiners Ludwig Philippson oder die Zeitschrift "Der Orient" des Leipziger Orientalisten Julius Fürst, der der erste jüdische Professor in Sachsen, hier publiziert.
Leipzig wurde zum wichtigen Verlags- und Druckort für das liberale wie orthodoxe Judentum im deutschsprachigen Raum, aber auch in anderen osteuropäischen Ländern. Die Ausstellung "Uns eint die Liebe zum Buch" beschäftigt sich mit acht Verleger-Persönlichkeiten, auch wenn viele mehr zu würdigen wären, wie Kuratorin Johanna Sänger mit Blick auf die schwierige Quellenlage erklärt.
Darüber hinaus sei auch an Namen wie Dr. Gustav Kirstein (1870–1934) Mitinhaber des Seemann-Verlags, Hermann Mendelssohn (1824–1891), Dr. Sally Rabinowitz (1889–1943 Sobibor) mit seinem Verlag in der Weststraße oder Rudolf Schick (1882 – nach 1951) mit seinem Verlag Rudolf Schick & Co. in der Zentralstraße zu erinnern.
Die Buchstadt und der Ruhm der "Leipziger Ware": 1815-1938
Mit dem Ruhm der Buchstadt ist das einstige Grafischen Viertel in Leipzig verbunden:
Auf dem etwa ein Quadratkilometer großem Areal östlich des Stadtzentrums siedelten sich im 19. Jahrhundert Verlage, Kommissionsbuchhandlungen, Druckereien und Ausbildungsstätten an. Weltbekannte Verlage wie Breitkopf & Härtel, Philipp Reclam jun. oder F. A. Brockhaus hatten hier ihren Sitz.
Der bereits 1825 in Leipzig gegründete Börsenverein der Deutschen Buchhändler wurde 1888 zur nationalen Dachorganisation auf und etablierte einen festen Ladenpreis für Bücher – die bis heute gültige Buchpreisbindung.
Ende des 19. Jahrhunderts erschien nahezu jedes fünfte in Deutschland verlegte Buch in Leipzig. Die Musikverlage produzierten vor dem Ersten Weltkrieg etwa 90 Prozent des weltweiten Notenbedarfs. Grundlage des Erfolgs waren die spezialisierten Firmen mit hervorragend ausgebildeten Handwerkern und Facharbeitern, die für die technische Qualität der "Leipziger Ware" sorgen.
Nur einen Tag nach der Bücherverbrennung in vielen deutschen Städten, veröffentlichte der Börsenvereins-Vorstand am 11. Mai 1933 eine Liste von Schriftstellern, die "für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten" seien. Darunter Autoren wie Lion Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky oder Arnold Zweig.
Ohne Widerstand ließ sich der Börsenverein gleichschalten und schloss seine jüdischen Mitglieder aus. Wirtschaftliche Zuständigkeiten durfte er weiter wahrnehmen, die berufsständischen Aufgaben übergab er an die 1933 gegründete Reichsschrifttumskammer.
Quelle: "Uns eint die Liebe zum Buch", Hentrich & Hentrich / MDR
Radtour und Szenische Lesungen: Voraussichtliche Route
Auf den Spuren jüdischer Verleger in Leipzig – Geführte Radtour und szenische Lesung
Samstag, 3. Juli, 17 Uhr
Dienstag, 6. Juli, 17 Uhr
Samstag, 14. Juli, 17 Uhr
vorherige Anmeldung unter Tel.: 0341-9651340 oder stadtmuseum@leipzig.de erforderlich
Preis: 5 Euro (eigenes Rad)
Start: Museum Haus Böttchergäßchen ->
Brühl 8 (M.W. Kaufmann Verlag) ->
Sternwartenstraße 8 (Gustav Fock GmbH und Akademische Verlagsgesellschaft)
-> Talstraße 10 (Musikverlag Edition Peters) -> Kreuzstraße 3b (Kurt Wolff Verlag) -> Kohlgartenstraße 52a (Siegfried Schussheim) -> Karree Täubchenweg/Göschenstraße (Musikverlag A.J. Benjamin)
Szenisch gelesen wird u.a. aus dem Sammelband "Jüdische Verleger" des SGM zum C.F. Peters Verlag, aus Publikationen der Verlage, etwa einem Band der Reihe "Der jüngste Tag" vom Kurt Wolff Verlag (Kreuzstraße 3b, Ecke Inselstraße) sowie Dokumenten wie der Würdigung von Sindel Schussheim durch Dr. Felix Goldmann aus dem Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig 1834 in der Kohlgartenstraße 52a
Angaben zur Ausstellung
"Uns eint die Liebe zum Buch. Jüdische Verleger in Leipzig. 1815–1938"
Bis 25. Juli 2021
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
HAUS Böttchergäßchen
Böttchergäßchen 3
04109 Leipzig
Öffnungszeiten:
Dienstag–Sonntag, Feiertage 10–18 Uhr
Dienstag, 29. Juni, 15 Uhr - Führung durch die Sonderausstellung + Buchvorstellung
Donnerstag, 15. Juli, 18 Uhr,
Dialogführung
Sonntag, 25. Juli, 16 Uhr, Finissage
Kuratorinnen Andrea Lorz und Johanna Sänger
Angaben zum Buch
Andrea Lorz, Anselm Hartinger und Johanna Sänger im Auftrag der Stadt Leipzig:
"Uns eint die Liebe zum Buch"
Begleitend zur Ausstellung erscheint das gleichnamige Buch im Hentrich & Hentrich Verlag, 164 Seiten, mit 62 teils farbigen Abbildungen und einem Stadtplan
17,90 Euro
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 23. Juni 2021 | 18:05 Uhr