Ein Jahr UNESCO-TitelErfurt: Stadt feiert Welterbe-Titel und ringt mit Besucher-Ansturm
Seit knapp einem Jahr trägt Erfurts mittelalterlich-jüdisches Erbe den UNESCO-Welterbe-Titel. Am Sonntag bekam die Stadt die offizielle Urkunde überreicht und feierte das mit einem Fest, mit kostenlosen Führungen, Konzerten, Vorträgen. Der Welterbe-Titel beschert Erfurt deutlich mehr Besucher. Andererseits: Die Welt-Erbestätten sind klein und nahezu am Limit. Wie also reagiert Erfurt auf die neue Situation?
Es geht am Rathaus vorbei in eine kleine Nebengasse. Dort liegt Erfurts UNESCO-Welterbe Schatz versteckt: "Wir stehen jetzt hier an der ältesten Synagoge Mitteleuropas, die noch von Kopf bis Fuß erhalten geblieben ist. Man muss sagen, aus heutiger Sicht lief es in Erfurt lange richtig gut. Man lebte zusammen, man feierte zusammen, man arbeitete zusammen." Sagt Stadtführer Oliver Bötefür über das Zusammenleben von Juden und Christen vor den Pogromen des Mittelalters.
Die Alte Synagoge ist über 900 Jahre alt und das steinerne Schatzkästchen des Welterbes. Noch immer entdecken sie die meisten Touristen eher per Zufall. Auf ihrem Thüringen-Trip kamen auch Sabine Bischinger aus Österreich und ihr Lebensgefährte aus Liechtenstein diese Woche in die museale Synagoge: "Wir sind ganz begeistert, wir hätten nicht gedacht, noch so schöne Dinge zu sehen. Dass da so ein altes Viertel noch existiert, haben wir nicht gewusst. Wir sind beeindruckt."
Welterbe-Fest am 11. August in Erfurt: Kostenlose Führungen, Konzerte, Vorträge (Zum Aufklappen)
- Mit einem Festakt feiert Erfurt am Sonntag die offizielle Übergabe der Unesco-Urkunde für das jüdisch-mittelalterliche Welterbe der Stadt.
- Begleitend zur Übergabe der Urkunde bietet die Stadt im gesamten ehemaligen jüdischen Viertel am Sonntag kostenlose Führungen, Konzerte und Vorträge an.
- Auch eine Tanzparade von den verschiedenen Veranstaltungsorten aus zum ehemaligen "Tanzhaus" der jüdischen Gemeinde hinter dem Rathaus ist geplant.
Planung für Welterbe-Zentrum: "Das braucht Zeit"
Zum Welterbe gehören neben der Synagoge noch das jüdische Ritualbad und das Steinerne Haus. Die Mikwe ist nur mit einer Führung zu besichtigen, daran hat sich noch nichts geändert – es fehlt am Aufsichtspersonal. Das Steinerne Haus, ein jüdisches Wohnhaus kann noch gar nicht besichtigt werden. Das, sagt Kulturdezernent Tobias Knoblich, wird sich auch so schnell nicht ändern. In dem Profanbau aus dem Mittelalter hat die Kulturdirektion ihren Sitz.
Die Planungen für das künftige Welterbe-Zentrum stehen erst am Anfang. Architekturstudenten haben erste Modelle gebaut, wie es aussehen könnte. Knoblich erläutert, warum das alles seine Zeit braucht: "Wenn man was Großes macht, was die nächsten 100 Jahre gelten soll, muss man das sehr genau untersetzen. Wir haben schon ein potentielles Welterbezentrum entworfen, die Kubatur eines Gebäudes. Da haben wir festgelegt, was da rein muss, Sanitäranlagen, Räume für Pädagogik, Räume für die jüdische Landesgemeinde, aber auch ein koscheres Restaurant."
Alle Varianten und möglichen Standorte wurden in den letzten Monaten untersucht. Favorisiert wird der Parkplatz hinter dem Rathaus. Im Herbst soll es dazu im Stadtrat den Grundsatzbeschluss geben.
Kulturdezernent Knoblich warnt davor, aufs Tempo zu drücken: "Die Monumente sind da. Sie werden besucht von Menschen, die zu uns kommen – mehr denn je. Das ist nicht der Jahrmarkt des Welterbes sondern etwas Kleines, Wertvolles."
Das ist nicht der Jahrmarkt des Welterbes sondern etwas Kleines, Wertvolles.
Erfurts Kulturdezernent Tobias Knoblich
Stichwort: Erfurter Schatz und Hochzeitsring (Zum Aufklappen)
- Der jüdische Hochzeitsring ist der bedeutendste Teil des Jüdischen Schatzes von Erfurt, der ungefähr 600 Stücke umfasst.
- Er stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert.
- Der Ring besteht komplett aus Gold.
- Zwei ineinander gelegte Hände auf der Unterseite symbolisieren die Treue. Der sechseckige Tempel ist ganz im gotischen Stil gehalten und erinnert an den Hohetempel von Jerusalem.
- Eine hebräische Inschrift auf der Oberseite wünscht dem Brautpaar Glück, ganz nach der jüdischen Tradition. Weltweit sind nur zwei Hochzeitsringe dieser Art bekannt.
- Vermutet wird, dass der so genannte Erfurter Schatz während des Pogroms 1349 vergraben wurde.
- Danach war das jüdische Leben in Erfurt für lange Zeit ausgelöscht.
- Die Alten Synagoge wurde dann Lagerhaus, später als Gaststätte und Tanzsaal genutzt.
- Als jüdisches Gotteshaus kaum noch kenntlich, entging es so höchstwahrscheinlich der Zerstörung durch die Nazis
- Anders als beispielsweise die Große Synagoge in der Pogromnacht im November 1938.
Besucher-Ansturm aufs neue jüdische Welterbe in Erfurt
Tourismuschef Christian Fothe spürt den Effekt des Welterbetitels jeden Tag. Immer mehr internationale Touristen kommen auch deswegen in die Stadt. Die gebuchten Stadtführungen haben sich gesteigert. Im ersten Halbjahr 2024 gab es rund 350 Führungen zum jüdischen Erbe – 100 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Geführt wurden rund 6.000 Gäste – 1.500 mehr als zuvor.
"Das ist sehr, sehr gut", freut sich Fothe und gibt wie Knoblich zu bedenken: "Wir merken aber auch, dadurch dass das Welterbe sehr klein ist, sind wir beim Wachstum in der bestehenden Struktur auf dem Niveau angekommen, wo wir sagen: 'Das können wir bewerkstelligen, weiter zu wachsen, würde die Qualität nicht verbessern.'"
Um weiter zu wachsen, muss die Infrastruktur nachziehen.
Christian Fothe, Tourismuschef in Erfurt
2023 sind mehr als 992.000 Übernachtungen in Erfurt gezählt worden. In diesem Jahr könnte die Marke von einer Million erreicht werden. Solange die Infrastruktur nicht ausgebaut ist, werde es keine großen Werbekampagnen geben, sagt Fothe. Für die Alte Synagoge gibt es Pläne, ein Nebengebäude mit zu nutzen als künftigen Eingangsbereich. Das aber ist noch vermietet. "Jetzt mal mit richtig viel Geld zu sagen: 'Kommt alle nach Erfurt.' Das würden wir gern machen, wenn auch die Infrastruktur nachgezogen hat."
Ich würde mir wünschen, dass wir das Welterbezentrum in zehn Jahren haben.
Christian Fothe, Tourismuschef in Erfurt
Stadtführer fürs jüdische Welterbe gesucht
Von 100 Stadtführern haben nur 13 die Lizenz, zum jüdischen Erbe zu führen – einer mehr als im Vorjahr. Es sollten längst doppelt so viele sein. Doch es sind viele Jahrhunderte zu erzählen. Beginnend mit dem Erfurter Judeneid aus dem Jahr 1200, der die Rechtsgrundsätze des Umgangs zwischen Juden und Christen enthält, bis hin zum jüdischen Schatz, der vor rund 30 Jahren bei Bauarbeiten gefunden wurde. Heute ist er das Highlight der Ausstellung in der Alten Synagoge. Nicht viele Stadtführer trauen sich ein so großes Spezialgebiet zu.
Museum in der Alten Synagoge Erfurt
Waagegasse 8
99084 Erfurt
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, von 10 bis 18 Uhr Montag geschlosse
Eintrittspreise:
Erwachsene 8 Euro, ermäßigt 5 Euro
Hinweise zur Barrierefreiheit: Die Ausstellungsflächen sind über einen Aufzug erreichbar. Ein Video-Guide ist auch für Hörgeschädigte über Hörschleife nutzbar.
Hohe Feiertage und religiöse Symbole im Judentum
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 11. August 2024 | 09:15 Uhr