Ein Mann verlässt .2010 eine katholische Kirche.
Die Gründe für einen Kirchenaustritt sind individuell. Bildrechte: picture alliance / dpa | Ingo Wagner

Mitgliederschwund Warum Menschen die Kirche verlassen

25. März 2024, 11:41 Uhr

Jedes Jahr Mitte Juli veröffentlichen die beiden großen Kirchen in Deutschland ihre Mitgliederzahlen. Der Trend der vergangenen Jahre setzt sich fort. Die Zahl der Menschen, die einer Kirche angehören, ist weiter zurückgegangen. Ein Grund ist die hohe Zahl an Kirchenaustritten. Dabei spielen oft persönliche Erfahrungen eine entscheidende Rolle. Die wenigsten, die der Kirche den Rücken kehren, treffen diese Entscheidung leichtfertig.

Florian Beck, Mitte Zwanzig, wurde evangelisch erzogen und hat in seiner Kindheit und Jugend überwiegend positive Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Nach seinem ersten Studium in Jena ging er für einen Freiwilligendienst in ein katholisches Hospiz nach Israel. Dort geriet sein Bild der Kirche ins Wanken, denn er wohnte mit jungen evangelikalen Christen zusammen. Sie wollten, schildert Florian Beck, ihm und seinen Kollegen vorschreiben, wie sie zu leben hätten und was daran Sünde sei: "Wir fanden das absurd und haben es nicht ernst genommen. Aber mich hat damals sehr abgeschreckt, dass sich jemand so sehr radikalisieren kann."

Reaktion auf Scheidung der Eltern sät Zweifel

Auch die Mittzwanzigerin Ella Mannke ist mit kirchlichem Leben aufgewachsen. Sie arbeitet als Pharmazeutin in einer Leipziger Apotheke. Ihre Kindheit verbrachte sie im katholisch geprägten Eichsfeld. Vom katholischen Kindergarten über Kommunion und Firmung machte sie alles mit.

Zweifel kamen auf, als sie anfing, sich selbst zu informieren. So kam die Frage auf: "Glaube ich da überhaupt dran?" Ihre Zweifel wurden noch größer, als sich ihre kirchlich getrauten Eltern scheiden ließen: "Das war im Ort natürlich Gesprächsthema im Sinne von 'Das geht gar nicht.'" Ein Urteil, mit dem Ella Mannke nicht einverstanden war. Seither steht sie der Kirche kritisch gegenüber.

Austritt trotz Jobverlust

Die Sozialpädagogin Dagmar Müller trat vor zwei Jahren aus der katholischen Kirche aus. Bei ihr führte eine Fernsehdokumentation über Missbrauchsfälle zu dieser Entscheidung. Die 31-Jährige sagt, persönlich sei sie nicht betroffen gewesen. Im Gegenteil schätze sie ihre guten Erfahrungen in und mit der Kirche. Doch die Missbrauchsfälle finde sie erschreckend. Letztlich zum Austritt bewegt habe sie aber der Umgang der Kirche damit:

Es geht um den Umgang der Kirche mit den Missbrauchs-Fällen. Ich will nicht dabei sein, wenn das vertuscht statt aufgearbeitet wird.

Dagmar Müller

Für diese Verfehlungen wollte Dagmar Müller als Mitglied der Kirche nicht automatisch mit in Haftung genommen werden. Immer mehr distanzierte sie sich deshalb von der Institution. Durch ihren Kirchenaustritt verlor sie ihre Arbeitsstelle, weil deren christlicher Träger die Kirchenzugehörigkeit voraussetzt. Für diese Gewissensentscheidung habe ihr nicht nur ihr Freundeskreis Respekt gezollt, erzählt Dagmar Müller. Auch ihr Vorgesetzter habe die Entscheidung bedauert:

Mein Chef fand schade, dass eine Person, die für solche Sachen einen Blick hat, die Kirche verlässt.

Dagmar Müller

Glaube ja, Kirche nein

Während ihre Eltern und Großeltern eher enttäuscht reagierten, überraschte die Reaktion der kirchlichen Freundinnen und Freunde sie positiv. Sie würden sie immer noch willkommen heißen, wenn sie gelegentlich in den Gottesdienst käme. Dagmar Müller ist wichtig, dass die gute Verbindung zu ihren Freundinnen und Freunden in der Kirche weiterbesteht. Dass sie nicht mehr kirchlich heiraten oder an den Sakramenten teilhaben darf, empfinde sie nicht als Verlust.

Auch Ella Mannke vermisst nach dem Austritt nichts in ihrem Leben: "Ich glaube nicht an Gott, ich gehe nicht in die Kirche. Mir fehlt nichts." Florian Beck war in der Kirche besonders die Gemeinschaft wichtig. Diese findet er jetzt beim Sport und in der Musik. Er betont, der der Austritt aus der Kirche müsse keinesfalls die Abkehr vom Glauben bedeuten:

Ich sehe mich im Glauben, aber ich sehe mich nicht in einer Kirche.

Florian Beck

Damit spricht er womöglich für viele Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 14. Juli 2021 | 13:10 Uhr