Reportage | 01.06.2023 | 22:55 Uhr Kostbare Zeit: Leben mit einem schwerkranken Kind
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Rund 40.000 Familien in Deutschland leben mit einem schwerkranken Kind. Wie bewältigen sie ihren Alltag? Die Filmemacherinnen Shari Jung und Hannah Genetu begleiten drei betroffene Familien.
Silke Eggers hatte keine Kraft mehr. "Der Erlenbusch hat uns das Leben gerettet" sagt sie heute. Der Erlenbusch ist ein Kinderheim. Dorthin kam ihre Tochter Stina, als es nicht mehr ging. Stina ist schwer krank. Die 14jährige hat den seltenen Gendefekt CDKL5 und braucht rund um die Uhr Hilfe. Ihre Lebens-Zeit ist begrenzt.
Das Wochenende verbringt Stina zu Hause. Diese gemeinsame Zeit genießt die Familie in vollen Zügen, soweit das möglich ist.
Denn auch Stinas Vater ist nach einer bakteriellen Infektion am Kleinhirn ein Pflegefall. So oft wie möglich besuchen sie Vater Jan, denn die gemeinsame Zeit gibt Kraft.
Alltag und die Angst vor dem Loslassen
Bei Familie Koopmann richtet sich alles nach Sebastian. Mit seinen 21 Jahren ist er älter geworden, als man erwartet hatte. Er kam als Frühchen in der 26 Schwangerschaftswoche zur Welt. Das Familienleben ist geprägt von Krankenhausaufenthalten. Planen können sie nicht. Gisela hofft immer wieder, dass ihr Sohn "noch mal die Kurve kriegt". Zu groß ist die Angst vor dem Loslassen. Die 17-jährige Luisa ist mit der Krankheit ihres Bruders groß geworden.
Ich fände es eine schöne Vorstellung, wenn Sebastian ein Stern wird, dann kann ich ihn von überall immer sehen.
Familie Eggers und Koopmann sind nur zwei Familien von den 40.000 in Deutschland, die mit einem schwerkranken Kind leben. Ein Alltag zwischen Brötchenschmieren und Krankenhausaufenthalten, Normalität und Tod.
Wenn Kinder vor den Eltern sterben müssen, möchte keiner gerne darüber sprechen.
Die kleinen Dinge schätzen lernen
Auch Iris und Thomas Höckendorf haben das erfahren. Die beiden haben vier Kinder – zwei gesunde, zwei kranke. Andreas, ihr ältester Sohn, ist mit 21 Jahren an der chronischen Stoffwechselkrankheit Mukopolysaccharidose (MPS) verstorben. Auch ihre 16-jährige Tochter Alina leidet an MPS und es ist ungewiss, wieviel Jahre ihr noch bleiben. Die Krankheit ist angeboren und führt dazu, dass sich die Kinder ab einem gewissen Alter körperlich und geistig zurückentwickeln. Die älteste Tochter Anna-Lena ist bereits zu Hause ausgezogen. Ihr jüngster Sohn Alexander ist 14 und hat ein enges Verhältnis zu seiner kranken Schwester:
Ich mache mir manchmal wirklich Gedanken um Alina, aber meistens möchte ich das gar nicht, weil ich jetzt lieber die Zeit, die ich mit ihr habe, genießen möchte. Andreas ist 21 geworden und mein Ziel ist es, dass Alina noch länger bei mir bleibt.
Sich im Stich gelassen fühlen
Iris und Thomas haben erlebt, dass manche mit dieser Situation nicht gut umgehen können und sich zurückziehen:
So etwas wie Krankheit und Tod gehören nicht mehr in unsere Gesellschaft. Gerade wenn es Kinder betrifft, das ist ganz schlimm, das will man nicht sehen. Dann wird man einfach im Stich gelassen. Dass uns das ein Leben begleitet und man öfter drüber reden möchte, das geht leider nicht.
Der Film erzählt, wie die drei Familien ihren Alltag meistern, beschreibt traurige und glückliche Situationen. Sie wissen, wie zerbrechlich das Leben ist und das jeder Tag kostbar ist.
Über die Filmemacherinnen Hannah Genetu und Shari Jung
Hannah Genetu hat zunächst Medienbildung in Magdeburg studiert. Weil sie aber lieber Geschichten erzählen wollte, als sie aus pädagogischer Sicht zu analysieren, schloss sie einen Masterstudiengang Fernsehjournalismus an der Hochschule Hannover an. Als nächstes könnte sie sich ein Volontariat im Bereich Fernsehen vorstellen.
Shari Jung hat einen doppelten Bachelor in Medienkonzeption und Business in Furtwangen und Wien absolviert. Danach hat sie sich ebenfalls für den Masterstudiengang Fernsehjournalismus entschieden. Zukünftig sieht sie sich als Autorin für serielle Langformate.
Bei ihrem Abschlussfilm "Hinterm Horizont", einem 60-minütigen Dokumentarfilm, haben sie gemeinsam Regie, Drehbuch, Kamera und Ton gemacht. Für den MDR haben sie daraus eine gekürzte Fassung produziert: "Kostbare Zeit- Alltag mit einem schwerkranken Kind“, zu sehen am 20. August bei "Nah dran" und schon vorab bei MDR-DOK YouTube. Der Film wurde gefördert mit Mitteln der nordmedia - Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen mbH
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 01. Juni 2023 | 22:55 Uhr