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Reaktionen auf neue StatistikKirchen beklagen Mitgliederschwund: Analyse und Aufarbeitung als Gebot der Stunde

Stand: 11. August 2022, 14:01 Uhr

Rund 51 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gehören noch einer der beiden großen Kirchen an. Im Corona-Jahr 2020 traten rund 220.000 Menschen aus der evangelischen Kirche aus, etwa ebenso viele aus der katholischen. In diesem Zusammenhang fordert der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bätzing, eine ehrliche Analyse. Mit Blick auf die geringer werdenden Einnahmen spricht Sachsens Landesbischof Bilz von längst bekannten Herausforderungen, aber auch von einer "Überforderung an vielen Orten", die er mit Sorge sehe.

Die Zahl der Christen in Deutschland sinkt weiter. Das geht aus der am Mittwoch vorgelegten neuen Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz hervor. Im Corona-Jahr 2020 traten demnach 220.000 Menschen aus der evangelischen Kirche aus, 221.390 Personen verließen die katholische Kirche. Damit sind die Austrittszahlen weiter hoch, aber um etwa 18 Prozent niedriger als noch 2019.

Bätzing nennt Vertrauensverlust als Grund

Dazu erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bätzing, Corona habe vieles im gesellschaftlichen und kirchlichen Leben verändert. Dabei sei die Kirche in der Pandemie "gerade an den Wegmarken im persönlichen Leben für viele Menschen präsent" gewesen. Er wertete die Kirchenaustritte gleichwohl als Zeichen für einen "Vertrauensverlust". Den dahinter liegenden Fragen müsse man sich "offen und ehrlich" stellen. Dazu gehöre an allererster Stelle die gründliche Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs sowie "die Frage nach Macht und Gewaltenteilung in der Kirche".

Viele haben das Vertrauen verloren und möchten mit dem Kirchenaustritt ein Zeichen setzen. Wir nehmen das sehr ernst und müssen uns dieser Situation offen und ehrlich stellen ( ... ) Dazu gehört an allererster Stelle die gründliche Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs.

Bischof Georg Bätzing | Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Ähnlich äußerte sich der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm: "Jeder Kirchenaustritt bekümmert mich".

Immer noch die größte Religionsgemeinschaft

Die EKD hatte der Statistik zufolge 2020 rund 20,2 Millionen Mitglieder, 2019 waren es noch 20,7 Millionen. Die katholische Kirche zählte nach eigenen Angaben im Vorjahr 22,2 Millionen Mitglieder, 2019 waren es noch 22,6 Millionen. Die Zahl der Protestanten ging demnach insgesamt um rund 477.000 zurück, die der Katholiken um rund 407.000 Mitglieder. Mit den Angehörigen von orthodoxen und Freikirchen stellen die Christen dennoch weiterhin die mit Abstand größte Religionsgemeinschaft in Deutschland.

Sachsens Landesbischof Bilz sieht "Überforderung an vielen Orten" mit Sorge

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens hat im vergangenen Jahr rund 16.000 Mitglieder durch Tod, Austritt oder Wegzug verloren, ihr gehörten Ende 2020 noch 647.238 Menschen an. Landesbischof Tobias Bilz verwies auf die Folgen der Pandemie, aber auch auf die längst bekannten Herausforderungen. Die Mitgliederrückgänge hätten zur Folge, dass Gemeinden und kirchliche Einrichtungen mit weniger Geld und Personal auskommen müssten. Er sehe "mit großer Sorge die Überforderung an vielen Orten", sagte der Bischof:

Wir müssen neu schauen, was mit weniger Mitteln gut zu leisten ist, Kräfte und Energien vielleicht ganz neu ausrichten, um mit christlichen Inhalten in der Gesellschaft wirken und für Menschen da sein zu können.

Tobias Bilz | Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens

Dabei fielen die Austrittszahlen den Angaben nach im Jahr 2020 mit 6.627 Menschen im Vergleich zum Vorjahr etwas niedriger aus. 2019 waren 7.727 Menschen aus der sächsischen Landeskirche ausgetreten. 15.012 Kirchenmitglieder verstarben im vergangenen Jahr. 2019 waren es 12.982. Die Zahl der Taufen verringerte sich von 4.885 im Jahr 2019 auf 2.950.

EKM: Nicht resignieren, neue Formen der Ansprache suchen

Ähnliche Einbrüche bei Taufen oder Trauungen vermeldet auch die Evangelische Landeskirche Mitteldeutschlands (EKM). Als corona-bedingt sieht sie der Dezernent für Gemeinde und Bildung, Christian Fuhrmann, und räumt zugleich ein, dass der Mitgliederschwund seit Jahrzehnten "eine bittere Tatsache" sei, der mit Blick auf die Demografie mittelfristig nicht zu stoppen, sondern bestenfalls zu verlangsamen sei. Der Rückgang sei zu zwei Dritteln auf Todesfälle zurückzuführen, ein Drittel der EKM-Mitglieder sei ausgetreten. Man werde aber nicht resignieren, sondern neue Formen der Ansprache und Gemeindearbeit ausprobieren. 2020 traten 6.514 Menschen aus der EKM aus, 2019 waren es 7.434.

Bistum Görlitz wächst leicht gegen den Trend

Leicht gegen den Trend wuchs das Bistum Görlitz, 169 Menschen traten der katholische Kirche dort bei, wobei die Diözese mit 29.790 Katholiken zugleich Deutschlands mitgliederschwächste ist. Das Bistum verzeichnet seit Jahren einen Zuzug aus dem Nachbarland Polen. Die Zahl der Austritte sank leicht von 226 auf 186. Beim Kirchgang ist das Bistum Görlitz weiter Spitzenreiter unter den 27 deutschen Diözesen. Im vergangenen Jahr kamen durchschnittlich 12,6 Prozent seiner Katholiken zur Sonntagsmesse, im bundesweiten Durchschnitt sind es 5,9 Prozent. Das Bistum Görlitz liegt im Osten Brandenburgs und Sachsens, dort sind rund 3,5 Prozent der Bevölkerung katholisch.

Hingegen ging die Zahl der Katholiken im Bistum Dresden-Meißen weiter zurück, um 1.094 auf 139.269 Menschen. Im Bistum Erfurt verringerte sie sich 2020 gegenüber dem Vorjahr um 1.652 auf 142.752 Mitglieder. Das Bistum Erfurt liegt im Freistaat Thüringen, rund 7,5 Prozent der Einwohner sind katholisch. Die Zahl der Katholiken im Bistum Magdeburg ist ebenfalls weiter rückläufig. 2020 verringerte sich die Zahl der Mitglieder gegenüber dem Vorjahr um 1.462 auf 77.883. Das Bistum Magdeburg liegt größtenteils in Sachsen-Anhalt, gut drei Prozent der Einwohner sind katholisch.

Mehr Austritte, mehr Sterbefälle, weniger Kirchensteuereinnahmen

Die Pandemie sorgte bundesweit nicht nur für Einschnitte im kirchlichen Leben, sondern auch bei den Kirchensteuereinnahmen. Für die EKD sanken sie um 5,4 Prozent auf 5,63 Milliarden Euro. Von den Katholikinnen und Katholiken wurden 2020 insgesamt 6,45 Milliarden Euro Kirchensteuer bezahlt, im Vorjahr waren es 6,76 Milliarden Euro. Die Zahl der Taufen halbierte sich deutschlandweit auf 81.000. Sonstige Aufnahmen in die evangelische Kirche gingen um 28 Prozent zurück und lagen bei 18.000. Die Zahl der evangelisch Verstorbenen stieg dagegen um etwa vier Prozent auf rund 355.000.

Pilotstudie vorgestellt

Die evangelischen Landeskirchen aus Württemberg und Westfalen stellten am Mittwoch eine Pilotstudie zu den Motiven für einen Kirchenaustritt vor. Demnach sind innere Distanz zum christlichen Glauben und die Kirchensteuer die entscheidenden Gründe für diesen Schritt. Für die Untersuchung wurden allerdings nur 256 Menschen in Württemberg und 208 in Westfalen telefonisch nach ihren Austrittsmotiven befragt. Sie soll nun ausgebaut werden.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 14. Juli 2021 | 19:30 Uhr