Anna Jarvis, 1928
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100 Jahre Muttertag | 14. Mai 2023 Über die "Mutter des Muttertages" - Das Erbe von Anna Jarvis

09. Mai 2023, 03:00 Uhr

Am Muttertag die Flagge zu hissen und einen Blumenstrauß zu verschenken, war der kämpferischen Methodistin Anna Jarvis, die selbst nie Mutter war, schon vor über hundert Jahren zu wenig. Der Tag sollte helfen, die Rechte von Müttern und Frauen zu stärken. Eine Erinnerung an die "Mutter des Muttertages", der in Deutschland seit 1923 traditionell am zweiten Sonntag im Mai gefeiert wird.

Der Muttertag ist zwar kein gesetzlicher Feiertag, aber jeder kennt ihn. Und besonders Blumen- und Geschenkehandel sorgen dafür, dass er nicht in Vergessenheit gerät. Dabei wissen die wenigsten, dass sich die "Erfinderin" des Muttertages bis zu ihrem Tod nach Kräften gegen die Kommerzialisierung dieses Gedenktages gewehrt hatte.

Denkmal für die eigene Mutter

Anna Jarvis, um 1900
Anna Jarvis, um 1900 Bildrechte: IMAGO/Heritage Images

Die "Mutter" des Muttertages ist Anna Marie Jarvis. Sie wurde vor am 1. Mai 1864 in einem Dorf im Bundesstaat Virginia geboren. Ihr Vater war ein methodistischer Pfarrer und Anna Marie das neunte Kind der frommen Großfamilie. Annas Vater stirbt früh und nun muss sich die Mutter plötzlich ganz allein um die Großfamilie und die blinde Schwester kümmern. Anna steht der Mutter bei. Sie heiratet nicht, wird Lehrerin und unterstützt die Mutter auch finanziell.

Doch die über alles geliebte Mutter stirbt überraschend am zweiten Sonntag im Mai 1905. Da sie Mittelpunkt und Herz der Familie war, will Anna Jarvis die Erinnerung an die stets hilfsbereite, beliebte und geschätzte Frau nicht einfach verblassen lassen. Sie beschließt, aus dem privaten Gedenken ein öffentliches zu machen und zwar für alle Mütter. Sind denn nicht alle Mütter so wie ihre? Sind es nicht Mütter, von denen der Friede und die Versöhnung für die Welt ausgehen?

Die Idee des Muttertages trifft den Zeitgeist der Vereinigten Staaten

Thomas Woodrow Wilson
Der amerikanische Präsident Thomas Woodrow Wilson erklärte 1914 per Gesetz den Muttertag am zweiten Sonntag im Mai zum offiziellen Staatsfeiertag. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Am 10. Mai, dem zweiten Mai-Sonntag 1908, wird erstmals in einer Methodistenkirche in Grafton, in der Nähe von Philadelphia, ein Gottesdienst zum Muttertag gefeiert. Und Anna Marie Jarvis startet eine Kampagne: Sie wirbt mit Zeitungsartikeln und Briefen an Politiker, Frauenverbände und Kirchenführer für die Einführung eines "Freundschafts- und Danktages der Mütter". Am 8. Mai 1914 unterschreibt der amerikanische Präsident Thomas Woodrow Wilson einen vom amerikanischen Kongress einstimmig beschlossenen Erlass, dass künftig am zweiten Sonntag im Mai der Muttertag begangen werden soll. Anna Marie Jarvis hatte ihr Ziel erreicht, aber um welchen Preis?

Bilder Wie der Muttertag in anderen Ländern gefeiert wird

In Deutschland wird der Muttertag seit 1949 traditionell am zweiten Sonntag im Mai gefeiert, gern mit einem, Blumenstrauß. Wie aber sieht das anderswo aus?

Frauen feiern ausgelassen das Durga Puja Festival in Indien
INDIEN: Neben dem modernen Muttertag am 11. Mai gibt es für die Mütter einen Tag des zehntägigen Festes "Durga Puja" im Oktober. Dieses ist der sowohl gütigen wie auch strafenden Göttin Durga gewidmet. Am zehnten Tag "Vijaya" werden alle Mütter geehrt. (Foto: Frauen feiern ausgelassen das Durga Puja Festival in Indien) Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland.
Frauen feiern ausgelassen das Durga Puja Festival in Indien
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Simnel Cake
GROSSBRITANNIEN: Am 30. März erhalten viele Mütter den sogenannten "Simnel Cake". Der Kuchen geht auf eine Geschichte von den Geschwistern Simon und Nell zurück, die sich nicht einigen konnten, ob sie ihrer Mutter einen Kuchen backen oder kochen sollten und taten schließlich beides. Heute besteht der "Simnel" aus Früchtebisquit mit einer Marzipanschicht. (Foto: Simnel Cake) Bildrechte: IMAGO / UIG
Eine Frau trägt in einem Vorort von Addis Adeba (Ąthiopien) Lasten auf ihrem Kopf.
ÄTHIOPIEN: Hier ist für den Muttertag kein präzises Datum vorgesehen. Der Festtag hängt vom Beginn der Fruchtbarkeit bringenden Regenzeit im Oktober und November ab. Wenn die ersten Regentropfen fallen, finden sich alle Kinder im Elternhaus ein und feiern mehrere Tage bei gutem Essen, Musik und Tanz. (Foto: Frauen in einem Vorort von Addis Adeba) Bildrechte: picture alliance/dpa | Ursula Düren
Geburtstagsfeier für Thailands Königin Sirikit 2016
THAILAND: Der Geburtstag der beliebten Königin und Landesmutter Sirikit am 12. August wird zum Anlass genommen, die Mütter zu verwöhnen. An diesem Festtag werden die Straßen in ganz Thailand mit Lichtergirlanden, Blumen und Bildern der Königin festlich geschmückt. Es wird gefeiert, aber es herrscht striktes Alkoholverbot. (Foto: Geburtstagsfeier für Thailands Königin Sirikit 2016) Bildrechte: IMAGO / Pacific Press Agency
Mariachi-Musiker in Mexiko
MEXIKO: Der Muttertag am 10. Mai wird vor allem mit Musik begangen. Kinder und andere Familienmitglieder singen der Mutter Lieder vor oder mieten sogar eine Mariachi-Band (Mariachis sind fester Bestandteil der mexikanischen Folklore. Ihre Lieder sind sehr gefühlvoll, vermitteln viel Freude, aber auch viel Melancholie). Zudem sind Familienfrühstück oder Brunch sowie Blumengeschenke üblich. (Foto: Ein Mariachi-Musiker in Mexiko) Bildrechte: picture alliance/dpa | SUSANA GONZALEZ
Japanischer Blumenladen
JAPAN: Hier wurde der Muttertag nach US-Vorbild während des Zweiten Weltkrieges verboten. 1949 wurde er wieder eingeführt. Heute wird der Muttertag in Japan am 11. Mai mit ähnlichen Bräuchen wie in Deutschland gefeiert. (Foto: Japanischer Blumenladen) Bildrechte: imago/Kyodo News
Frische Croissants mit Marmelade und Blumen zum Frühstück
FRANKREICH: Hier wird der Muttertag am 25. Mai gefeiert. Neben den obligaten Blumen erhalten die Mütter einen besonderen Kuchen in Form eines stilisierten Blumenstraußes. (Foto: Frische Croissants mit Marmelade und Blumen) Bildrechte: IMAGO / CHROMORANGE
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Eine Blume: Das falsche Symbol

Am Muttertag die Flagge zu hissen und einen Blumenstrauß zu verschenken, war der kämpferischen Methodistin, die selbst nie Mutter war, zu wenig. Der Tag sollte helfen, die Rechte der Mütter – der Frauen – durchzusetzen. Beispielsweise das Frauenwahlrecht. Doch plötzlich wurde der Blumenstrauß zum Zeichen des Gedenktages.

Anna Jarvis hatte nach dem ersten Gedenkgottesdienst für ihre Mutter deren Lieblingsblume, die Nelke, verteilt: weiße Nelken für die verstorbenen Mütter, rote für die lebenden. Ein wunderbares Symbol, das zur Anregung für Blumenhändler wurde. Floristen, Juweliere, Süßwaren- und Grußkartenproduzenten witterten ihr Geschäft und vereinnahmten den Gedenktag schnell.

Anna Marie Jarvis wehrte sich bis an ihr Lebensende gegen dies Vereinnahmung des Muttertages durch Handel und Industrie. Und sie zieht dagegen sogar vor Gericht. Doch die Lobby derjenigen, die an diesem Tag verdienen, ist zu groß. Anna verliert schließlich alles und kann nicht einmal das Altenheim bezahlen, in dem sie ihre letzten Lebensjahre verbringt. Ironie der Geschichte: Die Kosten übernehmen schließlich Blumenhändler. Anna Maria Jarvis sollte davon nie etwas erfahren. Sie stirbt am 24. November 1948.

In der NS-Diktatur politisch missbraucht

Der Muttertag ist heute der Tag, an dem die Blumenläden ihr großes Frühjahrsgeschäft machen. Und der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber war es auch, der den Muttertag in Deutschland 1923 durch Kampagnen und Werbeplakate mit dem Spruch "Ehret die Mutter" etablierte. Später erfährt der Tag im NS-Regime eine fatale Umwidmung.

Der Mutterkult unter den Nationalsozialisten gründet sich in erster Linie darauf, dass Frauen Kinder gebären sollten - je mehr, desto besser. Ab 1938 winkt dafür das Mutterkreuz als Auszeichnung. Verliehen wird es - im Volksmund auch "Karnickelkreuz" genannt - am Muttertag, den die Nazis nach der Machtergreifung schnell für sich vereinnahmten und 1934 offiziell zum Feiertag erklärten. Endlich, so scheint es, wird die biologische Funktion der Frau vom Staat gebührend anerkannt. "Mutter, Deine Söhne sind die Zukunft des Staates", so propagieren es die Nazis.

Die Instrumentalisierung durch die Nazis und die spätere Kommerzialisierung des Muttertages ab den 1950er-Jahren lösen bis heute bei vielen Menschen zwiespältige Gefühle aus.

Muttertag abschaffen?

Barbara Thiessen, Professorin für Soziale Arbeit und Gender Studies an der Hochschule Landshut, würde den Muttertag nicht einfach abschaffen, sondern gerechter machen - sie plädiert für einen "Pride Care Day". Der sollte die Care-Arbeit, also die Arbeit für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige, in den Mittelpunkt stellen und das unabhängig vom Geschlecht der Person, der sie macht. An Mutter- wie Vatertagen würden allzu oft Geschlechtermuster der 1950er-Jahre transportiert, die nicht mehr der Realität entsprächen.

Wie auch der Frauentag am 8. März solle der "Pride Care Day" eine politische Komponente bekommen, findet Thiessen. "Politisches Anliegen wäre, Care-Aufgaben zum Normalfall für alle zu machen." Damit käme man auch den historischen Wurzeln des Muttertages wieder näher.

Programmtipp:

"Mutter in Haft" | 11.05. 2023 | 23:40 Uhr +14.05.2023 | 07:30 Uhr

"Glück zu zehnt" | 14.05.2023 | 14:10 Uhr im MDR Fernsehen

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Mutter in Haft | 14. Mai 2023 | 07:30 Uhr

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