Pro und Contra Wie gerecht sind Werkstätten für Menschen mit Behinderung?

11. September 2023, 13:51 Uhr

Die Kritik an Werkstätten für Menschen mit Behinderung, der schlechten Entlohnung und geringen Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt reißt nicht ab. MDR Selbstbestimmt widmete sich 2021 ausführlich dem Thema. Wir beleuchten verschiedene Standpunkte und stellen Menschen mit ihren Ideen vor, die helfen sollen, das Werkstattsystem gerechter zu gestalten

Junge Frau arbeitet in Werkstatt.
In einer Behinderten-Werkstatt Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In Deutschland sind etwa 320.000 Menschen mit Behinderung in Werkstätten beschäftigt. Drei Viertel von ihnen haben eine kognitive Einschränkung, 22 Prozent eine psychische und nur drei Prozent eine körperliche. Die Werkstätten existieren neben dem regulären Arbeitsmarkt und die Mitarbeiter sind keine Arbeitnehmer. Die UNO kritisiert, dass Werkstätten in puncto Chancengleichheit, Lohn und Inklusion nicht den Zielen der Behindertenrechtskonvention entsprechen.

Pro: Werkstätten als Teil der Lösung

Imke Klocke, Geschäftsführerin der Werkstätten der Vereinigung für Jugendhilfe (VfJ Werkstätten GmbH) in Berlin ist für den längerfristigen Fortbestand von Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Sie findet, dass die Diskussion um den Erhalt der Werkstätten große Ängste bei den Mitarbeitern schüre. Sie könne sich aber vorstellen, dass Werkstätten stärker direkt in Unternehmen verortet werden.

Contra: "Werkstätten behindern!"

Ganz anderer Meinung ist da Anne Gersdorff, Sprecherin vom Projekt "JOBinklusive". Sie fordert, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr in Werkstätten arbeiten müssen. Dafür sollen Alternativen zu den Behindertenwerkstätten entwickelt und bestehende Alternativen besser genutzt werden. Werkstätten sollen ihrer Meinung nach viel mehr dafür tun, dass Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können.

Reform der Vergütung: "Am selben Strang ziehen"

Ein weiterer Kritikpunkt an der Arbeit in den Werkstätten, ist die geringe Entlohnung. Darüber hat sich auch Andreas Sperlich, Geschäftsführer der Union Sozialer Einrichtungen Berlin seine Gedanken gemacht. Er setzt sich dafür ein, dass in den Werkstätten ein Lohn ausgezahlt wird, der die verschiedenen Vergütungen zusammenfasst und es so den Mitarbeitern ermöglicht, ihr Leben selbstbestimmt zu bestreiten. Außerdem wünscht er sich eine stärkere Zusammenarbeit von allen Akteuren: den Aktivisten, den Werkstatt-Trägern und der Politik, um gemeinsam das komplexe Problem Werkstätten zu lösen.

Voraussetzung: Inklusive Bildung für mehr Chancen

Inklusions-Aktivist Raul Krauthausen meint in seiner Kolumne, dass die Ursachen für die Probleme der Werkstätten schon viel früher zu suchen sind. Für ihn ist inklusive Bildung der Schlüssel zum Erfolg. Zahlreiche Studien belegen, dass die Karrierechancen von Menschen mit Behinderung dann am besten sind, wenn sie inklusiv, gemeinsam mit nicht-behinderten Menschen gelernt haben.

Beispiel Sachsen: Praxisbausteine als Zertifikate für den Arbeitsmarkt

Junge Menschen aus Förderschulen kommen oft ohne Abschluss in die Werkstätten. Die Folge ist, dass sie nie eine anerkannte Ausbildung haben werden. Die Bildungsbereiche in den Werkstätten haben vor ein paar Jahren angefangen - so weit möglich - Fähigkeiten aus anerkannten Berufen zu vermitteln. Sachsen ist das einzige Bundesland, das es geschafft hat, zusammen mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) und Handwerkskammer (HWK) eine Einigung zu finden: Sogenannte Praxisbausteine - Zertifikate über Teilfähigkeiten – werden anerkannt.

Einer, der sich dafür einsetzt, ist Manuel Schramm. Er arbeitet als Mediengestalter in der Lukaswerkstatt Zwickau und ist dort einer von fünf Werkstatträten.

Alternative: Biohof Franke in Crimmitschau

Menschen, die sich in den Werkstätten nicht wohlfühlten, haben auf einem Ökohof in Crimmitschau eine Alternative gefunden. Auf dem Biohof Franke ist die Arbeit mit viel Bewegung und frischer Luft verbunden. Vor allem aber erledigen hier Mitarbeiter mit Behinderung viele Aufgaben weitgehend selbstständig. Das ist eines der Hauptanliegen der Chefin Uta Franke.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 10. Oktober 2021 | 08:00 Uhr