Reportage Pfarrer im Visier der Rechten: Wir kriegen dich!

22. Juli 2023, 15:16 Uhr

Wie Pfarrer ins Fadenkreuz der rechtsradikalen Szene geraten und trotzdem an ihrem Einsatz für Toleranz und Menschenrechte festhalten, zeigt Nah dran.

Mitten in der Nacht kommen sie und läuten beim Pfarrer von Aldenhoven. Charles Cervigne ist dafür bekannt, dass er sich seit Jahren um Geflüchtete kümmert und auch Kirchenasyl organisiert. Schon seit seiner Studentenzeit kämpft er gegen rechtsradikale Umtriebe.

"Das ist eine Grenzerfahrung!"

Szene aus "Wir kriegen Dich! - Pfarrer im Visier der Rechten.
Pfarrer Charles Cervigne erinnert sich an den gewaltsamen Übergriff. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Als die Flüchtlingswelle ihren Höhepunkt erreicht, wird Cervigne massiv von rechten Schlägern angefeindet und bedroht, dieses Mal im Februar 2016 machen sie ernst. An seiner Haustür wird er niedergeknüppelt. Ohne Spuren zu hinterlassen, tauchen die Täter ab. Der Angriff ruft die Gemeindeglieder auf den Plan: Sie organisieren sich, um das Pfarrhaus zu bewachen.

In Aldenhoven, einer scheinbar idyllischen Kleinstadt an der holländischen Grenze, gibt es überdurchschnittlich viele Sozialhilfeempfänger und, so sagt Cervigne, viele Menschen die sich grundsätzlich abgehängt fühlen. Als vor acht Jahren der erste NPD-Bürgermeistenkandidat antrat, schrillten die Alarmglocken, erzählt er. Damals bildet sich spontan ein "Bündnis gegen Rechts" und Cervigne beginnt mit anderen, dort besonders aktive Jugendarbeit zu machen, wo es brennt. Zu den Angeboten der Gemeinde gehört die Hausaufgabenbetreuung, aber auch die Tafel, wo es kostenlos Lebensmittel gibt für alle Bedürftigen - ungeachtet Herkunft und Religion. Cervigne lässt sich nicht beirren, auch wenn er sagt, dass das Attentat eine Grenzerfahrung für ihn war:

Wenn wir die Gnade Gottes erwarten, müssen wir Menschen erst einmal anfangen, selbst gnädig untereinander zu sein.

Chalres Cervigne, Pfarrer in Aldenhoven, Nordrhein-Westfalen


"Hass führt nicht weiter"

Im niedersächsischen Unterlüß in der Lüneburger Heide wird Pfarrer Wilfried Manneke an einem Dezember-Morgen 2011 von seinem Sohn auf eine Brandspur am Haus aufmerksam gemacht. Der Junge will gerade zur Schule gehen, als er die Reste eines Molotow-Cocktails findet. Der landete in der Nacht nur knapp neben dem Küchenfenster an der Wand, ein Treffer hätte die Familie auslöschen können.

Szene aus "Wir kriegen Dich! - Pfarrer im Visier der Rechten.
Protest gegen Neonazi-Treffen in der Lüneburger Heide Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Manneke tritt mit anderen seit Jahren auf gegen die rechten Umtriebe in der Region, im Umkreis von 50 Kilometern gibt es gleich vier Neonazi-Kameradschaften. Sein Engagement hat eine Vorgeschichte: Bevor er 1995 nach Unterlüß kommt, ist er EKD-Auslandspfarrer in Südafrika, noch zur Zeit der Apartheid. Was er in Südafrika erlebt, macht ihn sensibel auch für Formen des Rassismus in seiner Heimat Deutschland. In Unterlüß schließt er sich den Protesten gegen das Neonazi-Zentrum "Hetendorf 13“ an. Heute sagt er:

Seit dem Brandanschlag bin ich eigentlich noch mehr davon überzeugt, dass wir uns den rechtsextremisten in den Weg stellen müssen. Von ihnen geht eine Gefahr aus und das dürfen wir nicht ignorieren.

Wilfried Manneke, Pfarrer in

Vor allem findet er, dass Aufklärung notwendig ist. Deshalb geht er mit einem Anti-Gewalt-Trainer auch regelmäßig in die Grundschule.

Solidarität, aber auch Ablehnung: "Was macht er die Klappe auf?"

"Wir kriegen Dich bald!", diesen Satz hört Pfarrer Michael Kleim in Gera immer wieder - auch nachts am Telefon. Zudem ist er Gewaltaufrufen im Internet ausgesetzt - das geht auch seinen Amtsbrüdern Manneke und Cervigne so. Kleim erfährt Solidarität, aber auch Ablehnung nach dem Motto: "Selbst schuld, was macht er die Klappe auf?"

Szene aus "Wir kriegen Dich! - Pfarrer im Visier der Rechten.
Pfarrer Michael Kleim lässt die Glocken läuten. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Schon in der DDR hat sich Kleim für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt und wird von der Stasi überwacht. Als Jugendpfarrer wirkt er lange Jahre in Gera, die rechten Umtriebe in der Stadt beunruhigen ihn. Der Kampf gegen Rechts wird - eher wider Willen - sein Lebensthema. Aus seiner Stadt vertreiben lassen will er sich nicht. "Freiheit hat ihren Preis", sagt er, "Sie fällt nicht vom Himmel, sie muss erstritten und auch verteidigt werden. Zuletzt stellt er sich am 1. Mai einem Aufzug entgegen, den "Der Dritte Weg", eine rechtsextremistisch-neonazistische Kleinpartei, in Gera veranstaltet und der direkt an seiner Kirche vorbeiführt. Kleim ist der Meinung: Es lohnt sich, Gesicht zu zeigen. Als unüberhörbares Zeichen lässt er parallel zum Aufzug der Nazis die Glocken läuten. Er findet:

Das Hauptproblem in Gera sind nicht die paar aktiven Nazis, sondern ist eben eine große Menge an gleichgültigen Menschen. Wir werden nicht verhindern, dass es Nazis gibt, aber wir können verhindern, dass diese Leute sich faktisch ungehindert ausbreiten, Angst erzeugen und eine öffentliche Präsenz gewinnen, die ihnen nicht zusteht.

Michael Kleim, Pfarrer in Gera, Thüringen

Sich als Teil eines Gemeinwesens fühlen

Szene aus: Wir kriegen Dich! - Pfarrer im Visier der Rechten.
Besuch in Möllenhagen Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Nur wenige Menschen im Osten gehören der Kirche an. Stefan Lauterbach von der "Sozial-Diakonischen Arbeit" sagt, "wir sind Kirche, aber wir haben keine Schwelle". Mit dem blauen Volx Mobil der evangelischen Kirche fährt er durch Mecklenburg-Vorpommern, wo weit über 20 Prozent die AfD wählen und die Menschen wenig Perspektiven haben. Station macht er u.a. in Möllenhagen, dort, wo es sonst nicht viele Freizeitangebote für Kinder gibt. Am Ortsrand sind seit fünf Jahren Asylbewerber untergebracht, vor dem Heim gab es Nazi-Aufmärsche. Lauterbach versucht, den Platz mit seinem Volx Mobil "zu besetzen", er glaubt an persönliche Begegnungen, die wirken gegen den Hass:

Szene aus: Wir kriegen Dich! - Pfarrer im Visier der Rechten.
Stefan Lauterbach setzt auf Begegnungen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ich glaube schon, dass gelebtes Gemeinwesen Menschen davon abhält, sich total ausgeschlossen und abgeschoben zu fühlen. Denn das ist ja letztendlich das, was Leute nach Rechts treibt.

Stefan Lauterbach, Streetworker der Diakonie in Mecklenburg-Vorpommern