Schlachthof Tönnies und Wemhoff Transport in Weißenfels.
Der Tönnies-Schlachthof ist der größte Arbeitgeber in Weißenfels. Bildrechte: imago/Steffen Schellhorn

Weißenfels Tönnies-Schlachthof: Hoffnungsträger und Ärgernis in einem

28. Mai 2020, 19:12 Uhr

Der Schlachthof in Weißenfels prägt das Stadtleben – im Guten wie im Schlechten. Neben Arbeitsplätzen und Steuergeldern steht die Anlage auch für extreme Schwierigkeiten, Lärm und Gestank. Nach zahlreichen Corona-Fällen rückten die Fleischbetriebe in ganz Deutschland in den Blickpunkt. Auch in Weißenfels gab es deswegen Massentests. Doch aller Kritik zum Trotz: die Zukunft der Stadt hängt entscheidend an der Entwicklung der Fleischfabrik, glaubt Oberbürgermeister Robby Risch.

MDR-Reporter Oliver Leiste
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Wenn man auf der kleinen Wiese neben der Kirche in Burgwerben bei Weißenfels steht, hat man eine wunderbare Aussicht. Auf die Saale etwa, die nur wenige Meter entfernt fließt. Oder auf Schloss Neu-Augustusburg, das hoch über der nahen Saalestadt thront. Doch beim Blick über Weißenfels fällt dem Beobachter nicht unbedingt die landschaftliche Schönheit, sondern vor allem ein Gebäude sofort ins Auge: der Schlachthof. Zentral und unweit des Saaleufers gelegen, prägt die riesige Anlage das Stadtbild. Und sie beeinflusst auch das Leben in der Stadt auf vielfältige Weise – positiv wie negativ.

Geschlachtet wird an dieser Stelle schon mindestens seit dem 19. Jahrhundert. Kurz vor dem Ende der DDR beschloss die Parteiführung einen Ausbau des Werks, um künftig bis zu 2.000 Schweine pro Tag schlachten zu können. Das Projekt wurde erst in der Wendezeit fertiggestellt und schon kurz danach erwarb der Fleischfabrikant Clemens Tönnies 1990 den Betrieb von der Treuhand.

Weißenfels war zu dieser Zeit vor allem für seine Schuhfabrik bekannt. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter verdienten zudem in den nahen Chemiewerken in Leuna und Schkopau ihr Geld. Doch die großen Industriebetriebe gingen bald den Bach runter. Die Einwohnerzahl schrumpfte und viele wurden arbeitslos. Ein Schicksal, das Weißenfels mit den meisten anderen Städten in Ostdeutschland teilte.

Nach der Wende: Hoffnungsträger Schlachthof

Der Schlachthof wuchs derweil und gab vielen Menschen eine neue Perspektive. Er ist heute mit etwa 2.200 Beschäftigten größter Arbeitgeber der Stadt. "Dank des Schlachthofs liegt unsere Bevölkerungszahl in der Kernstadt seit sieben, acht Jahren recht stabil bei 32.000" sagt Robby Risch, seit 2008 Oberbürgermeister in Weißenfels. Hinzu kommen etwa 10.000 Bewohnerinnen und Bewohner in den eingemeindeten Ortsteilen.

In der Fleischfabrik arbeiten überwiegend Menschen aus osteuropäischen Ländern. Auch für sie ist Weißenfels teilweise zur neuen Heimat geworden, berichtet Risch, nicht ohne Stolz. "Viele migrantische Arbeitnehmer leben seit vielen Jahren in Weißenfels und haben sich hier integriert. Es sind nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder. Davon profitiert die Stadt enorm." Insgesamt leben etwa 1.800 Polinnen und Polen in der Saalestadt – es ist die größte polnische Community in Sachsen-Anhalt.

Arbeitgeber, Steuerzahler, Unterstützer

Im Schatten des Tönnies-Werkes haben sich weitere große Unternehmen in Weißenfels angesiedelt. Fensterbauer Schüco etwa, das Milchwerk Frischli oder die Mitteldeutsche Erfrischungsgetränke GmbH. Gemeinsam sorgen die Unternehmen für einen erheblichen Teil der Gewerbesteuer-Einnahmen der Stadt. Dazu tragen auch die Werkvertragsunternehmen des Schlachthofs bei. Sie wurden von der Stadt verpflichtet, in Weißenfels ein Gewerbe anzumelden. "Mit diesen Einnahmen können wir ganz gut planen", erklärt Oberbürgermeister Risch. "Dagegen gibt es bei Tönnies selbst je nach Auftragslage einige Schwankungen."

Neben Arbeitsplätzen und Steuern ist es noch ein weiterer Aspekt, der Risch einfällt, wenn er an Tönnies denkt: das finanzielle Engagement des Unternehmens im Ort. Der Oberbürgermeister nennt einige Bespiele: "Wir haben seit vier Jahren auf dem Weihnachtsmarkt eine Fläche zum Eislaufen. Da gibt es vier Partner, die der Stadt diese Anlage sponsern. Tönnies ist einer davon. Im Rahmen der Flüchtlingskrise 2015 haben wir in der Innenstadt ein Büro angemietet, um die Menschen zu betreuen. Da hat die Firma Tönnies nach einem Anruf die Kosten übernommen, inklusive Miete." Auch bei Sportvereinen, etwa den Bundesligabasketballern vom MBC oder bei Rot-Weiß Weißenfels beteilige sich das Unternehmen. Zudem bezahle es die Nachhilfe "Deutsch für Ausländerkinder", so Risch.

Problemviertel Neustadt – Heimat vieler Werksarbeiter

Von der positiven Bewertung des Rathauses ist am anderen Saaleufer nicht mehr viel zu spüren. Dort, hinter dem Bahnhof, beginnt die Neustadt. Das Viertel ist das größte in Weißenfels und liegt in direkter Nachbarschaft zum Schlachthof. Ein großer Teil der ausländischen Werksarbeiter wohnt hier. Neben Polen sind es vor allem Bulgaren und Rumänen. Hinzu kommen zahlreiche Familien, die schon seit vielen Jahren von Hartz 4 leben. Etliche Häuser wirken heruntergekommen. Durchaus ein sozialer Brennpunkt also.

Die Bedingungen, unter denen Beschäftigte solcher Schlachthöfe leben und arbeiten müssen, wurden von verschiedenen Medien in der Vergangenheit immer wieder thematisiert. Überlange Arbeitszeiten und enormer Druck prägen das Klima im Schlachthof, wird dabei berichtet. Beweisen lässt sich das kaum. Anders sieht es bei den Unterkünften aus. In der Vergangenheit hausten teilweise bis zu zehn Personen in kleinen Wohnungen.

Vermietet wurden diese von den städtischen Wohnungsgesellschaften, aber teilweise auch von den Werkvertragsunternehmen des Tönnies-Werkes. Auch vermüllte Straßen waren in der Weißenfelser Neustadt vor einigen Jahren an der Tagesordnung. Nach einem MDR-Bericht im Jahr 2017, der das traurige Ausmaß der Wohnbedingungen zeigte, reagierte die Stadtverwaltung.

Stadt startet Monitoring-Programm gegen Wildwuchs im Wohngebiet

"Uns wurde klar, dass wir gar nicht so genau wissen, wer in den Häusern eigentlich wohnt", erzählt Robby Risch. Denn die Arbeitenden seien zwar angemeldet worden. Eine Abmeldepflicht bei Wegzug bestand jedoch nicht. Deshalb standen an manchen Klingelschildern "gefühlt 50 Namen", so der Oberbürgermeister.  Die Stadt organsierte sich Ansprechpartner bei den Werkvertragsunternehmen von Tönnies und startete ein Monitoring-Programm.

Dabei wurde bestimmt, dass Menschen, die Weißenfels wieder verlassen, auch abgemeldet werden. Dass viele der Arbeitenden nur für wenige Monate in Weißenfels leben, sieht Robby Risch pragmatisch: "Werksvertragsleute arbeiten wie auf Montage. Sie haben für sich entschieden, dass sie nicht dauerhaft hier bleiben wollen. Für Osteuropäer sind Mindestlohn und das Kindergeld dazu gute Einkommen. Da müssen wir akzeptieren, dass manche nur für eine bestimmte Zeit herkommen wollen."

1.200 Coronatests ohne Befund

Neben der verbindlichen Abmeldung erließ die Stadt auch Regeln für die Wohnungen. Bis dato richtete sich die Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner nach der Quadratmeterzahl. "Aber da wurden ja auch Küche und Bad mitgezählt. Nun gibt es feste Vorgaben, wie viele Leute sich eine bestimmte Anzahl von Zimmern teilen dürfen", erläutert der Rathauschef.

Auch das Müllproblem hat die Stadt augenscheinlich in den Griff bekommen. Dass vor zwei Wochen bei einer Massenüberprüfung von 1.200 Mitarbeitenden nicht ein einziger Coronafall entdeckt wurde, spricht ebenfalls dafür, dass es bei den Hygienebedingungen der Werksarbeiter in den vergangenen Jahren Veränderungen gab.

Anwohner beklagen Geruchsbelastungen

Während die Lebensbedingungen für Mitarbeitende des Schlachthofs also offenbar verbessert wurden, fühlen sich viele alteingesessene  Anwohner übergangen. Das berichtet Hubert Schmoranzer, der Ortsbürgermeister von Burgwerben. Der Ortsteil liegt ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schlachthof. Der 67-Jährige sagt: "Emissionsmäßig ist das eine Katastrophe. Denn an manchen Tagen ist die Geruchsbelastung so stark, dass man sagt, das kann doch nicht wahr sein. Je nach Windrichtung leidet der ganze Norden von Weißenfels."

Eigentlich müsste die Fabrik umziehen, fordert er – wohlwissend, dass das nicht passieren wird. Dieser Schritt hätte Mitte der Neunzigerjahre erfolgen müssen, bevor das Werk zu groß wurde. "Da hat man leider nicht rechtzeitig die Bremse reinbekommen", so Schmoranzer. Seit dem letzten Ausbau vor zehn Jahren werden täglich bis zu 20.000 Schweine geschlachtet. Neben Gestank bereiten auch Betriebs- und Verkehrslärm den Anwohnern Kopfzerbrechen. Immer wieder formulieren sie deswegen Beschwerden.

Beschwerde bei Umweltministerin Dalbert

Verantwortlich für die Kontrolle der Emissionswerte ist das Landesverwaltungsamt in Halle. Doch dort ignoriert man die Klagen der Weißenfelser, sagt Schmoranzer: "Es gibt Gesetze, Auflagen und Gutachten, aber das Unternehmen befolgt sie nicht. Wenn Behörden da ordentlich kontrollieren würden, müsste dem Unternehmen Druck entstehen. Aber das Landesverwaltungsamt reagiert einfach nicht."

Deshalb haben Mitglieder einer Bürgerinitiative im April sogar eine Beschwerde bei Umweltministerin Claudia Dalbert eingereicht. Diese liegt MDR SACHSEN-ANHALT vor. Die Beteiligten hoffen, dass die Ministerin die Behörde veranlasst, endlich auf die Beschwerden der Anwohner zu reagieren. Fragt man im Rathaus nach diesem Thema, spricht Robby Risch auch hier von großen Verbesserungen. Beschwerden reiche man an das Landesverwaltungsamt weiter, diese seien jedoch nicht massiv, schätzt er ein.

Werkvertragsverbot als Chance für Weißenfels

Der Blick des Oberbürgermeisters geht derweil nach vorn. Für die Zukunft von Weißenfels könnte der Schlachthof – trotz aller Kritik – einmal mehr eine wichtige Rolle spielen, glaubt Risch. Insbesondere, wenn die Bundesregierung tatsächlich die Werkverträge in der Fleischindustrie verbietet, so wie es aktuell geplant ist. "Das ist für uns eine große Chance", sagt Risch. "Tönnies muss sich dann selbst um Arbeitnehmer kümmern. Da ist eine andere Administration vor Ort nötig, ein eigenes Management. Wir hoffen, dass dadurch auch qualifizierte Arbeitsplätze entstehen und Menschen sich dauerhaft hier ansiedeln."

Risch wünscht sich, dass vermehrt ganze Familien nach Weißenfels kommen und dann auch bleiben. Entwicklungen bei den anderen Großunternehmen der Stadt deuten bereits in diese Richtung. Um diese weiter zu forcieren, will Risch die Neustadt von ihrem schmuddeligen Image befreien. Dabei soll nach seiner Vorstellung die Firma Tönnies helfen. Gespräche dazu laufen bereits. "Platz und Wohnraum haben wir genug", sagt der Weißenfelser Oberbürgermeister. "Aber es fehlt unter anderem an Freizeitmöglichkeiten." Diese zu schaffen ist eine der wichtigsten Aufgaben für die nächsten Jahre. Damit der Schlachthof nicht nur optisch und finanziell das Bild der Stadt prägt. Sondern damit sich auch die Menschen in seinem Umfeld einigermaßen wohlfühlen.

MDR-Reporter Oliver Leiste
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Über den Autor Oliver Leiste arbeitet seit Anfang 2015 bei MDR SACHSEN-ANHALT - mit dem Schwerpunkt Sport. Dabei begleitet er den Halleschen FC, den 1. FC Magdeburg und den SC Magdeburg durch alle Höhen und Tiefen. Zudem ist er immer auf der Suche nach spannenden Geschichten aus dem Süden Sachsen-Anhalts. Während seines Anglistikstudiums in Leipzig und auch danach war er für die Mitteldeutsche Zeitung in Halle und Radio Mephisto 97,6 am Ball. Als gebürtiger Bernburger hat er in Sachsen-Anhalt schon vieles gesehen und noch lange nicht genug davon.

Quelle: MDR/olei

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 30. Mai 2020 | 12:00 Uhr

5 Kommentare

Frank von Broeckel am 29.05.2020

Essen müssen die Leute ja schließlich immer!

Liebe Weißenfelser,
als in Weißenfels erst vor kurzer Zeit neu zugelaufen.. ähm zugewanderter Ex-Wessie, nur soviel :

Lassen Sie sich bloß NIX von diesen oberlehrerhaften, angeblich(!) superveganen und zumeist aus den Westen erst zugewanderte grüne Nomenklatura vorschreiben!

Denn die leckeren Schnitzel, Würstchen und andere äußerst schmackhaften Fleisch- und Wurstwaren für den nächsten Grillabend müssen ja schließlich von irgendwo herkommen!

Bleiben Sie also weiterhin einfach so, wie Sie schon immer waren, und lassen Sie diese naserümpfenden grünen Verganer auch weiterhin deren Broccoli beim nächsten Grillabend rösten!

Mini Matz am 29.05.2020

Kompliment, in Nicknamen und 2 Sätzen alle deine Vorurteile zu verpacken - das muss man erst mal schaffen. Das hat zwar so gut wie nichts mit dem Artikelthema zu tun...aber immerhin hast du es mal geschrieben.

Ein Linker Zensor am 29.05.2020

Die Grünen wollen, das wir alle Vegan werden und auf alles verzichten, was die Umwelt belastet, aber gaaaaanz viel Steuern zahlen um die halbe Welt einzuladen.
Macht doch die Wirtschaft platt, dann ist endlich ruhe.

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