22. Verhandlungstag mit Schlussplädoyers Rechtsanwalt über Halle-Attentäter: "Er ist gefährlich und zwar für alle"

01. Dezember 2020, 15:09 Uhr

Es ist der 22. Prozesstag zum Halle-Attentat – am Dienstag standen die Schlussplädoyers der Nebenkläger im Mittelpunkt. Auch die Mutter des ermordeten Kevin S. war in den Sitzungssaal gekommen.

Der 22. Verhandlungstag im Halle-Prozess beginnt anders als sonst, wie Rechtsanwalt Eifler beschreibt: "Sicherlich haben einige bemerkt, dass ich nicht vorne Platz genommen habe. Warum? Weil es heute eine Mandantin zum ersten Mal seit vier Monaten geschafft hat, hierher zu kommen." Damit meint er die Mutter des ermordeten Kevin S., die Eifler vertritt. Sie gehört zu den Nebenklägern, deren Schlussplädoyers an diesem Dienstag im Mittelpunkt stehen.

Die Mutter selbst bleibt an ihrem Platz sitzen – Rechtsanwalt Eifler übernimmt das Wort für sie. Vorab hätten sie lange miteinander gesprochen. Mit Rücksicht auf seine Mandantin wolle er sich kurz halten. Was er mit Ansprache an den angeklagten Stephan B. betont: "Sie haben ja selbst gesagt, dass sie eigentlich keinen Weißen, keinen Deutschen töten wollen. Dennoch sind Sie in den Döner rein und haben Kevin S. erschossen – und das nicht nur mit einem Schuss." Außerdem ergänzt der Rechtsanwalt mit Bezug auf seine Mandantin: "Sie haben dadurch ihr Leben zerstört – Sie haben als zukünftigen Wohnort die JVA Burg gewählt. Ich denke, dass Sie den Rest Ihres Lebens Zeit haben werden, darüber nachzudenken."

"Er ist gefährlich und zwar für alle"

Außerdem ist der Vater von Kevin S. als Nebenkläger vor Ort, er wird durch Rechtsanwalt Görgülü vertreten. Dieser schlägt den Bogen zur gesamten Gesellschaft, die Stephan B. mit seiner Tat erschüttert hat. Viele hätten zuvor nichts von rechtem Terror mitbekommen.

Sie haben der Gesellschaft den Spiegel vorgezeigt. Sie haben gezeigt, dass 'Ich' Opfer von rechtem Terror werden kann, auch wenn ich nicht Jude bin.

Rechtsanwalt Görgülü zum Angeklagten Stephan B.

Görgülü bittet das Gericht darum, dass Stephan B. nicht wieder frei kommt. Denn: "Dieser Mann ist gefährlich – er war es, er ist es und er macht auch keinen Hehl daraus. Er ist gefährlich und zwar für alle." Er schließt sein Plädoyer mit den letzten Worten des ermordeten Kevin S., die seine Mutter zum Weinen bringen: "Nein, bitte nicht. Bitte nicht. Nein. Bitte, bitte nicht. Nein, bitte nicht."

Rassismus in Deutschland salonfähig

Als nächstes hält Rechtsanwalt Özata das Plädoyer – und zwar stellvertretend für Ismet und Rifat T., denen der Dönerladen gehört, in dem Kevin S. umgebracht wurde. Özatas Ansprache handelt vor allem vom Thema Rassismus in Deutschland. Dabei verweist er auf eine Leipziger Studie, laut der sich knapp jeder zweite Deutsche durch Muslime wie ein Fremder im eigenen Land fühle. Rassismus werde salonfähig – das werde auch durch die wöchentlich bekanntwerdenden Chats von Polizeibeamten mit rechtsextremistischen Inhalten deutlich.

Dabei zitiert Özata seinen Mandanten Ismet T., der gesagt hat: "Wenn ich in der Türkei bin, will ich nach zwei Wochen wieder zurück nach Hause." Der Rechtsanwalt ergänzt: "Sein Zuhause, das ist Halle. Das ist das Paulusviertel, in dem auch ihr Laden sich befindet. Ausgerechnet über diesen Ort brachte der Angeklagte Terror."

Die letzten Plädoyers am 8. Dezember erwartet

Neben diesen drei Schlussplädoyers gibt es an diesem Verhandlungstag sechs weitere, zum Beispiel das von Rechtsanwalt Friedmann für Aftax I. – auf ihn raste der Angeklagte bei seinem Fluchtversuch mit dem Auto zu und verletze ihn dabei. Friedmann erklärt anschließend an seinen Vorredner Rechtsanwalt Özata: "Umso wichtiger ist es für ihn, dass diese Tat als rassistischer Mordversuch gewertet wird. Denn die Bundesanwaltschaft hat von Beginn an die völlig abwegige Annahme verfolgt, der Angriff auf meinen Mandanten sei nur ein Verkehrsvergehen."

Am 8. Dezember werden die letzten Plädoyers gehalten, so die Richterin. Nicht alle Rechtsanwälte konnten in dieser Woche vor Ort sein.

Hintergrund: Das Gerichtsverfahren

Seit Juli läuft vor dem Oberlandesgericht Naumburg der Prozess um den Anschlag auf die Synagoge von Halle. Aus Platzgründen wird der Prozess aber in den Räumen des Landgerichts in Magdeburg geführt. Dort steht der größte Gerichtssaal Sachsen-Anhalts zur Verfügung.

Der 28-jährige Stephan B. hatte gestanden, am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet versucht zu haben, die Synagoge von Halle zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Darin feierten gerade 52 Menschen den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Der Attentäter scheiterte jedoch an der Tür, erschoss daraufhin eine Passantin, die zufällig an der Synagoge vorbei kam, und später einen jungen Mann in einem Döner-Imbiss.

Stephan B. ist wegen zweifachen Mordes, versuchten Mordes in 68 Fällen, versuchter räuberischer Erpressung mit Todesfolge, gefährlicher Körperverletzung, fahrlässiger Körperverletzung und Volksverhetzung angeklagt.

Quelle: MDR/jd

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. Dezember 2020 | 11:00 Uhr

3 Kommentare

ossi1231 am 03.12.2020

... desavouieren (in der Öffentlichkeit bloßstellen) tun die Protagonisten sich doch wohl selbst.
Oder was ist am tun der zentralen Gestalten korrekt und redlich?

Es gibt da genügend Fragen.

Denkschnecke am 02.12.2020

Das ist kein "Schauprozess" und auch nicht "angeordnet", sondern, soweit ich sehe, aufgrund der Schwere der Tat sowie der Anzahl der Opfer und Nebenkläger die in der deutschen Strafprozessordnung vorgeschriebene Vorgehensweise. Mich erschreckt immer wieder, wie gerade angesichts dieser in der Tat abscheulichen Tat immer wieder versucht wird, das deutsche Rechtssystem zu desavouieren.

Wikreuz am 02.12.2020

Es ist völlig klar, dass es für diese abscheuliche Tat nur Zwei Möglichkeiten des Urteils gibt: Lebenslänglich im Gefängnis oder in der Psychiatrie.
Wer ordnet eigentlich einen so langen Schauprozess an?

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