Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

StrafprozessGrenzen der Meinungsfreiheit – Urteil gegen Rechtsextremist Sven Liebich in Halle

14. September 2020, 18:44 Uhr

Der Rechtsextremist Sven Liebich ist vom Amtsgericht in Halle zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Denn es gibt Grenzen der Meinungsfreiheit. Beobachter meinen, das Urteil sei überfällig. Denn zu oft würden Anzeigen gegen Liebich eingestellt. Eine Analyse des Prozesses von Jana Merkel.

von Jana Merkel, Mitteldeutscher Rundfunk

Die zentrale Botschaft des Richters am Amtsgericht Halle lautete heute: Die Meinungsfreiheit ist elementar und erlaubt sehr vieles – auch scharfe, überzogene oder polemische Aussagen. Aber die Meinungsfreiheit gilt nicht schrankenlos. Sie endet dort, wo die Würde anderer Menschen untergraben wird. Dort, wo Straftatbestände erfüllt sind. Andere Menschen zu beleidigen, zu diffamieren, ihnen Falschzitate in den Mund zu legen oder Menschengruppen verächtlich zu machen – all das ist weder von der Meinungsfreiheit noch von der Kunstfreiheit gedeckt.

Und so wurde der regional bekannte extrem rechte Akteur Sven Liebich heute in Halle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Verhandelt wurden in dem Prozess sieben verschiedene Anklagen mit insgesamt elf Tatvorwürfen. Sharepics und Postings auf seinem Blog, verbale Beleidigungen in einem Videostream und Aufklebermotive, die er verantwortet, waren Gegenstand des Prozesses.

Das Ergebnis im Einzelnen: In sieben Fällen wurde je eine Geldstrafe verhängt, in zwei Anklagepunkten eine Freiheitsstrafe und in zwei Punkten wurde der Angeklagte freigesprochen. Diese Einzelstrafen werden in der Gesamtfreiheitsstrafe auf Bewährung zusammengefasst. Liebich hat nun sieben Tage Zeit, um Berufung oder Revision einzulegen. Tun er und sein Anwalt das nicht, wird das Urteil rechtskräftig.

Den Wortlaut der zahlreichen Beleidigungen und der Verleumdungen wiederholen wir an dieser Stelle bewusst nicht. Ebenso wenig die volksverhetzenden Verunglimpfungen gegen Migranten, die Liebich in Form von Aufklebern über das Internet vertreibt.

Die Wirkung des Urteils

"Endlich zeigt ihm die Justiz mal die Grenzen auf", kommentiert Torsten Hahnel vom Verein Miteinander in Halle das Urteil. Er beobachtet Liebichs Aktivitäten seit vielen Jahren und wurde auch selbst immer wieder verbal von Liebich attackiert. Hahnel wertet das Urteil als deutliches Zeichen gegen Liebichs Hetze. "Es ist gut, dass der Richter klargestellt hat, dass hier die Meinungsfreiheit nicht greift, sondern dass hier Straftaten unter dem Deckmantel von vermeintlicher Meinungsfreiheit begangen werden. Aber es bleibt ein fader Beigeschmack. Denn es hat viele Jahre gedauert hat, bis es endlich zu solch einem Urteil gekommen ist."

Es bleibt ein fader Beigeschmack. Denn es hat viele Jahre gedauert hat, bis es endlich zu solch einem Urteil gekommen ist.

Torsten Hahnel, Miteinander e.V.

Als überfällig empfinden viele Beobachter ein solches Urteil. Denn Liebich verhöhnt seit Jahren Menschen, die er als politische Gegner sieht – auf Demos oder im Netz überschüttet er sie mit Häme, Spott und Beleidigungen, veröffentlicht private Adressen oder ruft dazu auf, diese herauszufinden und ihm mitzuteilen. Zuletzt forderte er seine Anhänger auf, die Adresse einer der so genannten Omas Gegen Rechts herauszufinden, die sich im Interview mit MDR exakt kritisch über Liebich geäußert hatte. Dass dem vom Verfassungsschutz beobachteten Liebich strafrechtlich Einhalt geboten wird, darauf warten viele Engagierte und Betroffene in Halle seit Jahren.

Kritik an der Arbeit einer Hallenser Staatsanwältin wird lauter

Und so facht das Urteil erneut die Diskussion über die Arbeit einer Staatsanwältin in Halle an. Beobachter und Betroffene kritisieren seit Jahren, dass die meisten Anzeigen und Verfahren gegen den rechtsextremen Sven Liebich eingestellt werden. Die Unterschrift unter den Einstellungsbescheiden ist immer dieselbe. Es ist die der zuständigen Staatsanwältin, auf deren Tisch sämtliche Anzeigen gegen Sven Liebich landen. Betroffene können in so einem Fall Beschwerde gegen die Einstellung einlegen. Das war auch bei mindestens zwei der am Montag verurteilten Tatvorwürfe so – die entsprechenden Einstellungsbescheide liegen uns vor.

Demzufolge haben also sowohl der Staatsanwalt, der in diesem Verfahren die Anklage vertreten hat, als auch der Richter die Tatvorwürfe gänzlich anders bewertet als die zunächst zuständige Staatsanwältin. "Die Betroffenen kosten die Einstellungen jedes Mal zusätzlich Zeit, Nerven und auch Geld, denn sie müssen mit Hilfe eines Anwalts Widerspruch dagegen einlegen", erklärt Torsten Hahnel vom Verein Miteinander.

Beobachter vertreten die Ansicht, dass Liebich im aktuellen Verfahren womöglich nicht mit einer Bewährungsstrafe davon gekommen wäre, wenn es bereits früher entsprechende Verurteilungen gegeben hätte. Diese habe die Einstellungspraxis der zuständigen Hallenser Staatsanwältin jedoch verhindert, so die Kritik. Tatsächlich erklärte auch der Richter bei der Erläuterung des Strafmaßes, dass eine Bewährungsstrafe aus dem Grund angemessen sei, da der Angeklagte noch nicht schwer einschlägig vorbestraft ist.

Juristische Details – eine Auswahl

Die Haftstrafe wurde wegen zweier Fälle von Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens verhängt. Liebich hatte der Grünen-Politikerin Renate Künast und dem SPD-Politiker Martin Schulz in Beiträgen auf seinem Blog Falschzitate in den Mund gelegt, so der Richter. Diese bewusst unwahren Behauptungen über die beiden Politiker sind demnach nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt, sondern als Verleumdung strafrechtlich zu verteilen. Das Strafgesetzbuch sieht dafür keine Geldstrafen, sondern bereits eine Freiheitsstrafe zwischen 6 Monaten und 5 Jahren vor.

Da Liebichs Fake-Zitat über Renate Künast eine enorme Welle des Hasses für die Politikerin zur Folge hatte, legte der Richter hier eine achtmonatige Freiheitsstrafe fest. Außerdem muss Liebich die Anwaltskosten von Renate Künast tragen, die als Nebenklägerin im Verfahren aufgetreten war.

Fünf Aufklebermotive, die Liebich im Netz verkauft, standen im Prozess zur Debatte. Zwei davon sind laut Urteil volksverhetzend, eines ist als Beschimpfung von Bekenntnissen und Religionsgesellschaften nach § 166 Strafgesetzbuch strafbar. In Bezug auf zwei Motive wurde Liebich freigesprochen. Eines davon bezeichnete der Richter als "zynisch und menschenverachtend". Es zeigt sichtlich hungerleidende, ausgemergelte schwarze Kinder mit dem Schriftzug "Füttern tötet Europäer". Nach Einschätzung des Richters handele es sich dabei eindeutig um eine  Diffamierung von in Afrika lebenden Menschen, allerdings nicht um eine Volksverhetzung im Sinne des §130 des Strafgesetzbuches. Denn der beziehe sich ausschließlich auf Menschengruppen, die sich in Deutschland aufhalten. Da diese Darstellung auf Menschen in Afrika bezogen sei, greife der Volksverhetzungsparagraph hier nicht.

Während des Prozesses kamen drei Vorstrafen von Sven Liebich zur Sprache: Zwei Verurteilungen wegen Beleidigung in 2016 und 2018 sowie eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung. In diesen Fällen waren Geldstrafen verhängt worden. Dieses Mal nun also die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgelegt. Zu den Auflagen gehören 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit, die der Verurteilte leisten muss. Verstößt er gegen die Bewährungsauflagen oder wird in diesem Zeitraum erneut einschlägig verurteilt, kann das Gericht die Bewährung aufheben – dann müsste Liebich ins Gefängnis.

Der gescheiterte Versuch der Selbstinszenierung

Im Prozess hatte Liebich immer wieder versucht, das Gericht als Bühne für seine rechtsradikale Selbstinszenierung zu nutzen. Er trug am ersten Prozesstag ein gestreiftes Hemd mit einem roten Dreieck auf der Brust – mit diesem Zeichen wurden im Dritten Reich politische Häftlinge in Konzentrationslagern gekennzeichnet. Auch dass er die Unabhängigkeit des Richters anzweifelt, gab er bereits bei Prozesseröffnung zu Protokoll. Nachdem der Richter angeordnet hatte, der Angeklagte habe in neutraler Kleidung zu erscheinen, versuchte Liebich in einem weißen Maler-Overall den Gerichtssaal zu betreten. Erfolglos. Zur Urteilsverkündung hatte er sich zunächst komplett in Orange gekleidet – mutmaßlich eine Anspielung auf die US-amerikanische Haftanstalt Guantanamo. Doch auch heute saß er schließlich im neutralen schwarzen Shirt im Gerichtssaal.

Auch seine Verteidigungstaktik scheiterte. Ein Beispiel: Liebich hatte im Juli 2017 in einem Live-Stream wiederholt Demonstranten beleidigt, die in Halle gegen die rechtsextremen Identitären protestierten. Das ca. 30 Minuten lange Video hatte Liebich selbst im Netz veröffentlicht; es wurde am ersten Prozesstag im Gerichtssaal gezeigt. Darauf zu sehen: der Angeklagte in sichtlich guter Stimmung, wie er immer wieder Beschimpfungen und Beleidigungen über die Demonstranten in die Kamera spricht. Liebich behauptete vor Gericht, er habe Todesangst vor den Demonstranten gehabt und geglaubt, sein Ende stehe kurz bevor. Deshalb hätte er die Demoteilnehmer beleidigt. Der Richter fasste diesen Rechtfertigungsversuch heute in einem Wort zusammen: "Absurd."

Bildrechte: Martin Lutze/Jana Merkel

Über die AutorinJana Merkel studierte nach dem Abitur Germanistik und Soziologie. Seit 2008 ist sie als freie Mitarbeiterin beim MDR tätig. Zunächst arbeitete sie im Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt bis sie 2014 nach Leipzig in die Redaktion des Nachrichtenmagazins "exakt" wechselte. Zu ihren thematischen Schwerpunkten gehören Politik und Soziales.

Mehr zum Thema

Quelle: MDR/mp

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. September 2020 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen