Ein Jahr danach Landtag erinnert an Halle-Attentat – Haseloff: "Der Antisemitismus ist wieder da"
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Der Landtag von Sachsen-Anhalt erinnert an den Anschlag von Halle und Wiedersdorf und mahnt, jeder Einzelne müsse lauter gegen Antisemitismus vorgehen. Kritik gibt es erneut an Innenminister Holger Stahlknecht wegen dessen Aussagen zum Polizeischutz jüdischer Einrichtungen.
Im Landtag von Sachsen-Anhalt ist am Donnerstag des antisemitischen Anschlags in Halle und in Wiedersdorf gedacht worden. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte, es sei schrecklich, dass Juden an Jom Kippur in Deutschland um ihr Leben fürchten müssten. "Der Antisemitismus ist wieder da", sagte Haseloff. "Und das 75 Jahre nach der Shoah." Das sei beschämend, sagte der Regierungschef – und nahm auch Bezug zu dem Vorfall, der erst vor wenigen Tagen aus der Bereitschaftspolizei in Magdeburg bekannt geworden war.
Dort haben Beamte den Betreiber der Kantine über Jahre hinweg offenbar "den Juden" genannt. Das hatte Innenminister Stahlknecht zu Beginn der Woche öffentlich gemacht und zugleich angekündigt, Sachsen-Anhalt werde sich an einer Studie zu Extremismus in der Polizei beteiligen. Und so war es angesichts der noch frischen Eindrücke wenig verwunderlich, dass sich der gerade bekannt gewordenen Fall quer durch die Debatte zog – quasi als aktuelle Mahnung, das Problem des Antisemitismus nicht kleinzureden.
Der Terroranschlag auf die Synagoge und den Kiez-Döner sowie die Überfälle in Wiedersdorf waren gegen unsere offene Gesellschaft und ihre Werte gerichtet. Über die Opfer und ihre Angehörigen hat der Täter unendliches Leid gebracht. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde mussten Traumatisches erleben. Das erfüllt uns mit tiefer Scham.
Linke: Attentat ist Resultat von nach rechts rückender Gesellschaft
Denn genau das ist es ja, was in den vergangenen Jahren geschehen ist – meint jedenfalls Eva von Angern von der Linken. Dass Ministerpräsident Haseloff beim Gedenken an das Attentat vorigen Freitag davon sprach, dass das Attentat in Halle alles verändert habe, sei so nicht richtig. Von Angern: "Dieses Attentat ist Resultat einer immer weiter nach rechts rückenden Gesellschaft, in der viel zu oft weggeschaut und nicht eingeschritten wird, wenn sich Antisemitismus im alltäglichen Sprachgebrauch ausbreitet."
Der nun aus der Bereitschaftspolizei bekannt gewordene Fall sei ein Nährboden für Taten wie die in Halle. Es waren neben Eva von Angern auch Katja Pähle (SPD) und Sebastian Striegel (Grüne), die das Engagement der Menschen in Halle ausdrücklich lobten. Pähle sagte, ohne die Aktivitäten, die die Zivilgesellschaft Tag für Tag gegen Rassismus und Antisemitismus leiste, sähe das Land "ziemlich alt aus". Und die Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten für die nahende Landtagswahl ging sogar noch weiter: "Ohne diesen Einsatz sähe das Land auch im Umgang mit Hass und Gewalt und bei der Aufklärung rechtsextremer Straftaten ziemlich alt aus."
Der Rechtsextremismus zieht eine Blutspur durch die deutsche Nachkriegsgeschichte.
Doch im Titel der von allen fünf Landtagsfraktionen gemeinsam beantragten Debatte hatte ja auch das Wörtchen "handeln" gestanden. Es sollte nicht nur ums Erinnern gehen während der Debatte am Donnerstagvormittag – sondern auch darum, was nun passieren muss. Für Regierungschef Haseloff ist klar: "Wir müssen alle gemeinsam für ein offenes Klima der Toleranz und gegenseitigen Achtung sorgen." Haltung zeigen – in der Öffentlichkeit wie privat. Das sei das Gebot der Stunde, mahnte der 66-Jährige.
AfD: Programme gegen Antisemitismus nützen nichts gegen Einzeltäter
Das, was die AfD als "Aneinanderreihung von Phrasen" bezeichnete (Fraktionschef Oliver Kirchner), war beim Rest des Landtags Konsens: Der grüne Abgeordnete Sebastian Striegel etwa sagte, es sei höchste Zeit, dass Deutschland nicht nur aus seiner Geschichte lerne, sondern auch Taten folgen lasse. Dass in der im Februar überarbeiten Landesverfassung auch eine von Grünen und Linken so bezeichnete Antifaschismus-Klausel enthalten ist, sei das richtige Signal, sagte Striegel. Darin steht unter anderem, dass das Land und jeder Einzelne rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zulassen darf.
AfD-Mann Hans-Thomas Tillschneider sprach sich neben allerlei Vorwürfen gegen die übrigen Fraktionen im Landtag für eine bessere Aufstockung bei der Polizei aus. Es brauche nicht auf Krampf weitere Programme gegen Antisemitismus. Diese erreichten ohnehin keine Einzeltäter wie jenen aus Halle.
Die Debatte ein Jahr nach dem Attentat von Halle kam übrigens nicht ohne erneute Kritik an Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) aus. Der hatte kurz vorm ersten Jahrestag des Halle-Attentats heftige Kritik für seine Aussagen einstecken müssen, wie viele Stunden Arbeit die Polizei die Rund-um-die-Uhr-Bewachung jüdischer Einrichtungen koste. SPD-Fraktionschefin Katja Pähle sagte dazu: "Es ist Staatsaufgabe, dass jüdische Bürger sicher bei uns leben können. Das ist uns jeden Euro wert und darf nicht gegen andere polizeiliche Aufgaben aufgerechnet werden."
Dem Innenminister warf sie vor, das Verhältnis zu jüdischen Gemeinden mit seinen Worten schwer belastet zu haben.
Über den Autor
Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.
Quelle: MDR/ld
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 15. Oktober 2020 | 10:30 Uhr
DER Beobachter vor 19 Wochen
Ich habe nicht behauptet, dass Sie Antisemit sind, und erwarte auch nicht zwangsläufig, dass Sie sich nun vertieft für jüdische Kultur interessieren. Meine Kritik bezog sich auf die Tatsache mangelnder historisch-kultureller Bildung im DDR-Schulwesen mit ihren Folgen deutlich ausgeprägterer Ignoranz gegenüber antisemitischen Straftaten (solange sie nicht von Islamisten begangen werden, da entdeckt man dann ganz schnell den Antisemiten im Muslim...).
MDR-Team vor 19 Wochen
Der Kommentar verstößt nicht gegen unsere Richtlinien. Darüber hinaus: Es hat nichts mit Schwachsinn zu tun, dass jemand eine andere Meinung hat als man selbst.
Emil Kaminsky vor 19 Wochen
Es tut mir wirklich leid, aber ich interessiere mich nun einmal nicht für Aberglaube, d.h. generell nicht für Religion und ich werde jetzt nicht anfangen diesen sich ausgedachten Hokuspokus Beachtung zu schenken.