Spendenübergabe an den Besitzer des Kiezdöners am Steintor in Halle.
Ein Spendencheck über 29.000 Euro wurde am Mittwoch an den Inhaber des Kiez-Döners, Ismet Tekin (l.), übergeben. Bildrechte: MDR/ Oliver Leiste

Ein Jahr nach dem Halle-Anschlag 2021 beginnt im Kiez-Döner ein neues Leben

07. Oktober 2020, 19:25 Uhr

Unmittelbar nach dem Anschlag von Halle wurde der Kiez-Döner – einer der Tatorte – umgebaut. Inhaber Ismet Tekin litt lange unter den Folgen des Attentats. Nun blickt er wieder positiv in die Zukunft – und will den Laden erneut umgestalten. Dabei hilft auch die Spende der Jüdischen Studierendenunion Deutschland.

Das Strahlen in den Augen von Ismet Tekin ist zurück. Mit einem breiten Lächeln erzählt der Inhaber des Kiez-Döners in Halle davon, dass seine Frau schwanger sei. Ein Jahr nach dem Anschlag in der Saalestadt, bei dem zwei Menschen getötet wurden, blickt Tekin nun wieder hoffnungsvoll nach vorne.

"Keine Kraft, keine Lust auf irgendwas"

Daran war in den Monaten nach dem Attentat nicht zu denken. Der Attentäter, dem derzeit in Magdeburg der Prozess gemacht wird, schoss auf der Straße auf Tekin. Sein Bruder Rifat war im Laden, als der Angreifer hineinstürmte und dort Kevin S. – einen Gast – tötete. Ismet Tekin fand den Getöteten später. Das alles hat Spuren hinterlassen. "Es ist keine Kraft da, kein Mut. Aber auch keine Gefühle. Ich habe keine Lust auf irgendwas", sagte Tekin vor einigen Monaten. Zum Trauma nach dem Anschlag kamen finanzielle Probleme. Der Laden lief nicht gut.

Durch die Nachricht von der Schwangerschaft hat sich Tekins Stimmung spürbar gewandelt. "Mir geht es etwas besser als damals. Dadurch ist es auf Arbeit auch etwas leichter geworden."

Prozess hilft bei Bewältigung des Anschlags

Neben der frohen Kunde aus der eigenen Familie haben Ismet Tekin und seinem Bruder auch andere geholfen, die Folgen des Anschlags zu bewältigen – etwa seine "Soli-Gruppe", wie er sie selbst nennt. "Ich habe sehr tolle Menschen aus dem Viertel bei mir. Wir treffen uns regelmäßig und telefonieren auch öfters", sagt der Ladenbesitzer. Sie helfen ihm – einfach durch Zuhören, bei Behördengängen oder den Fahrten zum Prozess. Seit dem Tag des Anschlags begleitet auch die Mobile Opferberatung das Team des Dönerladens.

Und auch der Prozess selbst hat Tekin bei der Verarbeitung des Anschlags geholfen, erzählt er: "Wir haben die anderen Nebenklägerinnen und Nebenkläger jetzt besser kennengelernt. Wir sind fast wie eine Familie geworden. Wir sehen uns immer vor Gericht. Aber sie kommen auch in den Laden, wenn sie in Halle sind." Besonders bewegt haben ihn die Aussagen anderer Zeugen und Zeuginnen vor Gericht. Etwa die eines Polizeibeamten, der erzählte, dass auch er noch immer traumatisiert ist. "Es war hilfreich für mich, dass es selbst für Profis schwierig ist, so etwas zu verarbeiten."

Kiez-Döner wird umgebaut

Während der Prozess noch bis mindestens November andauert, plant Ismet Tekin die Zukunft. Er will den Kiez-Döner verändern. Aus dem Imbiss und Spätshop soll ein Restaurant werden. Ein Ort zum Verweilen. "Wir wollen mehr Sitzplätze haben und ein anderes Speisenangebot. Außerdem soll hier auch nicht mehr alles an den Tatort erinnern."

Deswegen soll auch die große Gedenkwand, die nach dem Anschlag gestaltet wurde, verschwinden. "Die Trikots will ich nach dem Jahrestag am 9. Oktober an den HFC geben. Die sollen sie versteigern und das Geld der Familie von Kevin geben", erzählt Tekin. Statt einer ganzen Wand soll künftig eine Gedenktafel an das Attentat erinnern.  

Gelebte Nachbarschaftshilfe

Beim Umbau hilft auch eine Spende der Jüdischen Studierendenunion Deutschland. Mehr als 29.000 Euro wurden für den Kiez-Döner gesammelt. Die Spenden kamen aus der ganzen Welt. Am Mittwoch wurden sie während einer Demonstration am Steintor in Halle an Tekin übergeben. Sichtlich gerührt sagte er anschließend: "Wir sind bunt. Wir haben verschiedene Hautfarben hier, wir sind verschiedene Menschen. Das ist eine sehr schöne Solidarität und ein schöner Schritt nach vorne. Wir müssen zusamenhalten, um für unsere Gesellschaft und unsere Kinder ein schönes Leben vorzubereiten. Wir, als die Guten, bleiben Gut. Und das Böse wird irgendwann verlieren."

Es folgte lauter Applaus. Der steigerte sich noch, als Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, anschließend verkündete, dass die Gemeinde beschlossen habe, Verzehrgutscheine im Wert von 1.000 Euro beim Kiez-Döner zu kaufen. Als gelebte Nachbarschaftshilfe zwischen den Betroffenen. "99 Gutscheine im Wert von zehn Euro verteilen wir – vor allem an die jüngeren Gemeindemitglieder. Wenn es ihnen schmeckt, und da bin ich mir sicher, sind das alles neue Kunden", sagte Privorozki. "Und einen Gutschein behalte ich selbst", erklärte er unter lautem Gelächter der Anwesenden.

Frauen wollen mitarbeiten

Im Kiez-Döner soll es künftig neben Döner auch andere türkische Speisen geben. Und Frühstück. Die Theke am Eingang wird verkleinert, die Kühlschränke gegenüber verschwinden. An ihrer Stelle sollen in Zukunft Tische und Stühle auf einer kleinen Holzterrasse stehen.

Mit der Neugestaltung als Restaurant reagieren die Tekin-Brüder auch auf den Wunsch ihrer Frauen. Die wollten ihre Männer öfter sehen und mitarbeiten, erzählt Ismet Tekin gut gelaunt. Im bisherigen Geschäft gab es dazu kaum Möglichkeiten. Schon am Samstag beginnt der Umbau. Bis zum Jahresende soll er abgeschlossen sein – bei laufendem Betrieb. "2021 beginnt sozusagen ein neues Leben", freut sich Ismet Tekin. Für ihn als Ladenbesitzer. Und erst recht als Familienvater.

Mehr zum Thema

Kriminaltechniker der Polizei sichern Spuren an einer Fensterscheibe
Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Heiko Rebsch

Quelle: MDR/olei

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 07. Oktober 2020 | 19:00 Uhr

4 Kommentare

Benutzer am 08.10.2020

"Liebich hoffentlich bald weg." nö. warum sollte er? nur weil er eien ihnen nicht genehme Meinung vertritt? wollen sie eien Diktatur? uund Halle ist auf einen guten Weg? dann gehen sie mal nach Halle Neustadt und co :D

ossi1231 am 09.10.2020

Und darum wäre es wichtig mit Hilfe von Madame Tussauds das Opfer am Tatort lebensecht zu zeigen.

ossi1231 am 08.10.2020

"Die Gedenkwand im Kiezdöner soll bald verschwinden." ... das finde ich absolut pietätlos.
Den Ort wo Kevin gestorben sollte man belassen!

Mehr aus dem Raum Halle und Leipzig

Kultur

Der Thomanerchor singt in der Thomaskirche.
Vor 300 Jahren wurde die Johannespassion in Leipzig uraufgeführt. Das nehmen der Thomanerchor und das Gewandhausorchester unter der Leitung von Andreas Reize zum Anlass für zwei große Jubiläumskonzerte in der Leipziger Thomaskirche. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Mehr aus Sachsen-Anhalt