Drei Männer sitzen an einem Tisch auf einer Bühne
Stadtschreiber Christian Kreis (li.) liest auf der Lesebühne Kreis mit Berg im Café Palais'S in Halle. Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Literatur-Stipendium Wie Stadtschreiber die Literaturszene in Halle beleben sollen

02. März 2020, 14:37 Uhr

Mit Stadtschreibern wird einem Amt aus dem Mittelalter Leben eingehaucht. Mittlerweile gibt es sie wieder in vielen Städten – auch wenn sie heute eher symbolischen Charakter haben. So auch in Halle, wo im vergangenen Jahr der Schriftsteller Christian Kreis den Posten ergattern konnte. Ein Gastbeitrag.

Eine junge Frau lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

"Ich bin sehr berühmt in dieser Stadt, es fällt nur keinem auf. So ist das in Halle", scherzt Stadtschreiber Christian Kreis, als er das Publikum bei der Lesebühne "Kreis mit Berg" begrüßt. Seit sieben Jahren initiiert der 42-Jährige die Veranstaltung und ist damit aus der Literatur- und Kulturszene der Stadt längst nicht mehr wegzudenken. Mit der runden Brille und dem markanten Bart sticht er sofort ins Auge, als er mit seinen Kollegen auf der Bühne des Palais S Platz nimmt. Prosa und Lyrik sind seine Steckenpferde, doch auch dem Poetry Slam hat er sich seit einigen Jahren verschrieben. 2016 wurde er sogar Landesmeister von Sachsen-Anhalt. 2019 kam der Titel des Stadtschreibers hinzu.

Einst hatten die Amtsinhaber die Aufgabe, die Stadt zu beraten und Urkunden, Briefe und andere Dokumente zu verfassen. Das machte sie zu angesehenen und mächtigen Persönlichkeiten der Gesellschaft. Heute ist das Amt des Stadtschreibers nur noch symbolisch und soll zur Förderung freier Autoren beitragen. Die Stadt stelle ihnen für einen gewissen Zeitraum ein Ort zur Verfügung, an dem sie frei von materiellen Zwängen arbeiten können.

26 Buchstaben für Halle

Der Eingang des Beatles Museums
Das Beatles Museum findet sich im Halle-Alphabet unter dem Buchstaben Y – abgeleitet vom Song "Yellow Submarine". Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

In Halle wird das sogenannte Stadtschreiber-Stipendium einmal im Jahr vergeben und war für Christian Kreis eine finanzielle Stütze. "Als freiberuflicher Autor ist man ja bekanntlich nicht mit Geld gesegnet. Da ich noch keinen riesigen Bestseller hatte, ist es für Schriftsteller natürlich immer gut, wenn man Stipendien ergattern kann", erzählt der gebürtige Bernburger. Um den Stadtschreiber-Posten zu erlangen, hat er aber mehrere Anläufe gebraucht. Die Rückschläge nahm er jedoch sportlich und konnte die Jury letztendlich im vergangenen Jahr mit seiner Idee zu einem "Halle-Alphabet" überzeugen.

26 Buchstaben, das heißt 26 anekdotische Kurztexte über Halle, sind sein Ziel. Ungefähr 20 davon hat er bereits gefüllt – mit persönlichen Erlebnissen, Orten oder Menschen, die er mit der Stadt verbindet. Selbst für die schwierigen Buchstaben hat sich eine Lösung ergeben: Das X thematisiert das Wandbild des Bahnhof-Puffs X-Carree und beim Y steht "Yellow Submarine" stellvertretend für das Beatles Museum.

So funktioniert das Stadtschreiber-Stipendium

Im Jahr 1974 wurde eine Art Stadtschreiber-Stipendium erstmalig in Hessen eingeführt. Nach Stadtangaben wurde 1991 in Halle ebenfalls ein solches Projekt initiiert, um die Stadt als Kulturstandort Sachsen-Anhalts zu verankern. Zu Beginn kamen die Geförderten nur aus der Umgebung. 2013 wurde die Ausschreibung dann für den ganzen deutschen Sprachraum geöffnet. Die Stadt Halle fördert den Stadtschreiber monatlich mit 1.250 Euro. Zudem erhält er eine möblierte Wohnung und ein Ticket für den ÖPNV. Dafür kann er sich ganz in Ruhe auf sein kreatives Schaffen konzentrieren und die Literaturszene der Region beleben.

"Die Schriftsteller erfahren neue und spannende Impulse und ein wechselseitiger und lebendiger Austausch entsteht", erklärt Franziska Andraschik, vom Fachbereich Kultur der Stadt Halle. Doch nicht nur die Autoren haben viel von dem Stipendium. Auch die hallesche Kulturszene würde in hohem Maße von dem Projekt profitieren und die Stadt werde dabei überregional wahrgenommen

Die Literaturszene in Sachsen-Anhalt hat es schwer

Etwas, das auch dringend nötig sei, wie Christian Kreis bemängelt: "Sachsen-Anhalt bezeichne ich in meinen Kolumnen oft als das schwarze Loch von Deutschland. Da werden Aufmerksamkeit und Licht verschluckt und alles verschwindet. Das überregionale Feuilleton ist auch selten bereit, hier mal einen Autor wahrzunehmen". Besonders in Ostdeutschland müssten viele gute Autoren um ihre Existenz kämpfen.

Davon kann Christian Kreis ein Lied singen, auch wenn seine Lesebühne mittlerweile gut läuft. Mit neun bis zehn Veranstaltungen im Jahr konnte er sich fest im Kulturkalender der Stadt verankern und ein treues Stammpublikum aufbauen. Als "eine satirische, humorvolle Art und Weise der Weltbetrachtung" beschreibt der Wahl-Hallenser diese Abende. Jedes Mal wird ein anderer Gast eingeladen, über ein bestimmtes Thema gesprochen und eigens dafür produzierte Texte vorgetragen. Das Ambiente ist familiär und gemütlich, die Stimmung ausgelassen, wenn Kreis und seine Kollegen bei den Lesebühnen zum Beispiel über Kino, die Berlinale und ihre Arbeit sprechen. Nur an weiblichen Nachwuchs in der Szene mangelt es noch, wie Christian Kreis mit Bedauern feststellt. Das würde sich jetzt erst langsam ändern.

Wer wird der oder die neue Stadtschreiber/in 2020?

Der Marktplatz von Halle
Bereits seit 1991 vergibt die Stadt das Stadtschreiber-Stipendium an freie Autoren, um die hallesche Literaturszene zu beleben. Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Das Stadtschreiber-Stipendium erhält dagegen bereits einen starken Zulauf an Bewerbungen. Andraschik zufolge startet die Bewerbungsphase jedes Jahr im Herbst, nachdem die Ausschreibung im Amtsblatt und auf weiteren Portalen veröffentlicht wurde. Jenseits von Staatsangehörigkeit und literarischer Gattung seien alle deutschsprachig Schreibende eingeladen sich zu bewerben. Um die Auswahl kümmert sich dann eine Fachjury.

Wer Christian Kreis in diesem Jahr als Stadtschreiber nachfolgen wird, ist noch nicht bekannt. Die Bewerbungfrist für das Stipendium 2020 endete bereits im vergangenen Oktober. Das neue Stipendium beginnt dann im Mai 2020 und läuft für sechs Monate. Kreis ist auf jeden Fall dankbar für die Möglichkeiten, die ihm geboten wurden, denn einige seiner Texte wären sonst wahrscheinlich gar nicht entstanden.

Weitere Veranstaltungen: Die nächste Lesebühne "Kreis mit Berg" findet am 15. April um 20 Uhr im Palais S in Halle statt.

Eine junge Frau lächelt in die Kamera
Bildrechte: Sarah-Maria Köpf

Über die Autorin Sarah-Maria Köpf studiert seit Oktober 2019 den Master Multimedia und Autorschaft in Halle. Davor hat sie ihren Bachelor in Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig absolviert und war unter anderem für den Radiosender Mephisto 97.6, die Leipziger Volkszeitung und Grazia Online tätig. Am liebsten recherchiert sie zu gesellschaftlichen und kulturellen Themen und ist ganz besonders an deren crossmedialer Umsetzung interessiert.

Quelle: MDR/cw

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