Blick von hinten auf eine Person, die alleine durch einen Park spaziert.
Einsam oder allein? Allein zu sein kann schön sein. Dauerhafte Einsamkeit dagegen kann zu Depressionen führen. Bildrechte: Christin Pomplitz

Kuscheln gegen Depression Was tun gegen Einsamkeit?

25. März 2018, 17:03 Uhr

Laut Studien fühlen sich immer mehr Menschen einsam. Ein dauerhaftes Gefühl von Einsamkeit kann zu schweren Depressionen führen. Was Sachsen-Anhalter tun können, wenn die Einsamkeit akut ist und sie mit ihrer vollen Härte zuschlägt, darüber hat sich Christin Pomplitz im Rahmen des Projekts "Studenten schreiben" schlau gemacht.

Anna ist eine von 2,2 Millionen Sachsen-Anhaltern. Die hochgewachsene junge Frau strahlt Selbstsicherheit und Schlagfertigkeit aus. Schlagfertig ist die 28-Jährige auch. Doch hinter den strahlend blauen Augen und der blonden Mähne verbirgt sich unerwartete Verletzlichkeit: “Ich habe mich in meiner Beziehung oft einsamer gefühlt als während meines Singlelebens. Zu oft wurde aus freudiger Erwartung Enttäuschung und daraus Einsamkeit. Ich wollte mich dieser Einsamkeit aber nie hingeben”, erzählt die Hallenserin offen.

Dieses Gefühl der Einsamkeit zu lindern, hat sich Elisa Meyer zum Beruf gemacht. Sie ist Kuschlerin. Ja, richtig gelesen: professionelle Kuschlerin. Zusammen mit Kollegen in ganz Deutschland will sie Menschen helfen, die einsam sind und niemanden haben, mit dem sie Berührungen austauschen können. Die Kuschler geben nicht nur aktive Kuschel-Stunden. In Vorträgen klären sie über die tiefgreifenden Folgen von Isolation, Einsamkeit und Berührungsmangel auf und zeigen, wie Kuscheln gegen Einsamkeit und Depression helfen kann.

Zwei Frauen liegen auf einer Couch und haben sich im Arm.
Kuschlerin Elisa Meyer hilft Menschen durch körperliche Nähe ihre Einsamkeit zu bekämpfen. Bildrechte: Iza Hegedüs

Vor zwei Jahren hat die gebürtige Österreicherin die Kuschel-Kiste nach Leipzig gebracht und schnell festgestellt: "Hier im Osten wird doppelt so viel darüber nachgedacht, ob das [Kuscheln mit Fremden] gut sein könnte. Hier herrscht mehr Skepsis." Dabei hätten es die Menschen hier vermutlich besonders nötig zu kuscheln, da sie sehr stark sein müssten und hart wirken wollten, bemerkt die Kuschlerin. "Ich hatte schon einige Kunden, die nach außen hin sehr taff wirkten, es aber sehr nötig hatten sich fallen zu lassen und zu kuscheln”, erzählt die studierte Philosophin und Germanistin.

Harte Schale, weicher Kern

Auch für Sachsen-Anhalter scheint Kuscheln mit Fremden weniger eine Option zu sein. Bei einer Straßenumfrage in Halle sagte die Mehrheit der Befragten aus, dass sie sich eigentlich gar nicht einsam fühlen würden. So zum Beispiel Gitte. Sie ist 51 Jahre alt, steht rauchend in der klirrenden Kälte auf dem Marktplatz und entgegnet der Frage, ebenso klar wie der blaue Himmel an diesem Tag: "Nie!" Auch Peter (58) sagt: "Um Himmels willen, nein. Durch Freunde und Familie fühle ich mich nicht einsam." Michaela hingegen gibt zu, durch die Arbeit an ihrem Examen sei sie schon oft einsam. "Aber es ist auch mal ganz schön, nicht immer so viele Menschen um einen zu haben", erzählt die 22-Jährige.

Anna wiederum fühlt sich unabhängig von einer festen Partnerschaft gelegentlich einsam. Aber das Kuscheln mit Fremden komme auch für sie nicht infrage, da ist sich die Studentin sicher. Wenn sie sich nach Nähe sehnt, möchte sie Menschen nahe sein, die sie kennt. "Mit einem Fremden zu kuscheln würde sich für mich nicht gut anfühlen und ich könnte mich nicht fallen lassen." Statt körperliche Nähe mit Fremden einzugehen, würde sie dann lieber mit Freunden, Familie oder Partner telefonieren.

"In meinem Alter ist man oft einsam"

Für viele Menschen, besonders im hohen Alter, sind Familie und Freunde aber kaum mehr eine Option. So auch für Harry. Der Rentner spaziert mit seinem kleinen Einkaufsbeutel in der Hand in Richtung Supermarkt und erzählt: "In meinem Alter ist man oft einsam." Der 81-Jährige wirkt dabei weder traurig, verbittert, noch zornig. Harry macht sich und dem Rest der Welt nichts vor. Er sei alt und oft einsam. Aber das scheint für ihn kein Problem zu sein. "Wissen Sie, wenn man so alt ist wie ich, nimmt man das Leben wie es ist", sagt er, lächelt und läuft weiter auf der sonnigen Seite des Gehwegs.

alte Frau und Kind halten Hände
Besonders ältere Menschen leiden an Einsamkeit. Manchmal helfe schon ein paar Minuten die Hand des Betroffenen zu halten, sagte Profi-Kuschlerin Meyer. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO

Was tun, wenn Einsamkeit zum Problem wird?

In Großbritannien hat die Politik ein Zeichen zum Thema Einsamkeit gesetzt. Mit der Ernennung einer Ministerin für Einsamkeit, soll den Briten nun geholfen werden. In Deutschland setzt der Verein Freunde fürs Leben seit 16 Jahren klare Zeichen zu den Themen Suizid und seelische Gesundheit. Er bemerkt, “[...] dass die Gesellschaft zu wenig über das Thema seelische Erkrankungen aufgeklärt wird. Da Einsamkeit dabei ein wichtiger Aspekt ist, können wir es nur befürworten, dass Großbritannien diesem Thema künftig ein eigenes Ministerium widmen wird.”

Ob ein solches Ministerium auch für Deutschland eine Option sei, da sind sich die Vereinsmitglieder Florian Schmiedler und Catahrina Woitke einig: "Ja! Wobei dann sicherlich auch andere Ministerien (ein Ministerium für Digitales, für Altersarmut, für Prävention usw.) ihre Daseinsberechtigung hätten. Vielleicht würde es schon reichen, wenn dem Thema gesellschaftspolitisch mehr Beachtung geschenkt werden würde.”

Auch Elisa Meyer von der Kuschel-Kiste fände das eine gute Idee. Ob das in der Praxis viel bringt möchte sie nicht beurteilen. "Aber allein um das Bewusstsein zu schaffen, dass Isolation, Einsamkeit, Berührungsmangel Krankheiten sind, an denen wir Menschen im schlimmsten Fall zugrunde gehen können, [wäre ein positiver Effekt]." Sie fände es gut, wenn der Staat aktiv würde. Denn bisher würden nur die Symptome bekämpft, nicht aber die Ursachen der Einsamkeit.

Und bis dahin?

Kommt das Gefühl der Einsamkeit hoch, helfe es Anna, sich bewusst zu machen, nicht wirklich allein zu sein. Wenn man Freunde habe, die immer für einen da sind, und eine Familie, die hinter einem steht, man auch nicht einsam sei. Aber genauso sei es auch wichtig, sich Einsamkeit in gewisser Weise hinzugeben- sich für einen Moment zu isolieren, um zu sich selbst zu finden. Viele suchten gewollt die Isolation, indem sie zum Beispiel den Jacobsweg laufen. Aber selbst wenn man dann die bewusste Isolation suche, sei man nie einsam, findet Anna. Aber sie weiß auch:

Wenn man einen schweren Tiefschlag im Leben versucht allein zu verarbeiten und sich zurückzieht und immer weitere Probleme dazu kommen, kann das zu Depressionen führen. Dann muss man sich Hilfe suchen.

Studentin Anna aus Halle

Ähnlicher Meinung sind auch Schmiedler und Woitke vom Verein Freunde fürs Leben: "Die Gesellschaft braucht vor allem ein umfassendes Wissen über alle Faktoren, die die psychische Gesundheit beeinflussen. Wer zum Beispiel weiß, dass Einsamkeit viele Menschen betrifft und schwere Auswirkungen auf die seelische und körperliche Gesundheit haben kann, ist sensibilisiert. Derjenige achtet bestenfalls mehr auf seine Mitmenschen, schaut hin, fragt nach, bietet Hilfe an und wird zum Vorbild für andere Menschen." Das würde sich der Verein wünschen.

Elisa Meyer wünscht sich, mit der Kuschel-Kiste bald auch Menschen in Sachsen-Anhalt helfen zu können, wenn sie deren "Harte Schale" erst einmal durchdrungen hat. Ein Anfang wäre ein aktiver Kuschler in Halle oder Magdeburg.

Porträt einer jungen Frau
Bildrechte: Christin Pomplitz

Über die Autorin: Christin Pomplitz studiert, nach ihrem Bachelor Geschichte an der Universität Leipzig, nun den Master "Multimedia und Autorschaft" in Halle. Neben dem Studium arbeitet sie in einer Webagentur.

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Quelle: MDR/cw

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