Stand des Projekts Geplanter Radschnellweg: Von Leipzig nach Halle mit dem Fahrrad

14. Juni 2020, 17:34 Uhr

Radschnellwege sollen klimafreundliche Mobilität ermöglichen. Zwischen Halle und Leipzig soll so ein Radweg entstehen, die Stadt Halle hat sich zur Umsetzung des Projekts bereit erklärt. Eine Probefahrt auf der geplanten Route.

Maria Hendrischke
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Etwa 9.000 Menschen pendeln laut Pendleratlas täglich zwischen Halle und Leipzig. Wäre Corona nicht, würde auch ich drei Tage pro Woche arbeitsbedingt mit der S-Bahn nach Leipzig fahren. Weil aber Corona ist, bin ich derzeit im Homeoffice. Diese Woche war eine Ausnahme, ich habe zwei Tage in Leipzig gearbeitet und bin dafür dreimal zwischen Halle und Leipzig Bahn gefahren. Und einmal Fahrrad.

Zum normalen Pendeln würde ich auf die Idee eher nicht kommen, denn zwischen Halle und Leipzig liegen immerhin etwa 36 Kilometer. Doch schon seit 2017 ist im Gespräch, die Städte mit einem sogenannten Radschnellweg zu verbinden. Darum wollte ich mir die Strecke einmal aus Radfahrerperspektive ansehen.

Ein Radschnellweg ist eine breite, asphaltierte "Fahrradautobahn" mit so wenigen Kreuzungen und Ampeln wie möglich. Traumbedingungen für Radfans also, was durchschnittliche Reisegeschwindigkeiten von mehr als 20 Kilometern pro Stunde ermöglichen soll. Die Strecke Halle/Leipzig über Schkeuditz wäre somit in etwas mehr als anderthalb Stunden zu schaffen, die Umgebung des Flughafens – und die Arbeitsplätze dort – wären in der Hälfte der Zeit zu erreichen. Gerade mit einem Pedelec wäre das schon ziemlich machbar.

Ergebnisse der Machbarkeitsstudie

Würde so ein Radschnellweg überhaupt genutzt werden? Wo genau könnte er langführen? Und wie teuer wäre er? Um das herauszufinden, haben die Städte Halle und Leipzig sowie die Metropolregion Mitteldeutschland eine Potenzial- und Machbarkeitsanalyse beauftragt.

Die Ergebnisse der Analyse liegen nun vor und sollen noch im Juni veröffentlicht werden. Drei Routen-Varianten haben sich herauskristallisiert: "Nord-1" und "Nord-2", deren Umsetzung jeweils etwa 35 Millionen Euro kosten würde,  sowie "Süd", für die 46 Millionen Euro kalkuliert werden müssten.

Eine dieser drei Varianten soll umgesetzt werden. Sie unterscheiden sich vor allem darin, wie die Strecke zwischen Schkeuditz und dem halleschen Stadtteil Kanena geführt werden soll. In diesem Abschnitt würden der Analyse zufolge nur bis zu 1.500 Menschen den Radschnellweg potenziell nutzen. Deshalb empfiehlt die Analyse, im Kabelsketal keinen Radschnellweg, sondern "nur" eine Radvorrangroute zu bauen. Das wäre immer noch ein sehr guter Radweg, der allerdings etwas schmaler und damit günstiger wäre.

Radschnellweg und Radvorrangroute

Ein Radschnellweg ist eine möglichst direkte, gut ausgebaute Fahrradroute. Damit man schnell und fahren kann, soll der Radweg mindestens so breit sein, dass zwei Radfahrer nebeneinander fahren und von einem dritten überholt werden können. In der Regel werden dafür vier Meter veranschlagt. Zudem soll die Route über möglichst wenige Kreuzungen und Ampeln führen.

Radschnellwege sind vor allem für Pendler gedacht. Sie sollen ganzjährig befahrbar sein, werden regelmäßig gereinigt und sind beleuchtet. Außerdem sollen die Wege an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sein, sodass die Radfahrer etwa bei schlechtem Wetter auch spontan in den Zug umsteigen können. Beispiele für Radschnellwege gibt es in Kopenhagen, in den Niederlanden und beispielsweise auch im Ruhrgebiet sowie bei Stuttgart.

Die Radvorrangroute ist ein Radweg-Baustandard, der qualitativ ein wenig unter einem Radschnellweg liegt. Radvorrangrouten sind nicht vier Meter breit, sondern etwas schmaler. Das wäre eine Option für das Kabelsketal.

In den Stadtgebieten von Halle und Leipzig gibt es je nur eine bevorzugte Trasse, die grob dem Verlauf der S-Bahn S3 folgt. Beide Abschnitte könnten der Analyse zufolge von mehr als 2.000 Radfahrern täglich genutzt werden. Hier rät die Machbarkeitsstudie zu einem Radschnellweg. Ende Mai hat der Stadtrat Halle mit einem "Letter of Intent", einer Absichtserklärung, beschlossen, den Radschnellweg zu bauen. In der Erklärung wird die Bedeutung des Wegs als Entlastung für die Pendelstrecke Halle/Leipzig und für den Klimaschutz.

ADFC Halle: Keine Vereinbarung über nächste Schritte

Die Fahrradclubs (ADFC) von Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie der Regionalverband von Halle und die Ortsgruppe Leipzig befürworten den Radschnellweg. Volker Preibisch vom ADFC Halle befürchtet allerdings, dass sich trotz der Absichtserklärung die Umsetzung des Vorhabens hinziehen könnte. "Es gibt keine Vereinbarung über die nächsten Schritte", sagt er.

Und: Die Kosten der drei Radweg-Varianten seien zwar berechnet worden, es sei aber nicht geklärt, wer diese Kosten tragen solle, sagt Preibisch. In der Absichtserklärung des Stadtrats steht, dass eine Finanzierung durch Bund- und Landesmittel angestrebt werde. Tatsächlich will der Bund den Bau von Radschnellwegen mit 25 Millionen Euro jährlich fördern. Das Geld verteilt sich aber anteilig auf die Bundesländer. Sachsen-Anhalt könnte knapp 750.000 Euro jährlich erhalten, Sachsen etwa eine Million Euro.

Der ADFC Sachsen-Anhalt und der ADFC Sachsen haben auf ihren Websites als bevorzugte Radschnellweg-Führung eine Trasse gekennzeichnet, die ungefähr der Variante "Süd" der Machbarkeitsanalyse entspricht. An der ADFC-Route habe ich mich bei meiner Heimfahrt von Leipzig nach Halle orientiert. Dazu gleich vorweg: Den Radschnellweg gibt es noch nicht, teilweise nicht einmal als Feldweg (höchstens als Feld, ohne Weg). Deshalb musste ich beim Probefahren der ADFC-Vorzugsvariante an der einen oder anderen Stelle "improvisieren" – und einen Umweg suchen. Was manchmal viel Zeit gekostet hat.

13:45 Uhr – Start am Hauptbahnhof Leipzig

Ich beginne meine Tour am Leipziger Hauptbahnhof. Zunächst geht es Richtung Nordwest auf der Eutritzscher und der Georg-Schumann-Straße nach Leipzig-Wahren. Der geplante Radschnellweg würde östlicher beziehungsweise nördlicher verlaufen, existiert aber noch nicht.

Mit mir fährt ein ganzes Rudel weiterer Radfahrer nach Nordwest, dabei ist es 14 Uhr, also keineswegs "Rush Hour". Die Strecke scheint schon jetzt gut ausgelastet zu sein. Und das, obwohl sie gleich mit mehreren typischen Ärgernissen des Stadtradfahrens aufwartet: Jede Ampel ist rot, Fahrradstreifen werden auch von Autos genutzt, die Qualität des Bodenbelags schwankt, an Kreuzungen ist die Verkehrsführung unklar, das Überholen von anderen Radfahrern ist aufgrund der schmalen Radstreifen unmöglich oder riskant. Solche Bedingungen sind mindestens anstrengend und teils gefährlich. Abschreckend.

Schnelles Vorankommen beim Porsche-Werk und DHL  

Die Situation bessert sich deutlich, als ich nach einer Kleingartenanlage recht plötzlich die Stadt hinter mir lasse. Zwar ist die Route nach Halle nicht ausgeschildert, erklärt sich hier aber meist von selbst: einfach immer dem asphaltierten Landwirtschaftsweg folgen.

Zwischen Porsche-Werk und DHL macht mir das Fahren richtig Spaß, auch wenn die Umgebung abgesehen von einem farbenprächtigen Mohnfeld am Wegesrand nicht besonders ansprechend ist. Aber es geht beim Radschnellweg nicht so sehr um Radtouristen, sondern um Alltagsfahrer. Und ums schnelle Vorankommen. Mehrere Rennradfahrer kommen mir hier entgegen. Platzprobleme gibt es keine, der Weg ist breit genug für zwei.

Irrfahrt zwischen Schkeuditz und Benndorf

Schneller als erwartet taucht der Bahnhof Schkeuditz neben mir auf. Ein Ziel des Radschnellwegs ist es, den Umstieg auf die Bahn zu ermöglichen, falls es zum Beispiel auf halber Strecke zu regnen beginnt. Und tatsächlich wäre ich am Bahnhof Schkeuditz-West beinahe eine Station S-Bahn gefahren: Ich sehe zunächst einfach keinen fahrradtauglichen Weg nach Großkugel. Kurz vorm Aufgeben entdecke ich ihn von einer Bahnschienen-Überführung aus. Leider ist die Strecke nicht so gut, wie es von oben aussieht, sondern geht auf halber Strecke in einen Feldweg über. Vermutlich habe ich eine Abzweigung verpasst. Der Spaßfaktor sinkt. Irgendwie komme ich trotzdem am Bahnhof Großkugel an.

Dort geht die Suche nach einem Weg weiter. Mein nächstes Ziel – Gröbers – erreiche ich über einen Schotterweg, an dem ich erst vorbeigefahren war, weil ich meinen recht schmalen Reifen die Piste eigentlich ersparen wollte. Als ich aber feststelle, dass die Alternative eine stark befahrene Straße ohne Fahrradspur wäre, wähle ich das kleinere Übel, den Schotterweg. Von Gröbers nach Benndorf muss ich dann doch etwa einen Kilometer auf einer recht befahrenen Straße ohne Radstreifen zurücklegen: Ich finde keine Alternative – und bin auch zu genervt, um lange zu suchen. In der Machbarkeitsstudie ist vermerkt, dass auf diesen Teil der Strecke noch viel zu tun wäre.

Westlich von Benndorf erreiche ich schließlich die Radroute "Salzfuhrweg". Hier steigt der Spaßfaktor bis etwa Zwintschöna wieder deutlich, denn der Abschnitt ist autofrei und asphaltiert. Perfekt. Ich passiere einen Mann, der hier mit seiner kleinen Tochter das Radfahren übt.

17:30 Uhr – Endlich in Halle

Zwischen dem Friedrichsbad Zwintschöna und Halle-Kanena erwartet mich dagegen eine Kopfsteinpflaster-Zumutung. Zum Glück wird die Straße in Sichtweite des Ortsschilds Halle wieder besser. In Halle muss ich an der Leipziger Chaussee entlang Richtung Hauptbahnhof fahren, was trotz Radspur aufgrund der vielen schnell vorbeifahrenden Autos stressig ist. Nach Plan würde der Radschnellweg hier etwas östlicher verlaufen. Ein Verbindungsstück fehlt dafür derzeit noch, es ist aber schon als Maßnahme im Umsetzungsplan 2020 bis 2025 der Radverkehrskonzeption der Stadt Halle eingetragen.

Kurz vor meinem Ziel, dem Hauptbahnhof Halle, kann ich noch ein kurzes Stück des Radwegs Hafenbahntrasse genießen. Während ich entlang der unangenehmen Leipziger Chaussee und Raffineriestraße fast die einzige Radfahrerin war, begegne ich auf diesem wirklich kurzen Abschnitt gleich mehreren Radlern.

Überhaupt würde ich für die gesamte Strecke Leipzig/Halle sagen: Gute Wege, auf denen keine Autos fahren, werden von Radfahrern genutzt. Selbst wenn diese Wege im scheinbaren Nirgendwo liegen, etwa in Industriegebieten oder zwischen kleinen Dörfern.

Maria Hendrischke
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über die Autorin Maria Hendrischke arbeitet seit Mai 2017 als Online-Redakteurin für MDR SACHSEN-ANHALT – in Halle und in Magdeburg. Ihre Schwerpunkte sind Nachrichten aus dem Süden Sachsen-Anhalts, Politik sowie Erklärstücke und Datenprojekte. Ihre erste Station in Sachsen-Anhalt war Magdeburg, wo sie ihren Journalistik-Bachelor machte. Darauf folgten Auslandssemester in Auckland und Lissabon sowie ein Masterstudium der Kommunikationsforschung mit Schwerpunkt Politik in Erfurt und Austin, Texas. Nach einem Volontariat in einer Online-Redaktion in Berlin ging es schließlich zurück nach Sachsen-Anhalt, dieses Mal aber in die Landeshauptstadt der Herzen – nach Halle. Ihr Lieblingsort in Sachsen-Anhalt sind die Klausberge an der Saale. Aber der Harz ist auch ein Traum, findet sie.

Quelle: MDR/mh

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