Prozessbeginn Anfang Sommer Anschlag von Halle: Was genau in der Anklageschrift steht

26. April 2020, 12:06 Uhr

In wenigen Wochen wird in Magdeburg der Prozess gegen den Attentäter von Halle beginnen. Die Anklage wurde in dieser Woche fertiggestellt. MDR SACHSEN-ANHALT hat sich das Dokument näher angeschaut.

Marie-Kristin Landes
Bildrechte: MDR/Martin Neuhoff

Blumen und Kerzen stehen neben der Tür zur Synagoge in Halle
Vor der Tür der jüdischen Gemeinde Halle startete am 9. Oktober 2019 der Attentäter seinen Anschlag.(Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Hendrik Schmidt

In dieser Woche hat die Bundesanwaltschaft die Anklageschrift gegen den Attentäter von Halle herausgegeben. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, im Oktober 2019 am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in der Synagoge von Halle ein Blutbad geplant zu haben. Er tötete zwei Menschen.

In der Anklage heißt es, der Angeklagte Stephan B. habe "aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens" geplant. Doch die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft gehen noch weiter.

Der konkrete Anklagevorwurf

  • Dem Angeklagten wird zweifacher Mord an der Passantin Jana L. sowie dem Imbiss-Besucher Kevin S. vorgeworfen.

  • Hinzu kommt der Vorwurf des versuchten Mordes in 68 Fällen. Das betrifft nicht nur die Mitglieder und Gäste der jüdischen Gemeinde, die sich am 9. Oktober 2019 in der Synagoge befanden, um gemeinsam Jom Kippur zu feiern. Dazu gehören auch all jene im Imbiss und auf der Straße, auf die der mutmaßliche Attentäter ebenfalls seine Waffen richtete.
  • Außerdem werden ihm fahrlässige und gefährliche Körperverletzung, versuchte räuberische Erpressung mit Todesfolge und schwere räuberische Erpressung vorgeworfen. Unter diesen Punkt fallen die Ereignisse in Wiedersdorf bei Landsberg. Nach der Flucht aus Halle soll der Angeklagte zweimal in Wiedersdorf mit vorgehaltener Waffe versucht haben, ein neues Fahrzeug zu erpressen. Den Ermittlungen zufolge weigerte sich zunächst ein Anwohner, ein Auto zur Verfügung zu stellen, worauf dieser und seine Lebensgefährtin vom Angeklagten schwer verletzt wurden. Beim anschließenden zweiten Versuch in einer Werkstatt, sich ein Auto zu beschaffen, erhielt Stephan B. die Schlüssel eines Taxis.
  • Schlussendlich kommt der Vorwurf der Volksverhetzung nach §130 des Strafgesetzbuches (StGB) hinzu. Dabei geht es um die Liveübertragung seiner Tat ins Internet über eine Helmkamera. Zu Beginn seines Livestreams hatte der Täter den Genozid der jüdischen Bevölkerung im 2. Weltkrieg in Abrede stellt. Auch der Stream selbst sowie das Teilen von Links zu Dokumenten in denen zu weiteren Morden aufrufen wird, fallen unter den Passus Volksverhetzung.

Der Begriff "Terror" taucht nicht auf

Was beim Lesen der Anklageschrift auch auffällt: Weder in den Anklagevorwürfen noch in der folgenden ausführlichen Beschreibung des Tatgeschehens fällt das Wort "Terror". Aus gutem Grund, weiß Henning Rosenau, Professor für Strafrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Denn es gibt in Deutschland keinen Straftbestand des Terroranschlags. "Der Terroranschlag konstituiert sich aus dem Gesamtgeschehen und ist eine politische, keine juristischen Katergorie", so Professor Rosenau.

Nur hilfsweise, wenn es noch keine konkreten Straftaten gebe, kennt das Strafgesetzbuch unter §129a den Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Im Fall des Anschlags von Halle ist der Angeklagte nach aktuellem Stand ein einzelner Täter. Es gibt konkrete, durch seinen Livestream auf Video festgehaltene Taten. "Das Zünden einer Bombe, das Werfen von Molotowcocktails, das Töten von Menschen, das versuchte Töten von Menschen. Das Unrecht des Täters wird durch diese Delikte ausreichend erfasst," erklärt Professor Rosenau.

Erwartbares Urteil – oder doch nicht?

In Deutschland gilt das sogenannte Asperationsprinzip. Das bedeutet, dass für jede Straftat zwar eine gesonderte Strafe gilt, diese aber bei gleichzeitiger Verhandlung nicht einfach "zusammen gerechnet" werden. Die Regel, festgelegt in §53 sowie §54 StGB, sieht stattdessen vor, dass die höchste der Einzelstrafen angewendet wird. Im vorliegenden Fall ist das Mord. Hierfür sieht das Strafgesetzbuch eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. Die höchste Strafe, die es in Deutschland gibt.

Da der Angeklagte bereits gestanden hat, scheint das Urteil klar. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. "Es wird auch darum gehen, ob eine besondere Schwere der Schuld festgestellt werden kann. Ist das der Fall, könnte die lebenslange Freiheitsstrafe nicht bereits nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden", beschreibt Henning Rosenau den Prozess.

Was auf die Anklageerhebung folgt

Mit der Anklageerhebung hat die Verteidigung nun Zeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Voraussichtlich Anfang Sommer wird der Prozess vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Naumburg stattfinden. Schon jetzt laufen dafür die Vorbereitungen.

Wie das Oberlandesgericht bereits mitgeteilt hat, wird der Prozess aus Platzgründen in Magdeburg stattfinden. Am dortigen Landgericht wird derzeit die Bibliothek zu Sachsen-Anhalts größtem Gerichtssaal umgebaut. Das öffentliche Interesse, auch international, wird sehr wahrscheinlich groß sein.

Unklar ist, in welchem Umfang Besucher und Journalisten Platz im Gerichtssaal finden. Denn so viel ist sicher: Die Corona-Pandemie wird zu Prozessbeginn noch nicht überstanden sein. Auf Nachfrage von MDR Sachsen-Anhalt teilte Gerichtssprecher Henning Haberland mit, dass das Virus bei den Planungen eine Rolle spiele. Details nannte er allerdings noch keine.

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Quelle: MDR/mkl

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 21. April 2020 | 19:00 Uhr

18 Kommentare

ossi1231 am 28.04.2020

Verteidigung, als Organ der Rechtspflege ... eine Verteidigung müsste auch die fehlende Verfolgung auf der Ludwig-Wucherer-Straße bzw. von der Ludwig-Wucherer-Straße in die Schillerstraße thematisieren.

Aber auch der MDR ist eingeladen den Anschlag Halle auf geomatiko zu diskutieren.

28.04.2020 10:28 Uhr MESZ

Sachse123 am 28.04.2020

Wegen 'Verschwörungstheorie" welche entfällt wenn man uns die Verfolgung des Schützen zumindest bis zur Schillerstraße zeigen würde.
Oder anders gefragt, wann waren die Verfolger am Kitzdöner angelangt?

Eulenspiegel am 27.04.2020

Also hier geht es um die Anklageschrift. Die ist so richtig.DA gibt es nichts auszusetzen. Ja und der Sympathisantenumfeld ist natürlich auch wieder dabei. Man kennt ja seine Pappenheimer. Natürlich gilt er formalrechtlich nicht als Mörder. Noch nicht. Und was diesen angeblichen Zweifel bezüglich des Geständnisses angeht, schon wieder eine Verschwörungstheorie, so wird die Verteidigung ausführlich Gelegenheit haben dies zu belegen.

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