Vietnam und Sachsen-Anhalt Pflege und Gastronomie: Wie Vietnamesen in Zeiten des Fachkräftemangels helfen

17. November 2019, 19:53 Uhr

In Sachsen-Anhalt fehlen Fachkräfte, besonders die Gastronomie und die Pflege sind betroffen. Immer mehr Betriebe setzen auf junge Menschen aus Vietnam, um die Lücken beim Personal zu füllen. Allein dieses Jahr sind 70 Vietnamesen nach Sachsen-Anhalt gekommen, um ihre Ausbildung hier zu machen. Einige von ihnen haben aber überzogene Erwartungen an ihre neue Heimat. Teil 3 der MDR SACHSEN-ANHALT-Serie über Vietnamesen zwischen Arendsee und Zeitz.

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Rund 10.000 Kilometer liegen zwischen Hanoi, der Hauptstadt Vietnams, und Naumburg im Burgenlandkreis. So weit sind der 24-jährige Viet, der 22-jährige Bao und der 22-jährige Mnahle weg von ihrer Heimat, ihrer Familie, ihren Freunden. Warum sie das auf sich genommen haben? Um im beschaulichen Naumburg an der Saale eine Ausbildung zu machen. Im Gasthof "Zur Henne" bekochen und bedienen die drei seit etwa einem Jahr die Restaurantgäste.

Und damit sind sie nicht die einzigen. Mehr und mehr Vietnamesen kommen nach Sachsen-Anhalt, um in Branchen mit fehlenden Fachkräften eine Ausbildung zu machen. Die Gastronomie ist eine dieser Branchen.

Er habe schon immer als Koch arbeiten wollen, sagt Viet und sein Kollege Mnahle fügt hinzu: "Kochen ist für mich nicht nur ein Job, sondern eine Leidenschaft." Die drei Auszubildenden machen deutlich, wie dankbar sie dafür sind, in Deutschland lernen zu dürfen.

Ich freue mich, dass ich die Chance habe, hier zu sein. Das haben nicht alle jungen Menschen aus Vietnam.

Viet, Koch in Ausbildung aus Vietnam

Vor allem, weil die Ausbildung in Deutschland teuer ist. 8.000 Euro mussten die Familien von Viet, Bao und Mnahle bezahlen, bevor ihre Söhne nach Deutschland kommen durften – unter anderem für Flüge, Lebenshaltungskosten und den Sprachkurs. Denn bevor die jungen Männer ihre Ausbildung begonnen haben, haben sie das erste halbe Jahr in Deutschland mit einem Sprachkurs verbracht. Erst dann begannen sie, Geld zu verdienen.

Nur positive Erfahrungen

Michael Schmidt ist Inhaber des Gasthofes "Zur Henne" und damit Chef der drei Auszubildenden. Gleichzeitig ist Schmidt Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in Sachsen-Anhalt. Seit zwei Jahren hat er in seinem Gewerbe vietnamesische Azubis und damit, sagt er, bisher nur positive Erfahrungen gemacht. "Klar, am Anfang gibt's manchmal Startschwierigkeiten, gerade mit der Sprache und so, aber nach einem halben Jahr geht das meist schon wieder."

Auch von den Gästen habe es bisher nur positives Feedback gegeben. "Für uns ist das ein großer Zugewinn", sagt Schmidt. Anderen Betrieben könne er nur den Rat geben, neue Wege zu gehen: "Am Ende sichert das unsere Zukunft und unseren Berufsstand." 70 Gastronomie-Auszubildende aus Vietnam sind im aktuellen Jahr über die Dehoga nach Sachsen-Anhalt gekommen, im nächsten Jahr sollen es 150 werden. Auch Schmidt wird 2020 wieder drei junge Vietnamesen ausbilden.

Das Problem mit der Sprache

Viet, Mnahle und Bao sagen, Naumburg gefalle ihnen gut. Es sei hier ruhiger als in ihren Heimatstädten. Zwar sei die Familie weit weg, "aber meine Freunde hier sind wie eine kleine Familie für mich", erzählt Bao. Obwohl alle drei zukünftig auch andere Orte in Deutschland kennenlernen wollen, sind sie sich einig, erst einmal einige Jahre hier arbeiten zu wollen.

Noch haben die drei Auszubildenden ihre Sorgen mit der deutschen Sprache. "Für mich ist es schwer, beim Hören zwischen "ch" und "r" zu unterscheiden. Manchmal muss ich dann bei Gästen nochmal nachfragen." Aber die seien immer freundlich, sagt Bao.

Auch Liane Michaelis weiß, wie schwer es den Auszubildenden teilweise fällt, Deutsch zu lernen. Sie arbeitet für den Bildungsträger ESO Education Group, der seit 2014 auch junge Vietnamesen in Pflegeberufen ausbildet. Mehr als 100 vietnamesische Auszubildende haben die Schulen des Trägers in ganz Mitteldeutschland besucht. Der Sprachkurs in Deutschland, erklärt Michaelis, sei auch deswegen nötig, weil die Sprachausbildung in Vietnam eine andere Qualität habe als in Deutschland.

Über Rechte und Pflichten aufklären

Obwohl alle Vietnamesen mit einem zertifizierten B1-Sprachniveau nach Europäischem Referenzrahmen nach Deutschland kämen, sei das tatsächliche Sprachniveau der Schüler sehr unterschiedlich: "Im ersten halben Jahr führen wir die Sprachkenntnisse der Auszubildenden deswegen zusammen und bringen sie auf das Sprachniveau B2, sodass sie die Ausbildung beginnen können."

In dem ersten halben Jahr müsse den jungen Leuten aber noch mehr vermittelt werden als nur die deutsche Sprache: "Uns ist wichtig, dass wir die Vietnamesen von Anfang an ganz klar über ihre Rechte, aber auch ihre Pflichten hier aufklären." Dazu arbeiteten die Schulen anfangs mit einem Übersetzer zusammen, außerdem gebe es einen festen sozialpädagogischen Ansprechpartner für die Auszubildenden.

Wir versuchen, in der Zeit ein grundlegendes Verständnis für das deutsche Recht und die Lebens- und Arbeitskultur zu schaffen, sodass die Auszubildenden hier gut zurecht kommen. Wir informieren sie über Versicherungen, die Verbindlichkeit von Miet- und Ausbildungsverträgen, aber auch Grundwerte, wie z.B. Pünktlichkeit und Ehrlichkeit.

Dieses Vorgehen hat laut Michaelis geholfen, die Zahl der Ausbildungsabbrüche soweit zu reduzieren, dass sie fast keine Rolle mehr spielten.

Probleme gibt es nach den Beobachtungen von Liane Michaelis auch, weil viele Vietnamesen mit unrealistischen Erwartungen nach Deutschland kommen. Manche glauben, mit einem Job in der Pflege oder der Gastronomie schnell und einfach viel Geld verdienen zu können. Die Realität sieht bekanntlich anders aus. Auch deshalb versuchen die Bildungsträger in Deutschland, schon im Vorfeld überhöhten Erwartungen entgegenzusteuern: "Wir haben Infomaterial in verschiedenen Sprachen und versuchen, da ein realistisches Bild zu vermitteln. Aber uns fällt immer wieder auf, dass auf vietnamesischer Seite Informationen ausgelassen werden", sagt Liane Michaelis.

Das Problem: Viele der Azubis werden von vietnamesischen Bildungsunternehmen vermittelt, nicht alle von ihnen arbeiten seriös. Vermutlich sind die Erwartungen einiger junge Vietnamesen auch deshalb so überzogen.

Azubis aus Vietnam auch in der Pflege

Es gibt natürlich Unternehmen, die mit vietnamesischen Auszubildenden ein Geschäft machen wollen. Auf die Bildungsträger in Deutschland, erklärt Liane Michaelis vehement, trifft das nicht zu.

Wenn es nur nach dem wirtschaftlichen Nutzen gehen würde, würden wir das Projekt nicht machen.

Liane Michaelis

Besonders in der Gastronomie haben es viele Unternehmer schwer, geeignete Fachkräfte zu finden. Auch deshalb sind Gastronomen wie Michael Schmidt aus Naumburg froh über die Verstärkung aus Vietnam. Das gilt im Übrigen auch in anderen Branchen wie der Pflege. Auch hier fehlt der Nachwuchs, auch hier helfen Vietnamesen inzwischen in Sachsen-Anhalt aus. Es gehe darum, dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzuwirken – und langfristig auch die Pflegeschulen zu erhalten, sagt Liane Michaelis.

Eine große Hilfe – aber keine langfristige Lösung

Da passt es gut, dass ein Großteil der vietnamesischen Pflege-Azubis nach Ende der Ausbildung Anfang kommenden Jahres in Deutschland bleiben will. Alle der 16 Pflegefachkräfte, die im Moment in Sachsen-Anhalt ausgebildet werden, wollen anschließend ihren Ausbildungsbetrieben treu bleiben, erzählt Liane Michaelis.

Die vietnamesischen Auszubildenden sind eine wichtige Unterstützung für die Pflegeeinrichtungen im Land. Die Zusammenarbeit mit den Behörden in Deutschland sei sehr gut, sagt Michaelis. Ein Problem gibt es trotzdem: Fast jedes der angeforderten Visa für die Auszubildenden wird von den Botschaften in Vietnam anfangs abgelehnt. Bis alles geregelt war, war viel Papierkram nötig – in der Pflege, aber auch in der Gastronomie. Auch Gaststubenbesitzer Michael Schmidt aus Naumburg kennt das Problem.

Wir brauchen Fachkräfte, aber lassen sie nicht ins Land.

Liane Michaelis

Bei aller Freude über die Hilfe der vietnamesischen Fachkräfte mahnt Liane Michaelis zum Realismus: Langfristig verändern auch die Mitarbeiter aus Asien nichts am Fachkräftemangel hierzulande. "Wir müssen lernen, unsere Probleme allein zu lösen – denn die Länder, aus denen wir jetzt noch Fachkräfte rekrutieren, haben in den nächsten Jahren die gleichen demographischen Probleme wie wir."

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Über die Autorin Neugierig ist Alisa Sonntag schon immer gewesen - mit Leidenschaft auch beruflich. Aktuell beendet sie ihre Master in Multimedia und Autorschaft und International Area Studies in Halle. Dabei schreibt sie außer für den MDR SACHSEN-ANHALT unter anderem auch für das Journalismus-Startup The Buzzard.

Quelle: MDR/aso

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 17. November 2019 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

Steffen 1978 am 17.11.2019

Auch heute wird Kindern in unseren schulen beigebracht das man nur mit einem Studium nicht Mensch zweiter Klasse ist.Handwerk und alle anderen Berufe werden als nicht attraktiv dargestellt das sollte langsam auch mal unsere Politik ändern. Abwanderung aus dem so schlechten Osten wurde über 30 Jahre gefördert das Resultat sehen und spüren wir jetzt alle.und nun wollen wir das mal eben so mit Nachwuchs aus anderen Ländern lösen. Ich lach mich Tot.einfacher wäre es doch unseren Nachwuchs intensiv zu fördern das beginnt schon in Kitas und Schulen aber dafür reicht ja wie immer das Geld nicht. Vor 20-30 Jahren hatten wir volle Berufsschulen heute volle Unis und heraus kommen viele ohne Abschluss und der Rest geht ins Ausland.

aus Elbflorenz am 17.11.2019

Glaubt man den Berichten, dann dürfte es hierzulande keine Arbeitslosigkeit geben, bei dem immensen Fachkräftemangel an ausländischen Arbeitskräften.

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