Diskussion um Polizeischutz für jüdische Gemeinden Rücktrittsforderungen gegen Innenminister Stahlknecht

17. Oktober 2019, 04:08 Uhr

Seit einer Woche wird diskutiert, ob jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt ausreichend geschützt sind. Nun gibt es erstmals konkrete Rücktrittsforderungen aus dem Landtag. Innenminister Stahlknecht weist die Vorwürfe zurück. Die SPD erwartet umfassende Aufklärung in dieser Frage. Die AfD fordert den Rücktritt des Innenministers.

Zwei Polizisten mit Maschienengewehren stehen vor der synagoge Dresden am 9.10.2019. Sie sind in alarmbereitschaft, nachdem am Mittwochmittag vor der Synagoge in Halle/Saale zwei Menschen erschossen worden sind.
In Sachsen-Anhalt wird diskutiert, ob jüdische Einrichtungen, wie hier vor der Synagoge in Dresden, ausreichend von der Polizei geschützt worden sind. Bildrechte: Tino Plunert

Nach dem Terroranschlag in Halle steht Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht politisch weiter unter Druck. Aus dem Landtag gab es am Mittwoch erstmals Rücktrittsforderungen an den Innenminister. Im Zentrum der Vorwürfe steht die Frage, ob die Sicherheitsbehörden dem erbetenen Schutz jüdischer Einrichtungen nicht nachgekommen seien.

Konkrete Rücktrittsforderung an Stahlknecht

Die AfD-Fraktion hat den Rücktritt Stahlknechts gefordert. Fraktions-Chef Oliver Kirchner sagte, der Innenminister sei seiner Verantwortung beim Schutz der jüdischen Gemeinde nicht gerecht geworden. Die Innenexpertin der Linken, Henriette Quade, teilte mit, falls sich herausstellen sollte, dass die Vorwürfe der jüdischen Gemeinden wahr sind, müsse Stahlknecht den Hut nehmen.

Die SPD-Landtagsfraktion teilte am Mittwoch mit, sie erwarte umfassende Informationen über die Sicherheitslage an den Synagogen und über die bisherige Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden. Alle Fakten müssten auf den Tisch, so der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rüdiger Erben.

Vorwürfe aus der Jüdischen Gemeinde in Magdeburg

Nach der Jüdischen Gemeinde Dessau hat auch die Gemeinde in Magdeburg Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden erhoben. Eine Vertreterin der Gemeinde sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Mittwoch, sie habe nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 gegen 13:30 Uhr telefonisch Polizeischutz angefordert. Die Polizei habe ihr jedoch nur gesagt, es fahre einmal mehr ein Streifenwagen.

Erst drei Stunden nach dem Anruf habe ein Polizeiauto vor der Magdeburger Jüdischen Gemeinde gestanden, so die Sprecherin. Zum Zeitpunkt ihres Anrufs seien in der Gemeinde Menschen zum Gebet versammelt gewesen.

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Montagabend zu den Vorwürfen, dass sich der Dienststellenleiter des Polizeireviers in Magdeburg bereits am Donnerstag voriger Woche – also am 10. Oktober – bei der jüdischen Gemeinde für "Kommunikationsschwierigkeiten" entschuldigt habe. Demnach hatte die Polizei der Gemeindevertreterin am Telefon mitgeteilt, dass wegen der Einsatzlage in Halle kein dauerhafter Einsatz von Polizeibeamten vor der Synagoge möglich sei. Zu dem Zeitpunkt hatte der Dienststellenleiter aber bereits angeordnet, dass mindestens einmal stündlich eine Streife vor der Synagoge nach dem Rechten sieht.

Terroranschlag am 9. Oktober

Am 9. Oktober hatte ein 27-Jähriger in Halle zwei Menschen erschossen und später zwei weitere verletzt. Zuvor hatte er versucht, am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, in die Synagoge einzudringen und aus rechtsextremistischen und antisemitischen Motiven die versammelten Gläubigen zu töten. Die Tat ist vom Generalbundesanwalt als Terroranschlag eingestuft worden.

Die Vertreterin der Jüdischen Gemeinde sagte im Interview weiter, sie habe sich nicht ernstgenommen gefühlt. Die Polizei habe nach ihrem Anruf nicht zurückgerufen und auch keine Hinweise gegeben, wie sich die Gemeinde im Falle eines Anschlags verhalten solle. Auch habe es in diesem Jahr noch kein Angebot für mehr Schutz vom Innenministerium gegeben – zumindest bis zu dem Tag des Anschlags. Allerdings habe die Gemeinde auch schriftlich keinen Polizeischutz beantragt.

Vorwürfe der Jüdischen Gemeinde Dessau

Zuvor hatte bereits die Jüdische Gemeinde in Dessau Vorwürfe gegen Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht erhoben. Der Vorsitzende der Gemeinde, Alexander Wassermann, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, Stahlknecht habe vor einigen Monaten Finanzhilfen für stärkere Sicherheitsmaßnahmen abgelehnt. Dabei sei es um rund 17.000 Euro unter anderem für neue Videokameras sowie verstärkte Türen und Fenster gegangen.

Das Landeskriminalamt hätte schon vor Monaten eine Mängelliste erstellt. Die Jüdische Gemeinde könne das Geld jedoch nicht allein aufbringen. Erst jetzt hätten Experten der Polizei die Sicherheitsmaßnahmen der Jüdischen Gemeinde in Dessau überprüft.

Reaktion aus dem Innenministerium

Das Innenministerium antworte auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT am Mittwochnachmittag, der Bitte der Gemeinde in Dessau habe man nicht nachkommen können, da der Staatsvertrag zwischen dem Land Sachsen-​Anhalt und der Jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-​Anhalt eine solche Kostenübernahme nicht vorsehe.

Der Staatsvertrag eröffne allerdings die Möglichkeit, eine gesonderte Vereinbarung mit Blick auf den Schutz der Jüdischen Gemeinschaft zu treffen. "Von dieser Möglichkeit ist bislang kein Gebrauch gemacht worden", so das Innenministerium.

Außerdem habe das Innenministerium am Montag erklärt, beim Neubau der Synagoge in Dessau sämtliche Kosten für "bauliche Sicherheitsmaßnahmen in dem vom Landeskriminalamt als notwendig erachteten Umfang" zu übernehmen. Man habe dafür beim Finanzministerium Haushaltsmittel beantragt.

Des Weiteren soll eine Arbeitsgruppe zum "Schutz jüdischer Einrichtungen" gegründet werden, die sich aus Mitgliedern des Innenministeriums, des Bildungsministeriums und dem "Ansprechpartner des Landes für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus" zusammensetzt.

Treffen und Gespräche am Donnerstag

Am Donnerstag wollen die Jüdischen Gemeinden Dessau, Magdeburg und Halle mit Innenminister Stahlknecht gemeinsam über das Thema sprechen. Dabei soll es vor allen Dingen darum gehen, wie die Sicherheit der jüdischen Gemeinden im Land künftig aussehen soll. Das Innenministerium will dabei "eine Vereinbarung über bauliche Sicherheitsmaßnahmen an Synagogen und deren Finanzierung" vorbereiten.

Der Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, sagte, es müssten "bestimmte Regeln für die Zukunft" ausgearbeitet werden. Das Treffen soll nach Angaben des Innenministeriums unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Magdeburg stattfinden.

Schutz von Synagogen und Moscheen rund um die Uhr

Nach dem Terroranschlag in Halle hatten die Jüdische Gemeinde in Halle und der Zentralrat der Juden die Sicherheitsbehörden kritisiert, die Gemeinden und jüdischen Einrichtungen in Sachsen-Anhalt seien nicht ausreichend geschützt worden. Innenminister Stahlknecht versprach bessere Sicherheitsmaßnahmen und rechtfertigte das Vorgehen der Polizei – es habe vor dem Attentat keine Hinweise auf einen Anschlag gegeben.

Anfang der Woche hatte Stahlknecht erneut Vorwürfe gegen die Polizei zurückgewiesen, die Polizei habe auf Schutzgesuche seitens der angegriffenen Jüdischen Gemeinde in Halle nicht reagiert. Er sagte auf einer Pressekonferenz, der Einsatz sei die herausforderndste Lage für die Polizei seit 1990 gewesen. Die Beamten hätten allesamt eindrucksvoll bewiesen, dass ihnen die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben unbeteiligter Dritter oberste Verpflichtung ist. Außerdem stellte er einen 10-Punkte-Plan für den besseren Schutz der Öffentlichkeit vor. Demnach werden Synagogen und Moscheen in Sachsen-Anhalt rund um die Uhr durch die Polizei gesichert.

Stahlknecht erläuterte weiter, es habe kein konkretes Hilfegesuch der Jüdischen Gemeinde in Halle für den Tag des Anschlags gegeben. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Sonnabend sagte er, die Polizei sei Bitten der jüdischen Gemeinde um Schutz stets nachgekommen.

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Quelle: MDR,dpa/mp

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 16. Oktober 2019 | 17:00 Uhr

12 Kommentare

Elbbewohner am 18.10.2019

Es ist mehr als beschämend, aus der Berichterstattung entnehmen zu müssen, dass die jüdische Gemeinde Halle zur Installation der Videoüberwachung Spenden aus Israel brauchte, da die Landesregierung die Übernahme solcher Kosten abgelehnt hat. Dabei war das letztlich neben der verstärkten Synogogentür die einzige Lebensversicherung der Menschen in der Synagoge, als der Irre mit dem Stahlhelm um die Ecke bog. Unterstützung durch den deutschen Staat: Null.
Herr Stahlknecht sollte sich in seinem Büro einschließen und erstmal vier Wochen den Mund halten. Alles, was er seit der Katastrophe an Erklärungen rauslässt, ich nicht einmal im Ansatz glaubwürdig.

C.T. am 17.10.2019

Herr Stahlknecht werden "2 Eimer voller Scheiße" vor die Türe gestellt, die er zu vergolden hat. So interpreitere ich die Politik in Sachsen Anhalt. Und hier muss ich Herrn Stahlknecht mit der Phrase "Von nichts kommt nichts" in Schutz nehmen. Sachsen Anhalt war nichts, ist nichts und wird nie etwas sein! Daran kann selbst Rumpelstilzchen nichts ändern!

Realist62 am 17.10.2019

Antisemitismus gibt es schon seit es Juden gibt. Auch wenn es nach Werbung klingt, ich würde Dir da eine ZDF- Dokureihe über die Juden empfehlen, die da ein australischer Professor gemacht hat.

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