Themenschwerpunkt Das Problem mit dem Hass im Netz: "Jeden Hetzer rausschmeißen"

20. April 2020, 16:23 Uhr

Experten sind sich einig: Der Hass auf Plattformen wie Facebook hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Immer häufiger richtet er sich gegen Redaktionen selbst. Die wiederum überlegen sich Strategien, um dem Hass Einhalt zu gebieten – und betonen, dass auch im Internet Regeln gelten. Teil 1 des MDR SACHSEN-ANHALT-Schwerpunkts über Hass im Netz.

Luca Deutschländer
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Auf blauem Hintergrund sind unterschiedliche Smileys zu sehen.
Der geballte Hass: Vor allem bei der Berichterstattung über politisch motivierte Kriminalität schlägt Medienmachern und Politikern auf Facebook Hass entgegen. Bildrechte: MDR/Max Schörm

Es ist gar nicht lange her, da bekam MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Daniel George eine Zuschrift. "DG, die Hure aus dem Norden", schrieb ein User unter einen Bericht des Reporters. Es waren wenig schmeichelhafte Worte. Und es waren in den vergangenen Jahren nicht die einzigen, die an den Sportreporter gerichtet waren. Wer guten Journalismus macht, eckt an. Das gehört zum Job. Immer häufiger aber sind Journalistinnen und Journalisten mit Beleidigungen oder gar Hass konfrontiert, abgesetzt per Facebook, Twitter oder E-Mail. Die Hemmschwelle dabei ist augenscheinlich nicht besonders hoch. Der oben genannte Kommentar ist da noch einer der harmloseren, die Tag für Tag bei MDR SACHSEN-ANHALT einlaufen.

All diese Kommentare müssen gelesen, moderiert und im Zweifel gelöscht werden. Auch im Internet gelten Regeln. Das ist nicht nur bei MDR SACHSEN-ANHALT so, sondern bei nahezu jedem Medienhaus. Die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) etwa beobachtet auf Facebook eine deutliche Zunahme bei der Zahl der Hasskommentare. Und die sind längst nicht mehr anonym, sagt Gero Hirschelmann, Chef vom Dienst Digital bei der MZ. Im Gegenteil: "Heute steht der Hasser oft mit seinem Namen für den Hass, den er verbreitet – und wundert sich ernsthaft, warum wir das nicht dulden", sagt Hirschelmann.

Besonders bei der Berichterstattung über politisch motivierte Straftaten gehen Nutzern die Nerven durch. "Bei diesen Themen richtet sich Hatespeech immer öfter gegen uns als Presse", sagt Hirschelmann. Die Glaubhaftigkeit der Medien insgesamt werde infrage gestellt. "Empörung und Wut schlägt uns entgegen, weil diese Themen in der Wahrnehmung unserer User von uns Medien aufgebauscht werden."

Keine vergleichbaren Zahlen zu Hass im Netz

Wer mit Medienschaffenden spricht, hört von allen Seiten: Der Hass im Netz, und damit sind vor allem Facebook und ab und an auch Twitter gemeint, hat stark zugenommen. Zahlen, aus denen diese Entwicklung abzuleiten wäre, gibt es allerdings nicht. Das liegt im Wesentlichen daran, dass ein "Hassposting" als eigenes Tatmittel erst seit vergangenem Jahr einheitlich beim Kriminalpolizeilichen Meldedienst erfasst wird. Das teilte das Landeskriminalamt (LKA) MDR SACHSEN-ANHALT mit. Zahlen der Behörde für 2019 zeigen in Sachsen-Anhalt insgesamt 180 Delikte, die der Hasskriminalität im Internet zugeschrieben werden. Einen großen Teil davon machen Propaganda (92 Delikte), Volksverhetzung (36 Delikte) und Beleidigung (31 Delikte) aus. Auch Bedrohungen wurden registriert (4 Delikte).

Würde man diese Zahlen nun mit denen der Vorjahre vergleichen, liefe das auf den viel zitierten Vergleich von Äpfeln mit Birnen heraus. Die Vergleichbarkeit wäre nicht gegeben.

All diese politisch motivierten Taten eint laut LKA allerdings, dass sie wegen ihrer Verbreitung im Internet strafbar sind. Denn auch auf Facebook und Co. gilt: Die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Wer Menschen wegen einer anderen politischen Haltung, einer anderen Hautfarbe oder einer sexuellen Orientierung beleidigt oder verunglimpft, macht sich im Zweifel strafbar. Das Landeskriminalamt in Sachsen-Anhalt betont, dass Polizei und Justiz die Delikte "konsequent verfolgen". Das Internet sei kein rechtsfreier Raum. Auch stelle die vermeintliche Anonymität keinen Schutz vor Strafverfolgung dar, teilte ein LKA-Sprecher mit.

"Dann ziehen wir einen Schlussstrich"

Deshalb stellen auch Redaktionen gelegentlich Strafanzeige gegen User, die Hass im Netz verbreiten – wenn im Fall der Mitteldeutschen Zeitung nach eigenen Angaben eher selten. "Der Hasser hat gelernt, so zu formulieren, dass sein Hass erkennbar bleibt, aber nicht justiziabel wird", sagt Gero Hirschelmann. Diese Erfahrung haben auch die Social Media-Redakteure von MDR SACHSEN-ANHALT gemacht. Frank Rugullis, Leiter der Online-Redaktion, sagt: "Trotzdem erstatten wir dann Anzeige, wenn es nötig ist. Das ist wie im richtigen Leben, das Netz ist ja kein rechtsfreier Raum." Wenn ein Kommentar justiziabel erscheint, werde er im Haus geprüft – und gegebenenfalls an die Justizbehörden weitergeleitet.

An dieser Stelle wünscht sich der Redaktionsleiter eine einfachere Zusammenarbeit mit der Justiz in Sachsen-Anhalt. Anderswo, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, haben Redaktionen die Gelegenheit, einen möglicherweise strafbaren Kommentar mit wenigen Klicks an spezialisierte Staatsanwälte zu übermitteln. In Sachsen-Anhalt gibt es so etwas nicht. "Auch wir brauchen klare Ansprechpartner und einfache Wege für die Verfolgung von Hasskriminalität im Netz", sagt Rugullis.

Unsere Facebook-Seite ist kein Versuchsgebiet, um die Grenzen der Meinungsfreiheit auszutesten.

Gero Hirschelmann Chef vom Dienst Digital bei der Mitteldeutschen Zeitung

Wie also umgehen mit dem Hass? Wie umgehen mit den wenigen Usern, die mit ihren vielen Hasskommentaren Stimmung und Diskussionskultur in den Kommentarspalten vergiften? "Unsere Seite – unsere Regeln", sagt Gero Hirschelmann. "Ein Kommentar muss nicht justiziabel sein, um verborgen oder gelöscht zu werden. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Wenn sich User aber gegenseitig beleidigen, sich der Hass gegen unsere Redakteure richtet, wenn Minderheiten unter Generalverdacht gestellt und diffamiert werden, ziehen wir einen Schlussstrich."

Die Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT handhabt das ähnlich. Und sie ist sich der Verantwortung des Social Media-Teams bewusst. "Unsere Kolleginnen und Kollegen benötigen für diesen Job ein ganzes Paket von Fähigkeiten", sagt Redaktionsleiter Rugullis. "Sie sind Journalisten, Rechercheure, Mediatoren, Kümmerer und manchmal eben auch etwas Juristen."

Um dem Hass im Netz Einhalt zu gebieten, sieht Gero Hirschelmann von der MZ ein ganz entscheidendes Werkzeug: Konsequenz. "Schmeiß' jeden raus, der Hass verbreitet – auch wenn das weitere Hasskommentare nach sich zieht." Dazu kommen Transparenz und ein gutes Community-Management. Hirschelmanns Credo: "Achte Hinweise aus der Community und sei dankbar dafür."

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. März 2020 | 13:40 Uhr

27 Kommentare

Normalo am 22.04.2020

Wichtigster Satz: Unsere Seite-unsere Regeln. Ich würde mich in meinem Haus auch nicht bedrohen und beschimpfen lassen sondern den Spinner rausschmeißen 👍

husar am 21.04.2020

Wie es scheint, muss das Virus bei manchen Menschen das evtl. noch vorhandene Resthirn angegriffen haben, anders sind die meisten der Kommentare hier nicht zu verstehen. Alle, die nicht der täglich vorgebetenen Meinung zustimmen, werden gnadenlos nieder gemacht. Schlimmer gehts nimmer,traurige Entwicklung im ehemaligen Volk der Dichter und Denker.

DER Beobachter am 21.04.2020

Wenn Sie Anteilnahme, Verständnis oder Zustimmung haben wollen, müssten Sie das schon genauer erklären. Sonst bleibts beim Verdacht typisch rechtsäußeren Gemeinpunkthetzens ...

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