Interview zur CDU-Denkschrift "Ich glaube, ihm war die Tragweite nicht bewusst"

29. Juni 2019, 10:45 Uhr

Journalist Hagen Eichler hat als Erster über die Denkschrift aus den Reihen der CDU berichtet. Im Interview mit ihm äußerte sich Ulrich Thomas, einer der Verfasser, zur AfD. Was hat das für Folgen? Und wie geht es jetzt weiter mit der Union in Sachsen-Anhalt? Eichlers Einschätzungen.

Stellv. Fraktionsvorsitzender Ulrich Thomas (CDU,Sachsen Anhalt) und Lars Jörn Zimmer (CDU,Sachsen Anhalt) - Fraktionssitzung der CDU vor der Landtagssitzung im Landtag von Sachsen Anhalt
Ulrich Thomas (l.) und Lars-Jörn Zimmer haben mit ihrer Denkschrift für Aufregung gesorgt. Bildrechte: imago images / Christian Schroedter

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Eichler, Sie haben als Erster über die Denkschrift von Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer berichtet. Wie überrascht waren Sie selbst von diesem Papier?

Hagen Eichler, Journalist: Dass es in der CDU Sachsen-Anhalt einige gibt, die auf Mehrheiten mit der AfD hoffen, hat mich nicht überrascht. Die Formulierung „das Soziale mit dem Nationalen versöhnen“ war aber schon bemerkenswert, weil die Verbindung dieser Begriffe historisch so belastet ist.

Ein Foto Ihres Artikels wurde im Internet tausendmal geteilt. Waren Sie sich der Brisanz vor der Veröffentlichung bewusst?

Ja, ich wusste, dass das Wellen schlagen würde. Gerade die Kombination aus der Denkschrift und den Aussagen von Ulrich Thomas zu einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD hatte es in sich.

Lars-Jörn Zimmer hat sich nicht zu einer möglichen Koalition mit der AfD geäußert?

Nein, die Aussagen dazu stammen von Ulrich Thomas. Allerdings hat Lars-Jörn Zimmer die Denkschrift als Co-Autor unterzeichnet.

Die Stoßrichtung der Denkschrift ist also klar. Da geht es um Lockerungsübungen in puncto Zusammenarbeit mit der AfD.

Hagen Eichler, Journalist bei der Mitteldeutschen Zeitung

Denken Sie, dass sich die beiden bewusst waren, für wie viel Aufregung ihre Aussagen sorgen würden?

Am Tag, bevor der Artikel über diese Denkschrift bei uns in der MZ erschienen ist, habe ich mit Ulrich Thomas darüber gesprochen und da hat er diese Sätze zur AfD völlig unbefangen gesagt. Ich glaube nicht, dass ihm die Tragweite zu diesem Zeitpunkt bewusst war.  

Und jetzt äußern sich Thomas und Zimmer nicht mehr zu der Denkschrift.

Das stimmt. Sie sind, zumindest was öffentliche Aussagen angeht, auf Tauchstation gegangen und nicht erreichbar. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer persönlich hat ihnen bei Anne Will widersprochen, sie hat eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen, sich dabei auf diese Denkschrift und dann auch noch auf die Ermordung von Walter Lübcke bezogen. Das hat natürlich eine enorme Wucht.    

Wie schätzen Sie den Inhalt der Denkschrift ein?

Das Papier spricht nicht ausdrücklich über eine Koalition mit der AfD. Aber von der ganzen Argumentation ist es schon so angelegt. Im Grunde steht dort aus CDU-Sicht: Die AfD gräbt uns mit konservativen Themen das Wasser ab, mit unseren Koalitionspartnern SPD und Grünen läuft es nicht – jetzt müssen wir sehen, mit wem wir konservative Politik durchsetzen können. Die Stoßrichtung der Denkschrift ist also klar. Da geht es um Lockerungsübungen in puncto Zusammenarbeit mit der AfD.  

"Das Soziale mit dem Nationalen versöhnen", "linker Mainstream", "ungesteuerte Migration", "gesteuertes Gutmenschentum" – warum haben sich Zimmer und Thomas solch AfD-naher Rhetorik bedient?

Das ist ein starkes Indiz dafür, dass einige in der CDU auch inhaltlich eine sehr große Nähe zur AfD sehen.

Wie groß ist der rechte Flügel innerhalb der Union Sachsen-Anhalt wirklich?

Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer sind keine unwichtigen Politiker. Beide sind stellvertretende Fraktionsvorsitzende und stehen für etliche andere. Im CDU-Landesvorstand hatten sie aber keinen Rückhalt. Der Vorstand hat eine Koalition mit der AfD konsequent ausgeschlossen.  

Wie groß ist das Vertrauen innerhalb der Union Sachsen-Anhalts denn noch?

Fraktionschef Siegfried Borgwardt wurde am Montag bei einer Pressekonferenz gefragt, ob er noch Vertrauen zu den beiden habe. Und da hat er lediglich geantwortet, dass beide von der Fraktion gewählt sind. Das sagt schon viel.

Was bleibt nach diesen Spekulationen über eine Zusammenarbeit mit der AfD?

Eine äußerst schlechte Stimmung in der Koalition. Wenn man die Reaktion der SPD auf die Denkschrift sieht, dann könnte die Empörung größer kaum sein. Auch die Grünen überlegen, wie es in der Koalition weitergeht. Am Wochenende findet bei ihnen ein Landesparteitag statt. Und wer weiß, ob da nicht Mitglieder einen Antrag stellen, aufgrund der letzten Ereignisse die Koalition zu verlassen. 

Das Interview führte Daniel George.

Quelle: MDR/dg

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Juni 2019 | 17:00 Uhr

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