Junge Entscheidungsträger in der Politik "Durchschnittsalter sollte die Partei alarmieren": Was junge Politiker von ihren Parteien verlangen

27. Juli 2020, 12:19 Uhr

Wer nach jungen politischen Talenten sucht, sollte in den Jugendorganisationen von CDU, SPD und Co. nachsehen. Dort hat in der Vergangenheit so manche politische Karriere begonnen. Für den zweiten Teil des Schwerpunktes über junge Entscheidungsträger in der Politik hat MDR SACHSEN-ANHALT gefragt, ob der Nachwuchs innerhalb der Parteien ausreichend gewertschätzt wird. Ergebnis: Viele sind zufriedener, als man vorher angenommen hätte.

Luca Deutschländer
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Stimmzettel werden am 11.09.2016 bei der Auszählung der Briefwahl für die Kommunalwahl in Niedersachsen im neuen Rathaus in Hannover (Niedersachsen) für die Zählung sortiert.
Nach dem Geschmack vieler junger Politiker könnte bei Wahlen durchaus mehr politischer Nachwuchs auf dem Stimmzettel stehen. Bildrechte: picture alliance / dpa | Sebastian Gollnow

Die Worte von Christoph Girbig sprechen eine deutliche Sprache. 68 Prozent Zuwachs verglichen mit vergangenem Sommer. "Eine atemberaubende Steigerung", findet der junge Mann aus Magdeburg. Christoph Girbig ist einer der beiden Landessprecher der Grünen Jugend in Sachsen-Anhalt – und hat Grund zur Freude. "Der Zuwachs", sagt er, "zeigt, dass immer mehr jüngere Menschen ihr Interesse in den Themen unserer Organisation finden." In der Tat: Die Steigerung ist beachtlich. Und er untermauert einen Trend, der sich längst bundesweit abbildet: Die Grünen kommen gut an bei vielen jungen Menschen.

Zur Wahrheit gehört aber, dass die Grüne Jugend in Sachsen-Anhalt eine der kleinsten Jugendorganisationen der Parteien bleibt. Gut 140 Mitglieder hat sie nun, Jusos (knapp 700 Mitglieder) oder Junge Union (etwa 600) sind in ganz anderen Sphären unterwegs.

Jugendorganisationen spielen besondere Rolle

Die Herausforderungen aber sind auch dort dieselben: Wie können junge Menschen, die sich politisch engagieren, den Sprung in die oft von älteren Menschen dominierten Parteien schaffen? Wie gelingt es, den Generationenwechsel in den Kommunalparlamenten dieses Landes voranzutreiben? So sehr sich die Antworten während der Recherche für diesen Themenschwerpunkt unterscheiden: So eindeutig ist, dass den Jugendorganisationen von CDU, SPD, Grünen, AfD und Linken eine entscheidende Rolle zufällt. Sie sind es, aus denen der politische Nachwuchs kommt.

Die Wahlen im Landkreis Harz haben das wieder gezeigt: Daniel Szarata, bald Oberbürgermeister von Halberstadt? Begann seine politische Karriere einst in der Jungen Union. Thomas Balcerowski, designierter Landrat im Harz? Einst ebenfalls ein Sprössling aus dem CDU-Nachwuchs. JU-Landesvorsitzende Anna Kreye sieht in ihrer Partei trotzdem Raum für Verbesserungen. "Das Durchschnittsalter der CDU sollte die Partei alarmieren", sagt Kreye. Was die Christdemokraten bräuchten, sei eine gezielte Förderung junger Menschen. Ob es diese Förderung auch wirklich gibt, sei von Kreisverband zu Kreisverband unterschiedlich.

Letztendlich muss beides stimmen: das Kandidatenangebot, aber auch die Bereitschaft, jungen Menschen eine Chance zu geben.

Anna Kreye Landesvorsitzende der Jungen Union in Sachsen-Anhalt

Dass ältere Politiker innerhalb der Partei mehr Chancen haben, findet Anna Kreye einleuchtend. "Sie haben die besseren Netzwerke und verfügen natürlich auch über Erfahrung", sagt die 26-Jährige. Und trotzdem: Sie wünsche sich einen gesunden Ausgleich zwischen den Generationen – und das ohne Quote.

Gleiche Aufstiegschancen von älteren und jüngeren Politikern hält auch Franca Meye für utopisch. Meye ist Landesvorsitzende der Jusos in Sachsen-Anhalt und betont, dass ein Kommunalpolitiker mit 15-jähriger Stadtratserfahrung immer bekannter und erfahrener sein wird als ein junger Mensch, der gerade erst mit der Kommunalpolitik begonnen hat. Die SPD sieht Meye aber auf einem guten Weg. Das hätten die Kommunalwahlen voriges Jahr untermauert. "Wir sind landesweit mit vielen Jusos für die Kommunalparlemente angetreten und viele davon hatten auch Erfolg", sagt Meye. Das sei neben dem persönlichen Engagement auch der Tatsache zu verdanken, dass viel mehr junge Menschen einen vorderen Listenplatz bekommen hätten.

Die Einbindung junger Menschen ist für beide Seiten wichtig. Für ältere Mandatsträger können sie einen anderen Blickwinkel eröffnen und für die Jüngeren ist es ein Erfahrungsaustausch und ein Vorbereiten auf die eigene ehrenamtliche Arbeit.

Franca Meye Landesvorsitzende der Jusos in Sachsen-Anhalt

Die SPD sei da auf dem richtigen Weg, sagt Franca Meye. Davon zeugten Seminare für angehende Kommunalpolitiker. Vor allem den direkten Kontakt von politischem Nachwuchs und Kommunalpolitikern müsse man aber noch intensivieren, sagt die Juso-Chefin. Nachholbedarf gebe es außerdem bei der Förderung junger Frauen.

Die Junge Alternative wünscht sich eine bessere Zusammenarbeit von Partei und Jugendorganisation. Dazu gehörten höhere finanzielle Mittel und eine gezielte Förderung und Motivierung junger Nachwuchskräfte, sagte Landesvorsitzender Jan Wenzel Schmidt MDR SACHSEN-ANHALT.

Sechs junge Grüne auf Listenplätzen für Landtag und Bundestag

Christoph Girbig, Landessprecher der Grünen Jugend, sieht in "Fridays for Future" einen entscheidenden Punkt für den Aufwind des Parteinachwuchses. "So kommen viele politisierte Menschen von der Bewegung in die Partei und fordern ein Mitspracherecht ein", sagt Girbig. "Daran müssen sich die Älteren in der Partei gewöhnen."

Junge Kandidierende machen innerhalb der Partei teilweise auch die Erfahrung, nicht immer ganz ernst genommen oder nur belächelt zu werden, wenn sie beispielsweise für einen Vorstandsposten kandidieren.

Christoph Girbig Landessprecher der Grünen Jugend in Sachsen-Anhalt

Wenn Christoph Girbig auf die Gesamtsituation der Grünen schaut, sieht er die Partei auf einem guten Weg. Girbig verweist auf die Wahlen in Land und Bund im kommenden Jahr: Sechs junge Grüne stünden auf den Listen für Landtag und Bundestag, sagt er – auf "aussichtsreichen Plätzen".

Anmerkung der Redaktion: Der Standpunkt der Jungen Alternative wurde nachträglich in den Artikel hinzugefügt. Eine entsprechende Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT hat die Junge Alternative erst nach Veröffentlichung des Artikels beantwortet.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 26. Juli 2020 | 12:00 Uhr

4 Kommentare

winfried am 26.07.2020

Erich, Sie beschreiben genau meinen Eindruck
... und die, die zum Eintritt in eine Partei auffordern, fordern indirekt dazu auf,
der "Hase" in der Geschichte "Hase und Igel" zu sein.

Britta.Weber am 25.07.2020

Die Orientierung auf junge Mandatsträger halte ich für falsch. Ich hätte gern veranrtwortungsvolle Menschen in politischen Funktionen, die über Lebenserfahrung verfügen und eine Familie und einen richtigen Beruf haben - da kommt man schnelle bei den "alten weißen Männern und Frauen" an.
Wenn ich an junge Leute wie Ska Keller oder Therry Reintke (im EU-Parlament- beide in "normalen" Berufen unvermittelbar) oder an Luisa Neubauer denke, dann möchte ich nicht, dass diese Personen politische Entscheidungen fällen, die meine Kinder und Enkel betreffen.

Erichs Rache am 24.07.2020

man, man, man, ... was für ein huldvoller Artikel.
Wer sich intensiver mit "Parteiarbeit" beschäftigt, wird schnell feststellen das "die Alten" den Laden fest im Griff haben, um selbst wieder in Brot und Diät zu kommen.
"Neuer Wind" und neue Ideen sind bei diesem miesen "Ochsentourspiel" ausgeschlossen. Junge Leute, selbst bei den Grünen müssen sich devot labernd ihren Parteioberen anbiedern, um überhaupt von den Parteipatriarchen wahrgenommen zu werden.

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