Junge Entscheidungsträger in der Politik "Wir wollen nicht alt und eingestaubt sein": So weit sind Parteien beim Generationenwechsel

23. Juli 2020, 19:20 Uhr

Wer über Diversität im politischen Alltag spricht, wird häufig mit dem Bild des "alten, weißen Mannes" konfrontiert – ein Indiz dafür, dass politische Amtsträger häufig männlich, in vielen Fällen alt und in der Mehrheit konservativ eingestellt sind. Stimmt das überhaupt? MDR SACHSEN-ANHALT will wissen, wie die Chancen für junge Entscheidungsträger in der Politik stehen. Kommen sie zum Zuge? Wollen sie überhaupt zum Zuge kommen? Klar ist: Leicht ist die Suche für Parteien nach Nachwuchs nicht. Teil 1 des Themenschwerpunktes.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Nimmt man es ganz genau, landet man bei einer Zahl mit sehr vielen Nachkommastellen: 51,3218390805. Die Zahl sei der Einfachheit halber an dieser Stelle gerundet: 51. Der durchschnittliche Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt ist 51 Jahre alt. Damit sind die Abgeordneten nur wenige Jahre älter als der typische Sachsen-Anhalter, der – ebenfalls gerundet – 48 Jahre alt ist. Ein nettes Zahlenspiel, könnte man sagen. Mehr aber auch nicht. Doch man kann dieses Zahlenspiel noch weiter treiben – und feststellen, dass sich der Landtag von Sachsen-Anhalt seit 2016 verjüngt hat. Damals, am Ende der fünfjährigen Wahlperiode, war der durchschnittliche Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt 54 Jahre alt.

Es war maßgeblich die AfD, die zur Verjüngung des Parlamentes beigetragen hat. Die vier jüngsten Abgeordneten im Landtag sind AfDler: Marcus Spiegelberg wurde 1992 geboren, Jan Wenzel Schmidt 1991. Die AfD-Abgeordneten Ulrich Siegmund und Tobias Rausch sind Jahrgang 1990. Und die fünftjüngste Abgeordnete Sarah Sauermann – Geburtsjahr 1988 – zog 2016 ebenfalls für die AfD in den Landtag ein. Inzwischen ist sie fraktionslos. Zum Vergleich: Der jüngste CDU-Landtagsabgeordnete Daniel Szarata ist 37 – und geht der Fraktion nach seinem Sieg bei der Oberbürgermeister-Wahl in Halberstadt demnächst verloren. Die im Durchschnitt älteste Fraktion ist aber die SPD, dicht gefolgt von der CDU. Jüngste Sozialdemokratin im Parlament ist die Fraktionschefin selbst: Katja Pähle ist vor wenigen Wochen 43 geworden.

Warum es "alte Hasen" und junge Kräfte braucht

Doch diese Geschichte soll gar nicht so sehr im Landtag spielen – sondern dort, wo die meisten aller politischen Karrieren beginnen: In den Ortschafts-, Gemeinde- und Stadträten im Land, für manche auch im Kreistag. Wer mit Kommunalpolitikern über die Altersstruktur dort spricht, hört immer wieder: Wir brauchen ja auch die "alten Hasen". "Landtagsabgeordneter ist nun mal kein Ausbildungsberuf." Und doch gibt es auch von jenen Leuten Stimmen, die nach mehr Nachwuchs in den Parteien verlangen. Die sich der Tatsache bewusst sind, dass der Generationenwechsel vollzogen werden muss. Die Landtagswahl 2021 ist dabei, so wirkt es jedenfalls, ein guter Gradmesser.

Doch bis dahin ist noch knapp ein Jahr Zeit. Und es gibt sie ja schon jetzt – die Beispiele von jungen Politikern, die auf kommunaler Ebene entscheiden. Vergangenen Dezember wählten die Menschen im Landkreis Stendal Patrick Puhlmann zu ihrem Landrat. Der SPD-Mann ist 37 Jahre jung.

Und in Halberstadt wurde vorigen Sonntag nicht nur politisch eine 180-Grad-Wende vollzogen, sondern auch beim Alter des künftigen Oberbürgermeisters: Der Linke Andreas Henke (57) muss den Chefsessel im Rathaus an CDU-Mann Daniel Szarata (37) abtreten. Des einen Leid – der CDU im Landtag – ist des anderen Freud' – der CDU im Harz. Für die CDU im Landtag wird Andreas Schachtschneider aus Halle nachrücken. Er ist 59.

Sind Wahlsiege wie die von Puhlmann oder Szarata Einzelfälle? Oder sind die Parteien beim Generationenwechsel ein gutes Stück vorangekommen? Anruf bei Katharina Zacharias. Die Sozialdemokratin hatte im vergangenen Sommer auch mit der Forderung für den SPD-Parteivorsitz kandidiert, die Partei brauche neue, junge Gesichter. Hat sie die inzwischen? "Ja", sagt Katharina Zacharias und verweist auf eine ganze Reihe junger Sozialdemokraten, die kommunalpolitisch aktiv sind. "Die SPD ist mittendrin im Generationenwechsel", meint Zacharias – und verweist auf sich selbst. Weiblich, 30 Jahre jung, Mutter. Stadträtin in Haldensleben – und stellvertretende Landesvorsitzende der Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt. "Ich bin der lebendige Beweis, dass man in der SPD auch als junge Frau etwas erreichen kann, wenn man das will." Sie hofft, sagt sie, dass das auch andere junge politische interessierte Menschen motiviert.

Die Besonderheiten eines Flächenlandes wie Sachsen-Anhalt

Wer über die Altersstruktur der Gemeindeparlamente spricht, sollte das nicht tun, ohne auf die Besonderheiten in Sachsen-Anhalt zu blicken: In einem Flächenland ist die Suche nach politischem Nachwuchs automatisch schwieriger als in den Stadtstaaten oder in Nordrhein-Westfalen, wo sich Städte mit urban geprägter Bevölkerung aneinanderreihen. Auch Katharina Zacharias bestätigt: "In den Städten fällt es uns durch die Unis wesentlich leichter, junge Menschen zu erreichen." Knackpunkt sei der ländliche Raum, wo mancher Ortsverein gut und gerne "Ü 70" sei, wie Zacharias sagt. Bei den anderen Parteien im Land dürfte das kaum anders sein.

In den Städten fällt es uns durch die Unis wesentlich leichter, junge Menschen zu erreichen.

Katharina Zacharias stellvertretende Landesvorsitzende der SPD

Um eine valide Aussage darüber treffen zu können, ob junge Menschen in den Kommunalparlamenten des Landes unterrepräsentiert sind, hat MDR SACHSEN-ANHALT die 14 Stadt- und Kreisverbände von CDU, SPD, Grünen, AfD und Linken angefragt und um Auskunft gebeten: Wie viele ihrer Mitglieder sind gewählte Mandatsträger in Stadt- oder Gemeinderat? Und wann sind sie geboren?

Der Rücklauf auf die Anfrage war überschaubar.

Die einen verwiesen auf Bedenken wegen des Datenschutzes, andere lehnten mit Verweis auf den großen Aufwand ab, den das Ausfüllen einer solchen Liste verlange. Von den meisten Kreisverbänden kam gar keine Antwort. Am ehesten zu Antworten bereit waren CDU, Grüne und Linke.

Eine valide Aussage fällt also schwer. Und doch gibt es ganz offenkundig positive Ausreißer nach oben. Das zeigen die Antworten, die MDR SACHSEN-ANHALT bekommen hat. Die Linken-Fraktion im Magdeburger Stadtrat kommt beispielsweise auf einen durchschnittlichen Geburtsjahrgang von 1975, sachkundige Einwohner eingerechnet. Oder die Grünen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld: Deren Mandatsträger im Kreistag und den Stadträten in Köthen, Zerbst, Sandersdorf-Brehna oder Bitterfeld-Wolfen sind im Durchschnitt 1973 geboren worden.

CDU will "junge Menschen an die Hand nehmen"

Michael Földi nippt an seiner Tasse und trinkt einen Schluck Kaffee. Bundesparteitag 2015 in Karlsruhe, steht auf der Tasse. Und: CDU. Földi empfängt – trotz Urlaubs – in der Geschäftsstelle seiner Partei in Wolmirstedt, mitten in der Fußgängerzone. Früher arbeitete die Lokalredaktion der "Volksstimme" in dem Gebäude, heute hängen Wahlplakate von Ralf Geisthardt, Guido Heuer, Martin Stichnoth, Gaby Brakebusch oder Holger Stahlknecht an den Wänden. Es wirkt wie eine Ahnengalerie erfolgreicher CDU-Politiker von hier. Die Landtagspräsidentin (Brakebusch), der Innenminister und CDU-Landesvorsitzende (Stahlknecht), der nahbare und langjährige Landtagsabgeordnete (Geisthardt) – alles Kinder der Börde, politisch betrachtet jedenfalls.

Michael Földi ist Regionalgeschäftsführer der CDU in den Landkreisen Börde und Salzwedel – er managt im Hintergrund die Partei; sorgt dafür, dass alles läuft; hält vor und in der Geschäftsstelle einen Plausch mit den Menschen, die vorbeigehen. Kontakte knüpfen, das Ohr am Wähler haben, niemanden benachteiligen – die hohe Schule der Kommunalpolitik eben.

Wie sieht es hier aus mit dem politischem Nachwuchs? Michael Földi verweist für den Landkreis Börde auf eine Liste mit elf jungen Männern. Darunter sind Mitglieder des Kreistags, des Stadtrates in Haldensleben oder der Verbandsgemeinderäte Obere Aller oder Flechtingen. Seine Partei wolle Nachwuchs, sagt Földi. "Wir wollen junge Menschen an die Hand nehmen." Doch das sei nun mal nicht leicht – wie an vielen Stellen im ländlichen Raum, an denen Nachwuchs gesucht wird. Parteien geht es da oft nicht besser als Vereinen, die händeringend junge Menschen suchen.

Wir alle müssen uns da mehr bewegen.

Michael Földi Regionalgeschäftsführer der CDU

Wer sich mit Földi unterhält, gewinnt den Eindruck, dass junge Menschen, die sich "einfach so" in der Partei engagieren, eher die Ausnahme sind. Dass es eher der Frühjahrsputz in Wolmirstedt oder das gemeinsame Volleyball-Turnier der Jungen Union am See ist, das ein paar neue Mitglieder bringt. Natürlich ist auch Michael Földi nicht verborgen geblieben, dass Parteien wie Grüne und Linke bei vielen jungen Menschen beliebter sind, als seine CDU es ist. Das sei auch ganz logisch, findet er. "Wir als Regierungspartei müssen nun mal Maßnahmen treffen, die nicht immer beliebt sind." Welcher junge Mensch findet Haushaltspolitik schon spannend?

Michael Földi gehört zu den Menschen, die beides miteinander verbinden wollen: die Erfahrung älterer Parlamentarier und den Ehrgeiz junger politischer Talente. "Wir alle müssen uns da mehr bewegen", sagt er. Diese Hausaufgabe müsse gemacht werden. Gegen Ende des Gesprächs sagt Földi dann noch: "Wir wollen nicht alt und eingestaubt sein." Das Gegenteil sei der Fall. "Aber wir brauchen Geduld: Es dauert eben ein Minütchen länger."

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 26. Juli 2020 | 12:00 Uhr

4 Kommentare

Erichs Rache am 24.07.2020

Der Staatsvertrag („Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" ) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 17.07.1990 sah in Kapitel 1, Art 1, Abs. 3, S. 1 eine „gemeinsame Wirtschaftsordnung“ in Form der Sozialen Marktwirtschaft vor:
"Grundlage der Wirtschaftsunion ist die Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien."

SOZIALE Marktwirtschaft heißt „ ... dass man ... sein Leben selbst in die Hand nehmen und frei gestalten kann. Die Soziale Marktwirtschaft macht das möglich, in dem sie gleiche Chancen (!) für alle gewährleistet.“

Also haltet Euch mal dran, liebe Politiker
Schafft Chancengleichheit für jung und alt, jederman und jede Frau.

aus Elbflorenz am 24.07.2020

Lebenserfahrung sollten die Parlemantarier und Entscheidungsträger in ihrer Breite schon mitbringen...schaden kann das keinesfalls. Mit 20 entscheidet man mehr mit Herz und mit 40 mehr mit Verstand. Jüngere Menschen sind auch durch äußere Einflüsse wie den aktuellen Zeitgeist leichter zu beeinflussen (und darum geht es auch vermutlich), das muss nicht immer Gutes bedeuten. Da kann ein Regulativ von Älteren schon ganz sinnvoll sein.

Brigitte Schmidt am 24.07.2020

"...Bild des "alten, weißen Mannes" konfrontiert – ein Indiz dafür, dass politische Amtsträger häufig männlich, in vielen Fällen alt und in der Mehrheit konservativ eingestellt sind"

Ja, das Narrativ kenne ich (aus den Medien). Und die AfD, die ist doch die Verkörperung dieses Narratives, oder?

"Es war maßgeblich die AfD, die zur Verjüngung des Parlamentes beigetragen hat."
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