Mehr direkte Demokratie, mehr Transparenz Beschlossen: Umfangreiche Parlamentsreform kommt

28. Februar 2020, 15:18 Uhr

Der Gesetzentwurf ist 72 Seiten stark – und kommt von CDU, SPD, Grünen und Linken. Allein diese Zusammenarbeit von Koalition und Opposition ist im Landtag von Sachsen-Anhalt eher selten. Nun haben die vier Fraktionen eine geplante Parlamentsreform endgültig beschlossen. Davon profitieren sollen vor allem die Bürger. Die wichtigsten Punkte der Parlamentsreform im Überblick.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Landtag beschließt umfangreichste Parlamentsreform in der Geschichte

Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat am Freitag die umfangreichste Parlamentsreform in der Geschichte des Bundeslandes auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf erreichte bei der Abstimmung am Freitagmorgen die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit aller Abgeordneten. Schon bei einer Landtagsdebatte am Mittwoch hatten Redner von CDU, SPD, Grünen und Linken die Reform als "modern und zukunftsfest" gelobt. Dier vier Fraktionen hatten die Reform gemeinsam erarbeitet und in den Landtag eingebracht.

Das allein ist selten genug, bedeutet es doch, dass die Linke als Oppositionsfraktion mit den regierenden Fraktionen von CDU, SPD und Grünen zusammenarbeit. Wenn dann ein Ereignis herauskommt, das mit "darauf können wir stolz sein" und "die modernste Landesverfassung Deutschlands" kommentiert und gelobt wird, ist es umso bemerkenswerter. Deshalb überrascht es auch nicht, dass auf den Landtagsfluren so mancher im Vorfeld der Abstimmung eingeräumt hatte, dieses ausführliche und durchaus bedeutende Paket kaum erwartet zu haben. Schließlich ticken allein CDU und Linke in vielen Fragen komplett unterschiedlich.

Rückblick: So war der Weg zur Parlamentsreform

Sachsen-Anhalt muss sich moderner aufstellen. Dieser Meinung waren CDU, SPD, Grüne und Linke bereits im November 2018. Damals beschlossen sie gemeinsam mit der AfD im Landtag, eine "Parlamentsreformkommission" einzusetzen. Die sollte prüfen, ob Verfassung und Gesetze des Landes neu aufgestellt werden müssen. Eineinhalb Jahre später liegt nun der Gesetzentwurf von CDU, SPD, Grünen und Linken auf dem Tisch. Die AfD hatte sich während der Verhandlungen aus der Kommission zurückgezogen.

Nachdem der Gesetzentwurf im Januar in den Landtag eingebracht wurde, hat sich zuletzt der Ältestenrat damit beschäftigt – und einige marginale, vor allem technische Änderungen eingearbeitet. Die neue Fassung lag am Freitag zur Abstimmung im Landtag vor.

Die Parlamentarischen Geschäftsführer der vier beteiligten Fraktionen hatten es während der Verhandlungen allerdings geschafft, diese Meinungsverschiedenheiten weitgehend außen vor zu lassen. Das hatten alle vier – von der CDU bis zur Linken – betont, als die Reform im Januar zum ersten Mal Thema im Landtag war. Das untermauerte zu Beginn der Woche auch Stefan Gebhardt, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken. "Die Bürger sollen etwas von dieser Parlamentsreform spüren", sagt Gebhardt im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

Bei der letzten beschlossenen Parlamentsreform 2014 hatte sich das Parlament nach Gebhardts Worten vor allem mit sich selbst beschäftigt – und zum Beispiel vereinbart, den Landtag Stück für Stück zu verkleinern. Nun stünden die Sachsen-Anhalter im Vordergrund der Reform, sagt Gebhardt.

Die fünf wichtigsten Punkte der Parlamentsreform

Der Gesetzentwurf zur Parlamentsreform ist 72 Seiten dick und sieht zahlreiche Änderungen an Gesetzen vor. MDR SACHSEN-ANHALT hat die fünf wichtigsten Punkte ausgewählt, die für die Menschen in Sachsen-Anhalt wichtig sind.

1) Mehr Transparenz: Ausschüsse tagen öffentlich

Wer sich ein wenig mit den parlamentarischen Gepflogenheiten auskennt, weiß: Politik wird zu einem großen Teil in den Fachausschüssen eines Parlaments gemacht. Dort wird das beraten, thematisiert und ausdiskutiert, was im Landtag am Ende beschlossen wird. Oft geschieht das bislang aber hinter verschlossener Tür. Mit der Parlamentsreform wird sich das ändern: Die Fachausschüsse sollen in Zukunft öffentlich tagen, außerdem sollen die Sitzungen gegebenenfalls ins Netz gestreamt werden. So läuft das schon jetzt bei den Sitzungen des Landtages. Künftig soll die Arbeit der Abgeordneten aber noch ein Stück transparenter sein.

2) Mehr direkte Demokratie: Hürden für Volksbegehren sinken

Bürger machen Politik – so funktioniert direkte Demokratie im besten Sinne. Beispiele für Volksbegehren, Volksentscheide oder Volksbegehren gibt es auch in Sachsen-Anhalt. Künftig sollen die Hürden für diese Instrumente gesenkt werden. Es soll dann also leichter sein, ein Volksbegehren, eine Volksinitiative oder einen Volksentscheid auf den Weg zu bringen.

Das ist ein Volksbegehren

Mit einem Volksbegehren können Bürger direkt Gesetze in den Landtag bringen. Über diese Entwürfe dürfen die Abgeordneten nicht diskutieren – sie können nur noch darüber abstimmen.

Bevor ein solcher Gesetzesentwurf zur Abstimmung kommt, muss er zunächst beantragt werden. Dafür sind 6.000 Unterschriften nötig. Wurde die Zulässigkeit des Volksbegehrens festgestellt, muss es von mindestens neun Prozent der Wahlberechtigten unterstützt werden. Aktuell wären das etwa 170.000 Menschen in Sachsen-Anhalt.

Ausgenommen von Volksbegehren sind Haushaltsgesetze, Abgabengesetze und Besoldungsregeln. Das sieht die Landesverfassung vor, um das Budgetrecht des Landtags zu wahren.

Das ist ein Volksentscheid

Schlägt ein Volksbegehren fehl, weil der Landtag den Gesetzesvorschlag nicht innerhalb von vier Monaten angenommen hat, kommt es zum Volksentscheid. Das bedeutet, das Volk setzt sich über den Landtag hinweg. Stimmen bei dem Volksentscheid mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten für das Gesetz, gilt es als angenommen.

Der Landtag kann jedoch vor einem Volksentscheid einen alternativen Gesetzesentwurf einbringen. Dann muss sich der Wähler beim Volksentscheid zwischen dem eingebrachten Gesetzesvorschlag und dem Alternativ-Vorschlag des Landtags entscheiden. In diesem Fall gilt der Gesetzentwurf als angenommen, der mehr Stimmen und damit die relative Mehrheit bekommen hat.

Das ist eine Volksinitiative

Eine Volksinitiative bringt keinen Gesetzesentwurf ins Parlament ein, aber dadurch wird das Thema auf die Agenda des Landtages gesetzt. Die Abgeordneten müssen sich dann damit beschäftigen. Dafür müssen aber mindestens 30.000 Wahlberechtigte per Unterschrift die Initiative unterstützen.

Bislang müssen zum Beispiel neun Prozent aller Wahlberechtigten unterschrieben haben, um ein Volksbegehren überhaupt an den Start zu bekommen. Dieses sogenannte Quorum wird jetzt auf sieben Prozent aller Wahlberechtigten heruntergesetzt.

3) Mehr Verantwortung: Neue Staatsziele für die Landesverfassung

Die Verfassung ist das höchste Gut eines Bundeslandes. Darin steht, vereinfacht gesagt, was geht – und was nicht. Im Zuge der Parlamentsreform werden nun sogenannte Staatsziele in der Verfassung ergänzt – große Leitlinien also, denen sich im besten Falle jeder Sachsen-Anhalter verpflichtet fühlen soll. Neu aufgenommen werden ...

  • ... ein Passus, der sich gegen die Verbreitung von nationalsozialistischem, rassistischem und antisemitischen Gedankenguts einsetzt.
  • ... ein Passus, wonach das Klima als "Grundlage menschlichen Lebens" geschützt werden soll.
  • ... ein Passus, wonach Tiere als "Mitgeschöpfe" besser geschützt werden sollen.
  • ... ein Passus, wonach für gleichwertige Lebensbedingungen in der Stadt und im ländlichen Raum gesorgt werden soll.

Vor allem der erstgenannte Passus zur Nichtverbreitung von Nazi-Gedankengut und Rassismus ist nach dem offenbar rechtsextremistisch motivierten Anschlag im hessischen Hanau aktueller denn je.

4) Mehr Austausch: Ausschüsse beziehen bei Petitionen Stellung

Wer in Sachsen-Anhalt unzufrieden mit der Arbeit einer Behörde ist, kann eine Petition einreichen – zum Beispiel dagegen, dass eine Schule im ländlichen Raum geschlossen wird und die Kinder einen weiteren Schulweg auf sich nehmen müssen.

Gelegentlich lief das in der Vergangenheit dann so ab: Der Petitionsausschuss bat die zuständigen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für Bildung oder Finanzen um eine Stellungnahme – und bekam nach einiger Zeit des Wartens die lapidare Antwort zurück, dass der Fachausschuss dazu keine Stellung beziehen werde.

Damit soll nun Schluss sein: Wird die Parlamentsreform am Freitag beschlossen, bedeutet das für die Ausschüsse auch, dass sie künftig verpflichtet sind, zu Fragen des Petitionsausschusses inhaltlich Stellung zu beziehen.

5) Mehr Ordnung: Pöbler im Parlament können nachträglich bestraft werden

Die Stimmung im Landtag von Sachsen-Anhalt kocht manchmal hoch. Irgendwie logisch: Ein Parlament und seine Abgeordneten sollen schließlich um die beste politische Lösung für ein Thema streiten. Ab und an vergreift sich der eine oder andere Abgeordnete aber im Ton – und kassiert einen Ordnungsruf. Das wird künftig auch nachträglich möglich sein.

Wenn es im Landtag laut wird und die Abgeordneten durcheinander rufen, muss das Landtagspräsidium seine Ohren bislang quasi überall haben und gegebenenfalls einen Ordnungsruf aussprechen – zum Beispiel, wenn ein anderer Abgeordneter beleidigt worden ist oder Dinge gesagt hat, die sich im Landtag nicht gehören. Problem daran: Nicht immer bekommt das Präsidium mit, was jeder Einzelne gesagt hat. Das steht dann nur im Protokoll.

Finden sich darin Worte, für die es einen Ordnungsruf geben sollte, kann Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch (CDU) demnächst auch nachträglich durchgreifen.

Der umstrittenste Punkt der Reform

Seit die Pläne für die Parlamentsreform im Januar zum ersten Mal im Landtag besprochen wurden, hat die AfD lautstark ihren Unmut kundgetan – vor allem wegen geplanter Änderungen bei der Einsetzung von Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Die gelten als besonders wichtiges Instrument der Opposition, weil sie zum Beispiel Zeugen vorladen und unter Eid befragen können. Ein Untersuchungsausschuss soll die Regierung kontrollieren können und kann deshalb auch von einer Minderheit im Parlament eingesetzt werden. Faktisch soll sich daran nichts ändern. Die AfD kritisiert trotzdem eine Beschneidung der Minderheitenrechte und hat angekündigt, Verfassungsklage einreichen zu wollen.

CDU, SPD, Grüne und Linke haben in der Verfassung einen Absatz hinzugefügt: Der besagt, dass das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses verfassungsrechtlich geprüft werden kann. Sollte eine bestimmte Fraktion also einen U-Ausschuss beantragen, den andere Fraktionen für verfassungsrechtlich bedenklich halten, prüft der Rechtsausschuss des Landtags künftig, ob der geplante Ausschuss alle Regeln einhält. Wo also ist das Problem, fragen CDU, SPD, Grüne und Linke? Es gibt ein Problem, entgegnet die AfD – und stimmte am Freitag, wie zuvor schon angekündigt, gegen die Parlamentsreform.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 28. Februar 2020 | 10:00 Uhr

18 Kommentare

MDR-Team am 29.02.2020

Was das letztlich dem Bürger tatsächlich bringt, muss der Leser für sich selbst einordnen. Es ist völlig legitim da Sachen kritisch zu sehen.

Aber die Reform ist sehr komplex und deswegen ist es unsere Aufgabe, das für den Leser zu sortieren und eben auch redaktionell auszuwählen und aufzubereiten. Das haben wir hier getan. Es gibt zwei ausführliche Artikel zu der Thematik und in der Summe werden darin alle wichtigen Punkte der Reform beleuchtet.

ich mach da nicht mit am 29.02.2020

An das MDR Team, was soll das beschlossene den Bürger bringen? Garnichts, weil es den Bürger nicht weiter bringt und er wird auch mit diesen beschlossenen Dingen den Landespolitiker nicht in die Suppe zu spucken können. Entscheidend bei der ganzen Sache ist doch die Informationspolitik die Sie machen was der Bürger lesen soll und was nicht bzw Nachrichten und Informationen die Sie den Bürger vorenthalten oder anders darstellen.

MDR-Team am 29.02.2020

Der Artikel dazu ist ziemlich prominent auch in diesem hier verlinkt. Da die Reform sehr ausführlich ist, haben wir uns gestern redaktionell entschieden, den Fokus auf direkte Auswirkungen für den Bürger zu in dem aktuellen Artikel zu legen.

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