Prostituiertenschutzgesetz Diskussion in Halle: Gesetz zur Sexarbeit kriminalisiert statt zu schützen

15. Juli 2019, 08:56 Uhr

Bei einer Podiumsdiskussion in Halle ist ein neues Gesetz zur Sexarbeit einhellig kritisiert worden. Sein eigentliches Ziel – Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zu schützen – verfehlt das Gesetz. Denn dazu bräuchte es andere Maßnahmen.

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Noch sind im Begegnungs- und Beratungszentrum (BBZ) lebensart in Halle nicht alle Stühle besetzt. Die meisten werden sich im Laufe des Abends aber noch füllen. Wenn man den Raum betritt, merkt man: Mann und Frau, Bart an dem einen, Schminke an der anderen – solche Regeln scheinen für die meisten Menschen hier in dem Fachzentrum für geschlechtlich-sexuelle Identität keine Rolle zu spielen. An diesem Abend geht es im BBZ lebensart bei einer Podiumsdiskussion um sensible Themen: das neue Prostituiertenschutzgesetz und Sexarbeit aus LSBTI-Perspektive.

LSBTI

LSBTI, die Buchstabenkombination steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle und intersexuelle Menschen. 

Das Podium, auf dem die Diskussion stattfindet, ist ein großes Sofa. Auf dem sitzen Gäste, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ants Kiel vom BBZ lebensart hat zwei Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamtes im Saalekreis eingeladen, die von der Gesundheitsberatung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern erzählen. Außerdem sitzen da Martin Thiele, der als Geschäftsführer der Aidshilfe Sachsen-Anhalt Süd auch mit Sexarbeitern und ihren Kunden zu tun hat, und Emy Fem, eine Sexarbeiterin aus Berlin.

Sexarbeit versus Prostitution

Der Begriff Prostituierte ist häufig negativ besetzt. Einige verbinden damit Zwang. Das Wort Sexarbeiter ist neutraler und wird deswegen in der aktuellen Debatte häufiger genutzt. Auch, weil es mehr sexuelle Dienstleister einschließt als das Wort Prostitution. Berufsverbände selbst sprechen eher von Sexarbeitern als von Prostituierten.

Auf die Bedürfnisse der Sexarbeiter eingehen

Seit März 2019 müssen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Sachsen-Anhalt sich beim Ordnungsamt anmelden und regelmäßig verpflichtende Gesundheitsberatungen in Anspruch nehmen. So wird in Sachsen-Anhalt das bundesweite Prostituiertenschutzgesetz in die Praxis umgesetzt. Annett Bräunlich-Andel und Viktoria Eisenhardt vom Gesundheitsamt aus dem Saalekreis sind unter anderem für die Gesundheitsberatungen von Sexarbeitern zuständig. Am Anfang sei das für sie Neuland gewesen, erzählen sie: "Das Problem war, dass es noch keine offiziellen Zahlen gab. Wir konnten nicht einschätzen, wie viele Menschen kommen würden."

Heute wissen die beiden Frauen mehr: 18 Sexarbeiterinnen haben seit dem März 2019 die Gesundheitsberatung bei ihnen gemacht, die nötig ist, um sich als Sexarbeiterin anmelden zu können. Die Gesundheitsberatungen stimmen die Frauen auf den Wissensstand der Sexarbeiter ab, die zu ihnen kommen: "Natürlich werden wir einer Frau, die seit zehn Jahren in dem Geschäft arbeitet, nicht noch einmal die grundlegendsten Dinge erklären." Es gehe darum, auf die Sexarbeiter und ihre Bedürfnisse einzugehen. Deswegen sei auch jede Beratung anders. "Wir haben mit den Frauen auch viel gelacht", sagt Bräunlich-Andel.

"Sex haben, aber danach nicht auf dasselbe Klo gehen"

Emy Fem, Sexarbeiterin aus Berlin, findet die vom Staat vorgeschriebenen Gesundheitsberatungen nicht sinnvoll. "Unser Körper ist unser Kapital, uns liegt viel daran, dass er gesund bleibt", argumentiert sie. Eigentlich seien die Sexarbeiter selbst die Gesundheitsexpertinnen. Emy Fem fühlt sich vom Prostituiertenschutzgesetz stigmatisiert und bevormundet. Statt Sexarbeit zu regulieren, schaffe es für Sexarbeiter nur Probleme.

So kritisiert die Sexarbeiterin beispielsweise die baulichen Anforderungen an Wohnungsbordelle. Das neue Gesetz sieht vor, dass es in Wohnungsbordellen zwei getrennte Toiletten für beide Geschlechter geben muss. Denn die Vorgabe gilt laut Arbeitsstättenverordnung für alle Gewerberäume. "Du darfst mit dem Kunden Sex haben, aber danach nicht auf dasselbe Klo gehen", kommentiert sie.

Auch Martin Thiele, der Geschäftsführer der Aidshilfe Sachsen-Anhalt Süd, kritisiert, wie das Gesetz in Sachsen-Anhalt umgesetzt wird. In Halle, sagt er, sei aktuell dieselbe Person für HIV-Tests zuständig, die auch die Gesundheitsberatungen mache. So seien für die Sexarbeiterinnen faktisch gerade keine anonymen HIV-Tests mehr möglich. Doch eigentlich soll in Gesundheitsämtern jeder die Möglichkeit haben, sich anonym auf HIV testen zu lassen. In Halle wird das für Sexarbeiter erst ab Ende 2019 wieder möglich sein.

Stigmatisiert statt geschützt

Thiele ergänzt: Die Schutzwirkung, die eigentlich das Ziel des Prostituiertenschutzgesetzes gewesen sei, erreiche es nicht. Zum Beweis zitiert er einen Bericht des Landtages in Nordrhein-Westfalen. Der hatte über die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) schon 2017 entschieden, während der Landtag in Sachsen-Anhalt dafür bis 2019 brauchte. Der Sachstandsbericht des Landtages Nordrhein-Westfalen zum Prostituiertenschutzgesetz kommt zum Schluss, dass sich durch das neue Gesetz Sexarbeit vermehrt in die Illegalität zurückgezogen haben.

Es muss bilanziert werden, dass sich nur eine Minderheit der beobachteten Personen durch das ProstSchG geschützt und unterstützt fühlte. Eine wesentlich größere Anzahl von Sexarbeiterinnen beschrieb, sich durch dieses Gesetz oder die damit einhergehenden Prozesse kontrolliert, entmündigt, stigmatisiert und kriminalisiert zu fühlen.

Sachstandsbericht zur Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes in NRW

Gesetz verhindert Zwangsprostitution nicht

Unter den Diskutierenden scheint Einigkeit zu herrschen: Das Gesetz ist nicht effektiv. Doch dann ergreift eine Zuschauerin der Podiumsdiskussion Partei für das Gesetz. Sie erinnert an das eigentliche Ziel des Gesetzes – Sexarbeiterinnen zu schützen, indem Zwang aufgedeckt wird: Man müsse doch auch an diejenigen denken, die den Beruf nicht freiwillig ausübten, sagt sie. Dafür brauche man Gesetze.

Kurz herrscht Schweigen im Raum. Später sagt Martin Thiele von der Aidshilfe, seiner Erfahrung nach helfe gegen Zwangsprostitution nur aufsuchende Sozialarbeit. Man müsse zu den Sexarbeiterinnen hingehen, immer wieder mit ihnen reden, eine Beziehung zu ihnen aufbauen. "Bis die Menschen einem vertrauen, braucht es Zeit", erklärt er. Das sei schwierig – und teuer.

Auch das Prostituiertenschutzgesetz hat die Kommunen Geld gekostet. Teilweise mussten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, damit Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sich anmelden und die Gesundheitsberatungen machen konnten. Genug Sozialarbeiter zu bezahlen, die den Sexarbeitern viel Zeit widmen, um Zwangsprostitution zu erkennen und Ausstiegsmöglichkeiten daraus anzubieten: Würden Sexarbeiterinnen auf diese Weise geschützt, wäre das noch teurer.

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Über die Autorin Neugierig ist Alisa Sonntag schon immer gewesen - mit Leidenschaft auch beruflich. Aktuell beendet sie ihre Master in Multimedia und Autorschaft und International Area Studies in Halle. Dabei schreibt sie außer für den MDR SACHSEN-ANHALT unter anderem auch für das Journalismus-Startup The Buzzard.

Quelle: MDR/aso

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