Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben Lobbyisten für den selbstbestimmten Tod

15. September 2019, 18:59 Uhr

Rolf Knoll engagiert sich bei der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben. Er begleitet Menschen beim Sterben – immer in der Hoffnung auf einen selbstbestimmten Tod. Ein Gespräch übers Zuhören, Medikamente – und ein Sterben in Würde. Teil 3 der MDR SACHSEN-ANHALT-Reihe zu Sterbehilfe.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Die Sonne scheint durch ein Blätterdach
Sterben – dann, wenn ich es will. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben setzt sich für einen selbstbestimmten Tod ein. (Symbolbild) Bildrechte: Colourbox.de

Meistens geht es ganz schnell. Zehn Minuten bis zum Tod, höchstens eine Viertelstunde. "Dann rufe ich die Polizei." Der Mann, der das sagt, heißt Rolf Knoll. Er begleitet Menschen an dem Tag, an dem sie sterben möchten – zumindest dann, wenn sie drei Bedingungen erfüllen. Sie müssen selbst Medikamente besorgt haben und sie selbst schlucken. Sie müssen sich sehr genau überlegt haben, sterben zu wollen. Und sie dürfen niemanden sonst haben, der sie beim Sterben begleiten könnte. Kinder, Ehepartner oder Enkel zum Beispiel. "Dann mache ich es", sagt Rolf Knoll.

Wenn er es macht, ist für alles gesorgt. Rolf Knoll streichelt den Menschen dann durchs Haar. Er hält ihre Hand, spendet ihnen ein bisschen Wärme und Nähe. Er ist für sie da, wenn niemand sonst für sie da ist. Auf dem Tisch liegt eine Freitod-Verfügung. "Damit die Polizei direkt weiß, dass keine Straftat vorliegt." Alle sollen wissen: Hier ist jemand freiwillig gestorben – weil er unheilbar krank war, weil er sein Leben wegen Schmerzen als nicht mehr lebenswert empfunden hat.

Zahlreiche Menschen beim Sterben begleitet

Rolf Knoll ist 71 Jahre alt und engagiert sich fast die Hälfte seines Lebens bei der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), seit 29 Jahren. Kontaktstelle Zwickau. Zuständig für die neuen Bundesländer, Thüringen ausgenommen. Wie viele Menschen er in dieser Zeit beim Sterben begleitet hat, weiß er zwar in etwa. Sagen will er es nicht. "Es waren zahlreiche Menschen", sagt er nur.

Wer Rolf Knoll nach seinem Antrieb fragt, der bekommt eine sehr persönliche Geschichte zu hören. Sie spielt im Dezember 1972. Knolls Großvater litt unter Speiseröhrenkrebs. Die Ärzte hatten eine künstlische Speiseröhre eingesetzt, die aber war vom Körper abgestoßen worden. Was blieb, waren unerträgliche Schmerzen. "Er hat gelitten wie ein Hund", sagt Rolf Knoll. Sprechen konnte er nicht mehr. Auf der Intensivstation habe er damals ein Fass aufgemacht, erinnert sich Knoll. Er konnte es nicht verstehen, dass sein Großvater trotz der Schmerzen am Leben gehalten wurde. "Das hat sich bei mir eingeprägt."

Heute, fast 50 Jahre später, hat er regelmäßig mit dem Tod zu tun. Es gibt Zeiten, da häufen sich die Anfragen in seiner Kontaktstelle in Zwickau. Es sind die dunklen Wintermonate.

Die schlechteste Zeit sind die Monate November bis Februar. Wenn ich da drei Tage weg bin, ist das Band von meinem Anrufbeantworter randvoll.

Rolf Knoll, Sterbebegleiter

Nun ist es nicht so, dass man mal eben bei Rolf Knoll anrufen kann und er spontan vorbei kommt, um Menschen beim Sterben zu begleiten. Er macht das nur, wenn er bereits vorher viel mit den Menschen gesprochen hat. Manche von ihnen kennt er schon jahrzehntelang. Sie haben zum Beispiel mit ihm ihre Patientenverfügung durchgesprochen und aufgesetzt – ein Hauptanliegen der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben. "Von 12 bis 15 Anfragen nehme ich eine an", sagt Knoll.

Der 71-Jährige kennt natürlich die Gesetzeslage. Er weiß, dass aktive Sterbehilfe in Deutschland verboten ist. Er weiß, dass der assistierte Suizid straffrei ist – wenn denn kein geschäftsmäßiges Interesse vorliegt. Was sehr bürokratisch klingt, steht seit 2015 im Strafgesetzbuch. Paragraph 217. Der verbietet die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung"; unter anderem also, dass damit Geld gemacht wird. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben hält von diesem Gesetz nicht besonders viel. Und damit ist sie nicht allein. Seit mehrere Institutionen Verfassungsbeschwerde gegen Paragraph 217 des Strafgesetzbuches eingelegt haben, liegt der Fall in Karlsruhe. Bundesverfassungsgericht. Im Herbst wird ein Urteil erwartet.

Die aktuelle Regel sei zu schwammig und zu ungenau. Das sagt Wega Wetzel, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben. "Wir wünschen uns eine konstruktive Regelung im Zivilrecht." Wie die aussehen könnte? Wega Wetzel meint: "Wir brauchen einen Kriterienkatalog, aus dem hervorgeht, wann und wie Ärzte oder andere Menschen beim Sterben helfen dürfen." Auf der jetzigen Gesetzesgrundlage sei konkrete Hilfe kaum möglich, sagt sie. Dieser Kriterienkatalog würde auch Menschen wie Rolf Knoll bei ihrem Ehrenamt helfen, denkt Wega Wetzel.

Die Anfänge der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben gehen ins Jahr 1980 zurück. Damals als Bürgerrechtsbewegung- und Patientenorganisation gegründet, hat sie heute um die 23.000 Mitglieder. Die meisten begleiten Menschen nicht beim Sterben, sind lediglich passives Mitglied in der DGHS. Andere hören zu, geben Ratschläge – und im Zweifel auch mal Adressen aus der Schweiz heraus. Eines aber machen sie nicht: Sie und ihre Ehrenamtlichen vertreiben oder verkaufen keine Medikamente, deren Einnahme das Leben beendet. "Darauf sei ausdrücklich hingewiesen", steht auf der Website der DGHS.

Lobbyarbeit für den Tod?

Trotzdem stellt sich die Frage: Macht die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben Lobbyarbeit für den Tod? Wega Wetzel zögert kurz. "Lobbyarbeit für den selbstbestimmten Tod vielleicht", sagt sie. "Das Wie ist unser Thema." Niemand werde von der DGHS zum frühzeitigen Tod überredet. "Wir wollen auch Suizid nicht verherrlichen", sagt Wega Wetzel. "Unser Grundgedanke ist die Selbstbestimmung."

Die DGHS ist damit ganz automatisch so etwas wie ein Gegenspieler der wachsenden Hospiz- und Palliativmedizin in Deutschland. Während der Fokus dort darauf liegt, den Patienten an ihrem Lebensende eine bestmögliche Lebensqualität zu bieten, soll nach Meinung der DGHS jeder Patient sagen können: "Es ist genug, das ist nicht mehr mit meinem Würdeempfinden vereinbar."

Unser Grundgedanke ist die Selbstbestimmung. Wir manövrieren niemanden in den frühzeitigen Tod.

Wega Wetzel, Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben

Wega Wetzel findet es gar nicht schlimm, dass es unterschiedliche Ansätze gibt. "Viele wissen nicht, was die Palliativmedizin inzwischen kann", hat sie beobachtet. Umso wichtiger sei doch, dass jeder so aus dem Leben scheidet, wie er sich das wünscht. "Die Leute, die Rat bei uns suchen, haben viele Dinge ihr ganzes Leben lang selbst geregelt", sagt Wetzel. Sie könnten sich Fremden nicht so anvertrauen, wie das in einem Hospiz oft nötig sei.

Zurück zu Rolf Knoll. Als die Mauer fiel und Deutschland wiedervereinigt wurde, füllte Knoll direkt die Beitrittserklärung der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben aus. Seit 1990 ist er nun dabei. Er hat in dieser Zeit viele Menschen begleitet. Auch Sylva H. Geboren Ende der 1920er im Sudetenland, lebte sie viele Jahre in Blankenburg im Harz, später in Dresden. Da ging sie mehr als 20 Jahre lang zu den Treffen der DGHS, zu denen Rolf Knoll regelmäßig einlädt.

Rolf Knoll, seine Freundin Sylva und deren Tod

Knoll schrieb im Magazin der DGHS einmal, dass er und Sylva H. im Laufe der Jahre zu engen Freunden geworden waren. Dann stellten Ärzte bei Sylva H. eine beginnende Demenz fest. "Für Sylva stand fest, dass sie handeln würde, so lange sie noch handeln kann", schrieb Knoll. Als er sie in den letzten Tages ihres Lebens häufig in Dresden besuchte, hörten sie gemeinsam CDs, unterhielten sich. Eines Morgens fuhr Knoll wieder in Sylvas Wohnung.

Sie war tot.

"Sanft entschlafen", sagt Knoll. Auf dem Tisch: Freitodverfügung. Zwei Abschiedsbriefe. Leere Tablettenpackungen. Auch diese Fälle gibt es. Und es gibt die, bei denen Rolf Knoll die Hand hält, durchs Haar streichelt, etwas Wärme gibt. Voriges Jahr hatte er so einen Fall: Ein Mann – "Krebs von Kopf bis Fuß", höllische Schmerzen – bat Knoll darum, ihn beim Sterben zu begleiten. "Ich kann nicht mehr", sagte der Mann. Rolf Knoll begleitete auch ihn auf seinem Weg in den Tod. Es dauerte nicht lange, eine Viertelstunde vielleicht. Dann war der Mann erlöst. Es war Knolls Bruder.

Sie haben suizidale Gedanken oder eine persönlichen Krise? Die Telefonseelsorge hilft Ihnen! Sie können jederzeit kostenlos anrufen: 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222. Der Anruf ist anonym und taucht nicht im Einzelverbindungsnachweis auf. Auf der Webseite www.telefonseelsorge.de finden Sie weitere Hilfsangebote, zum Beispiel per E-Mail oder im Chat.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | FAKT IST! aus Magdeburg | 16. September 2019 | 22:05 Uhr

2 Kommentare

Pumukl am 15.09.2019

Jeder Mensch sollte das Recht haben, sich selbst das Leben zu nehmen. Ich habe Zivildienst in einem Altersheim gemacht und weiß, wie elendig man vor die Hunde gehen kann, wenn Ärzte aufgrund Profitgier den alten Menschen völlig unnötige Medikamente verschreiben. Ich habe meine Lehre aus meiner Zivildienstzeit gezogen und weiß, dass ich selber das Licht ausmachen werde. Soviel Würde gönne ich meinem Leben!

part am 14.09.2019

Ein jeder Mensch sollte sich bitteschön mal in die Situation von Menschen versetzen, die sich physisch nicht mehr in der Lage sehen sich selbst zu töten, manchemal bewegungsunfähig an den Rollstuhl gefesselt aber das klare Ziel haben nicht mehr so weiter zu wollen. Ob vor Schmerz und Sparmedizin, sowie Minderbetreung schon am Ende, nicht jeder Mensch hat den Mut seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, aber den festen Willen danach. Das Gegenteil ist, das Menschen sich schon durch die Verweigerung von Nahrungsaufnahmen selbst töteten um ein Fanal zu setzen. Ärzte müssen oft gegen jahrelang gegenüber Koma- Patienten entscheiden. Alles in Allem eine gewaltige gesellschaftliche Zwickmühle die endlich vermehrt von den Parlamenten angegangen werden sollte.

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