Prostituiertenschutzgesetz Wo Regeln für Sexarbeit an ihre Grenzen stoßen

14. Juli 2019, 19:52 Uhr

Bund und Länder wollen die Situation von Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen verbessern. Dafür gibt es ein neues Gesetz. Sachsen-Anhalt hat es erst mit Verspätung umgesetzt. In der Praxis stößt das Gesetz an Grenzen.

Alisa Sonntag
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Sexarbeit: Warum benutzt der MDR SACHSEN-ANHALT in diesem Artikel das Wort? Der Begriff Prostituierte ist häufig negativ besetzt. Einige verbinden damit Zwang. Das Wort Sexarbeiter ist neutraler und wird deswegen in der aktuellen Debatte häufiger genutzt. Auch, weil es mehr sexuelle Dienstleister einschließt als das Wort Prostitution. Berufsverbände selbst sprechen eher von Sexarbeitern als von Prostituierten.

Seit 1. Juli 2017 gibt es eine neue Regelung zur Sexarbeit, das Prostitutiertenschutzgesetz. Sein Inhalt: Sexarbeiter sollen regelmäßig an Gesundheitsberatungen teilnehmen und sich gewerblich anmelden. Ohne Kondom dürfen sie mit Kunden keinen Sex mehr haben. Bordellbesitzer brauchen mit dem neuen Gesetz eine Erlaubnis, um ihr Geschäft führen zu dürfen. Die Hoffnung der Union- und SPD-Politiker, als sie das Gesetz einführten, war, dass Zwangsprostitution so auffallen würde – und damit verhindert werden könnte.

Nachdem das Gesetz bundesweit in Kraft getreten war, hatten die Bundesländer die Aufgabe, festzulegen, welche Behörde die neuen Aufgaben übernehmen würde. In einigen Bundesländern, wie Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, war das schon im Juli 2017 geregelt. In anderen Ländern, wie beispielsweise Sachsen, hat es bis zum Dezember 2017 gedauert. In Sachsen-Anhalt gibt es ein sogenanntes Ausführungsgesetz für das Prostituiertenschutzgesetz erst seit März 2019. Für die Sexarbeiter im Land eine lange Wartezeit, die viele verunsichert hat.

Ist Sexarbeit nicht verboten?

Seit 2002 ist Sexarbeit in Deutschland legal. So können Sexarbeiter beispielsweise am Gesundheits-, Arbeitslosen- und Rentenversicherungssystem teilnehmen und sollen damit weniger benachteiligt werden als zuvor.

Es geht ums Geld

Warum hat es so lang gedauert, bis das Gesetz auch in Sachsen-Anhalt umgesetzt wurde? Zuständig dafür, das Gesetz auf den Weg zu bringen, war das Wirtschaftsministerium. Laut Tobias Krull, Sozialpolitiker der CDU-Landtagsfraktion, hat das Wirtschaftsministerium den Gesetzesentwurf erst im April 2018 eingebracht. "Und dann gab es noch einigen Gesprächsbedarf", erklärt Krull. Im Landtag habe es unter anderem darüber Streit gegeben, ob die Verantwortung bei den Kommunen oder beim Landesverwaltungsamt liegen sollte. Für die Behörden bedeutet die Verantwortung für die Anmeldungen der Sexarbeiter Arbeit – und somit Kosten, die keine Behörde gern auf sich nimmt.

Letztlich entschied sich der Landtag, dass die Kommunen das Prostituiertenschutzgesetz umsetzen sollen. Sexarbeiter müssen sich seitdem bei den Ordnungsämtern anmelden, wenn sie den Beruf legal ausüben wollen. Dafür müssen sie sich zuerst beim Gesundheitsamt beraten lassen. Menschen, die jünger als 21 Jahre sind, müssen die Beratung nach der Anmeldung halbjährlich wiederholen, alle anderen nur einmal im Jahr.

Kostenlose Gesundheitsberatung, kostenpflichtige Anmeldung

Die Gesundheitsberatung, das hat das Parlament erstritten, ist in Sachsen-Anhalt kostenlos. Darauf ist Krull stolz. Im Gesetzesentwurf sei das eigentlich nicht vorgesehen gewesen, sagt er. "Aber wir wollten ein Hemmnis wegnehmen, damit die Leistungen auch wirklich in Anspruch genommen werden."

In anderen Bundesländern, etwa in Hamburg und Baden-Württemberg, ist auch die Anmeldung beim Ordnungsamt kostenlos. In Sachsen-Anhalt müssen die Sexarbeiter für den "Hurenpass", wie Berufsverbände von Sexarbeitern den Schein nennen, allerdings zahlen. Wie viel, darf jede Kommune selbst entscheiden. Das Land Sachsen-Anhalt hat dafür eine Spanne von zehn bis 50 Euro festgelegt.

Im Landkreis Harz und auch im Saalekreis kostet die Anmeldebescheinigung beispielsweise 35 Euro. Wollen die Sexarbeiter auf ihrer Bescheinigung einen anderen Namen als in ihrem Pass stehen haben, kostet diese sogenannte Alias-Bescheinigung teilweise extra. Das gilt an einigen Orten auch für Übersetzer, wenn die Sexarbeiter kein Deutsch verstehen.

Zweifel an der Wirkung des Gesetzes 

Berufsverbände von Sexarbeitern kritisieren die Anmeldekosten für Sexarbeiter als unfair. Aus ihrer Perspektive hilft das Gesetz nicht, Zwangsprostitution zu verhindern, sondern drängt Sexarbeiter in die Illegalität und verschlechtert damit ihre Arbeitsbedingungen.

Auch CDU-Politiker Krull hat seine Zweifel daran, ob das Gesetz die Sexarbeiter wirklich schützen kann. Er selbst finde vor allem den Kondomzwang zum Schutz der Sexarbeiter wichtig, der im Prostituiertenschutzgesetz steht. "Trotzdem ist das ein zweischneidiges Schwert", gibt er zu. "Wir können nun mal nicht neben dem Bett stehen und das überwachen." Ähnlich sei es mit der Anmeldung, sagt er. Damit das Anmeldesystem funktioniere, müssten die Sexarbeiter auch bereit sein, sich tatsächlich anzumelden. Das müsse kontrolliert werden.

Kontrollen "nicht ganz einfach"

Einfach seien die Kontrollen für das Ordnungsamt aber auch nicht, sagt Franziska Banse, die Pressesprecherin des Landkreises Harz. Kontrolliert werden könne schließlich nur dort, wo Sexarbeiter auch angemeldet seien. Im Harz habe es aber bisher nur eine Anmeldung gegeben – und die habe ihren Antrag wieder zurückgezogen. Dabei gingen Schätzungen von etwa 100 Sexarbeitern im Landkreis Harz aus. "Es kann aber auch sein, dass einige sich woanders angemeldet haben, beispielsweise an Orten, wo die Anmeldung nichts kostet", vermutet Banse.

Für Kontrollen von möglichen unangemeldeten Sexarbeitern brauche es Fingerspitzengefühl. "In Sachsen-Anhalt gibt es vor allem Wohnungsprostitution", erklärt Banse. Wenn die Menschen im Ordnungsamt einem Hinweis nachgingen, bedeute das für sie also, an einer privaten Wohnung zu klingeln und den Menschen darin vorzuwerfen, dass sie sich prostituierten. Auch datenschutzrechtlich sei das problematisch.

Die Polizei geht gegen unangemeldete Sexarbeiter oder Sexarbeitsgewerbe nur dann vor, wenn ein Hinweis eingeht. In Sachsen-Anhalt gab es davon 2018 nur zwei bekannte Fälle. Allerdings hat die ehemalige Polizeidirektion Ost eine entsprechende Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT nicht beantwortet.

Arbeit unter prekären Bedingungen

In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im April 2017 – noch vor dem Prostituiertenschutzgesetz – ist von 30 angemeldeten "bordellartigen Einrichtungen" in Sachsen-Anhalt die Rede. Auch das bildet aber nur die angemeldeten Gewerbe ab. Wahrscheinlich gibt es eine hohe Dunkelziffer.

Ein Berufsverband der Sexarbeiter beschreibt in seiner Stellungnahme zu einem ersten Entwurf zum Prostitutionsschutzgesetz in Sachsen-Anhalt die Sexarbeit im Land. Er bestätigt, dass es sich überwiegend um Wohnungsprostitution handele.

Sehr verbreitet sind die sogenannten Terminwohnungen, in denen wöchentlich die Sexarbeitenden wechseln.

Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen über Sexarbeit in Sachsen-Anhalt

Die Nachfrage für Sexarbeit in Sachsen-Anhalt, so der Berufsverband weiter, sei schwach und schwanke – die Preise seien niedrig. In Sachsen-Anhalt finde Sexarbeit oft "unter sehr prekären Bedingungen" statt, heißt es vom Berufsverband.

Zahlen bleiben unklar

Wie viele Menschen in Sachsen-Anhalt Sexarbeit anbieten, ist unklar. Und wird es wahrscheinlich auch weiterhin bleiben: Denn auch offizielle Zahlen dazu, wie viele Sexarbeiter sich angemeldet haben, zeigen nicht das ganze Bild. Eine hohe Dunkelziffer von Sexarbeitern meldet sich nicht an und wird somit von der offiziellen Statistik nicht erfasst.

2020 soll nach einem Jahr Prostituiertenschutzgesetz in Sachsen-Anhalt ausgewertet werden, ob das Gesetz den erwünschten Erfolg hatte. Dann wird es auch offizielle Zahlen dazu geben, wie viele Menschen sich in Sachsen-Anhalt als Sexarbeiter angemeldet haben.

Alisa Sonntag
Bildrechte: MDR/Martin Paul

Über die Autorin Neugierig ist Alisa Sonntag schon immer gewesen - mit Leidenschaft auch beruflich. Aktuell beendet sie ihre Master in Multimedia und Autorschaft und International Area Studies in Halle. Dabei schreibt sie außer für den MDR SACHSEN-ANHALT unter anderem auch für das Journalismus-Startup The Buzzard.

Quelle: MDR/aso,dpa

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