Tipps von anderen EU-Ländern? Den Wolf konsequent schützen oder jagen: Die Kluft ist groß

28. April 2019, 17:28 Uhr

Wenn es um die Rückkehr des Wolfs geht, dann ist eine der ersten großen Fragen oft: Sollte der Wolf bedingungslos geschützt werden? Oder darf man ihn jagen? Eine endgültige Antwort darauf gibt es bislang nicht. Die Kluft zwischen der einen und der anderen Seite ist und bleibt groß. In Sachsen-Anhalt wird nun darüber diskutiert, stärker auf die Erfahrungen der europäischen Nachbarn zu schauen.

Luca Deutschländer
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Ein Wolf läuft durch sein Gehege
Jagen oder nicht jagen? In Sachsen-Anhalt wird mal wieder über den Wolf diskutiert. (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance / Florian Eckl/dpa | Florian Eckl

Alle waren sie am Wochenende nach Halberstadt gekommen: Biologen, Forscher, Politiker, Wissenschaftler – die meisten mit einem grünen Schlüsselband samt Plakette um den Hals. Darauf zu sehen: das Gesicht eines Wolfs. Halberstadt war am Wochenende nämlich Treffpunkt des europäischen Who's Who der Wolfsfachleute. Man kann das beim Blick auf die Liste der Gäste und deren Herkunft durchaus so sagen. Aus Finnland oder Schweden waren sie zur Tagung gekommen, aus Kroatien und Serbien – alle mit dem Ziel, von den Erfahrungen der anderen zu lernen. Dazu eingeladen hatte Michael Stubbe, selbst Wolfsexperte.

Wenige Tage zuvor sitzt Stubbe im Landtag in Magdeburg. Die CDU hat Journalisten gerade die Ergebnisse einer Meinungsumfrage zum Wolf vorgestellt. Es geht darum, wie die Menschen in Sachsen-Anhalt zum Wolf stehen – und was das für die Politik bedeutet. Stubbe, brauner Wollpullover, weißes Haar, ist Wildtierforscher und Chef der Gesellschaft für Wildtier- und Jagdforschung. Er hat viele Jahre an der Uni in Halle gelehrt, mit dem Wolf beschäftigt Stubbe sich nun auch schon seit vielen Jahren. Für ihn ist klar: Die europäischen Länder müssen besser zusammenarbeiten, um den richtigen Umgang mit dem Wolf zu finden. "Wölfe leben in einem europäischen Haus", sagt Stubbe und macht deutlich, dass Landesgrenzen den Wölfen herzlich egal sind.

Er vermisse den Austausch mit anderen Ländern, sagt der Wildtierforscher und nennt Polen als Beispiel. Von dort seien schließlich viele der Wölfe nach Deutschland eingewandert.

So viele Wölfe leben in Sachsen-Anhalt In Sachsen-Anhalt leben aktuell mindestens 92 Wölfe. Das steht im Monitoringbericht des Wolfskompetenzzentrums in Iden, das die Zahl der Raubtiere beim sogenannten Wolfsmonitoring erhebt. Im abgelaufenen Wolfsjahr (1. Mai bis 30. April) wurden außerdem 56 Übergriffe auf Nutztierherden gezählt, dabei wurden 174 Tiere wie Schafe und Rinder getötet. Dieses Jahr wurden bis Mitte April sieben Angriffe registriert, bei denen 45 Tiere starben.

In dieser Woche hat das Landesamt für Umweltschutz bestätigt, dass auch im Steckby-Lödderitzer-Forst zwischen Barby und Aken ein Wolfsrudel lebt. Das haben Experten mit DNA-Proben nachgewiesen. Die Wölfe leben den Angaben zufolge mindestens seit vergangenem Jahr dort.

Population des Wolfs "darf nicht aus dem Ruder laufen"

Das Ziel von Wissenschaftlern wie Michael Stubbe ist klar: Der Schutzstatus des Wolfs sollte aufgeweicht werden – zum Schutz anderer Tiere. Das wäre möglich, wenn der Wolf – bislang gelistet in Anhang IV der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und damit streng geschützt – in Anhang V wandern würde. Das würde ermöglichen, das Raubtier Wolf in geringem Maße zu bejagen – ohne dabei die Population der Tiere aus dem Blick zu verlieren. Sprich: Der Bestand des Wolfs, in Deutschland einst ausgerottet, darf nicht gefährdet werden. Die CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt hält die leichte Aufweichung des Wolfsschutzes für den richtigen Weg. Sie hat eine ähnlich lautende Forderung aus dem Sommer 2018 in dieser Woche bekräftigt – und weiß mit diesem Anliegen auch Sachsen-Anhalts Landesjagdverband hinter sich.

Die FFH-Richtlinie

FFH – das steht für Flora Fauna Habitat. Mit der FFH-Richtlinie sollen natürliche Lebensräume von wild lebenden Tieren und Pflanzen erhalten und die Artenvielfalt gesichert werden. Im Behördenjargon trägt die Richtlinie den Namen 92/43/EWG. Sie ist seit dem Frühsommer 1992 in Kraft und gilt in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.

Wer mit der Richtlinie geschützt wird, das regeln verschiedene Anhänge des Papiers – zum Beispiel Anhang IV, in dem "streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichen Interesse" aufgeführt werden. Dazu gehört aktuell auch der Wolf. Es gibt allerdings Wissenschaftler wie den Wildtierforscher Michael Stubbe oder den Landesjagdverband Sachsen-Anhalt, die Änderungen fordern. Sie sind der Meinung, dass der Wolf von Anhang IV in Anhang V der FFH-Richtlinie wandern sollte. Der wiederum beinhaltet "Tier und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, deren Entnahme aus der Natur und deren Nutzung Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein können".

Im Klartext hieße das, dass der Wolf leicht bejagt werden könnte – allerdings nur, wenn der Wolfsbestand dadurch nicht zu niedrig wird. Die Befürworter der Änderung erhoffen sich, dass das Wachstum der Wolfspopulation so verlangsamt wird und der Mensch die Kontrolle über die Ausbreitung des Wolfs behält.

Anruf bei Wilko Florstedt. Er ist Geschäftsführer des Landesjagdverbands – und vertritt als solcher die Position der 39 Jägerschaften im Land. Dass der Landesjagdverband dafür ist, den Wolf in Anhang V der FFH-Richtlinie aufzunehmen, ist nicht neu. Schon vor einigen Jahren hat der Verband ein Positionspapier veröffentlicht, in dem genau das gefordert wird. Erstrebenswertes Ziel für den Verband: In Sachsen-Anhalt sollten maximal 90 Wölfe leben. Diese Zahl sorge dafür, dass der Wolfsbestand in Sachsen-Anhalt langfristig gesichert werde.

Es darf nicht aus dem Ruder laufen.

Wildtierforscher Michael Stubbe über die Population der Wölfe

Wilko Florstedt erzählt, dass er und seine Jagdkollegen manchmal über Frankreich und dessen Umgang mit dem Wolf sprechen. Da laufe vieles besser als hierzulande, findet Florstedt. Zum Beispiel? Die Franzosen haben einen Nationalen Managementplan zum Wolf erarbeitet. Der regelt unter anderem, dass die Wolfspopulation landesweit bei rund 500 Tieren liegen soll. 2018 sollten demnach 40 Wölfe abgeschossen werden. Das sind Zahlen, die je nach Entwicklung der Population Jahr für Jahr angepasst werden können. Vorteil aus Sicht der Jäger: Das Wachstum der Population kann gesteuert werden. Wenn da nur das "wenn" nicht wäre. In Deutschland nämlich gibt es keinen nationalen Managementplan – und somit abgesehen von sogenannten Problemwölfen auch keine Wölfe, die geschossen werden dürfen. "Die Bundesregierung ist in der Pflicht", sagt Wilko Florstedt.

Dass der Wolf geschützt ist, sei völlig richtig, sagt Wildtierforscher Michael Stubbe. Der Landesjagdverband sieht das im Übrigen auch so. "Aber", meint Michael Stubbe: "Es darf nicht aus dem Ruder laufen." Mahnendes Beispiel seien die Population der Waschbären, die nach Meinung des Experten "schon lange nicht mehr beherrschbar" ist.

Die Grünen fragen sich: Warum jetzt?

Besuch bei Wolfgang Aldag im Landtag von Sachsen-Anhalt. Der 51-Jährige ist umweltpolitischer Sprecher bei den Grünen. Von der Diskussion, den Schutzstatus des Wolfs aufzuweichen, hält Aldag nichts. "Es gibt keine Notwendigkeit, keine neuen Vorfälle, keinen neuen Gefährdungen, um dieses Thema jetzt aufzumachen", sagt Aldag in Richtung der CDU. Reines Wahlkampfgetöse vor der Kommunal- und Europawahl Ende Mai, meint er.

Die Diskussion, ob der Wolf nun in Anhang IV oder Anhang V der FFH-Richtlinie steht, bringt den Menschen draußen vor Ort nichts. Mit denen muss ich doch reden.

Wolfgang Aldag, Bündnis 90/Die Grünen

Und geredet, davon ist Wolfgang Aldag überzeugt, wird schon jetzt jede Menge – im positiven Sinne. Von Seiten des Wolfskompetenzzentrums in Iden gebe es einen regen Austausch mit allen Beteiligten. Dass nun also diskutiert wird, den Schutzstatus für den Wolf zu senken, kann Aldag nicht verstehen. "Wir reden hier über die europäische FFH-Richtlinie, die wir auf Landesbene nicht einfach ändern können. Das muss auf Bundes- oder EU-Ebene entschieden werden. Auf Bundesebene tut man sich schwer, sich zu einigen. Und auf europäischer Ebene bräuchte es die Zustimmung aller beteiligten Länder." Unrealistisch, meint Wolfgang Aldag.

Nun geht es Jägern und auch der CDU ja nicht darum, die FFH-Richtlinie an sich zu verändern. Vielmehr wollen sie, dass in Deutschland lebende Wölfe innerhalb der Richtlinie anders klassifiziert werden und dadurch eben teilweise gejagt werden dürfen – wie zum Beispiel in Frankreich oder Schweden, wo die FFH-Richtlinie ja auch gilt. Dem Beispiel Schweden hält Wolfgang Aldag entgegen, dass dort schon lange Wölfe leben. Das Land habe viel mehr Erfahrungen im Umgang mit Wölfen, auch sei das Raubtier dort nie ausgerottet gewesen. Das war in Deutschland bekanntlich anders. Hier leben seit 1998 wieder freilebende Wölfe.

Wie andere Länder mit dem Wolf umgehen In Schweden leben nach aktuellen Zahlen etwas mehr als 300 Wölfe. Um den Bestand der Tiere nicht zu gefährden, ist 300 die vorgeschriebene Untergrenze. Nur, wenn der Bestand deutlich über 300 Wölfen liegt, ist in Schweden die Jagd auf Wölfe erlaubt. Erhoben wird die Zahl der Tiere bei regelmäßigen Wolfszählungen.

Im Nachbarland Polen sind Wölfe nach Angaben der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf streng geschützt. Gejagt werden dürfen sie nicht, Ausnahmegenehmigungen zum Töten von Wölfen werden demnach nur in besonderen Fällen erteilt.

Im Baltikum dürfen nach Angaben von Wildtierforscher Michael Stubbe 200 Wölfe geschossen werden. Klare Vorgaben wie diese seien gut, um den Schutz von Wölfen mit der Akzeptanz der Bevölkerung in Einklang zu bringen.

In Deutschland etwas am Schutzstatus der Wölfe zu verändern, das hält Wolfgang Aldag aktuell nicht für notwendig. Entscheidend sei, für besseren Wolfsschutz zu sorgen und betroffene Tierhalter schnell zu entschädigen – eine Position, die auch Sachsen-Anhalts Umweltministerium vertritt. Die Weichen dafür seien in Sachsen-Anhalt gestellt.

In der Debatte über den Wolf und den Umgang mit ihm wünscht sich Wolfgang Aldag mehr Gelassenheit. Da seien andere Länder in Europa schon weiter, sagt der 51-Jährige und verweist auf Polen. "Die Polen gehen relativ gelassen mit dem Wolf um. Es gibt eben Verhaltensregeln, dass ich als Mensch zum Beispiel nichts nachts im Wald spazieren gehe." Das sei angesichts langjähriger Erfahrungen mit dem Wolf ja auch logisch. Aldag ist überzeugt, dass der Mensch keine Angst vor dem Wolf haben muss. "Wir sollten nicht so sehr auf die Märchen schauen", findet Aldag.

Der Wolf bringt die Emotionen zum Kochen

Der Grünen-Abgeordnete spricht damit ein Phänomen an, das nicht nur in den Social-Media-Abteilungen der Redaktionen bekannt ist: Wenn es um den Wolf geht, kochen die Emotionen schnell hoch. Das lässt sich auf Facebook besonders gut beobachten. Auch auf der Seite von MDR SACHSEN-ANHALT werden Debatten über den Wolf schnell unsachlich. Als das Umweltministerium voriges Wochenende bekannt gegeben hat, dass Herdenschutz mit Zäunen und Hunden künftig komplett aus der Landeskasse bezahlt wird, werteten das bei Facebook viele Nutzer als gute Nachricht. Andere schrieben von "Augenwischerei vom feinsten".

Das Video des Wolfs, der Anfang des Jahres durch den Magdeburger Stadtteil Buckau lief, wurde allein auf der MDR SACHSEN-ANHALT-Facebookseite mehr als 6.600 Mal geteilt und dreieinhalb Millionen Mal angesehen. Noch Monate später kommentierten User, dass die Aufnahme ihnen Angst mache – oder dass der Wolf hier nichts zu suchen habe. Die Gegenargumente sind in diesen Fällen nicht weit, die Debatte kocht schnell über.

Nicht ohne Grund wird wieder und wieder eine "Versachlichung der Debatte" gefordert, zuletzt erst von Michael Stübgen (CDU). Stübgen ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium und meint, dass die Rückkehr des Wolfs nicht dazu führen dürfe, dass Weidertierhaltung in bestimmten Gegenden eingestellt werde. "Die Menschen in den ländlichen Räumen fühlen sich durch die Wölfe verunsichert", sagt Stübgen.

Umfrage zum Wolf: Was die Sachsen-Anhalter sagen

Die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt wollte wissen, wie die Sachsen-Anhalter zum Wolf stehen – und hatte deshalb eine Meinungsumfrage gestartet. Seit Mittwoch liegen die Ergebnisse vor. Und die zeigen: Ein Großteil der Sachsen-Anhalter will, dass der strenge Schutzstatus des Wolfs auf den Prüfstand kommt. Dafür haben sich in der repräsentativen Befragung mehr als 80 Prozent der Sachsen-Anhalter ausgesprochen.

Wenigstens in dieser Hinsicht sind sich die meisten einig – egal, ob sie den Wolf nun bejagen wollen oder das kategorisch ausschließen. In den nächsten Tagen wollen mehrere CDU-Fraktionen ein gemeinsames Positionspapier ein veröffentlichen, in dem sie die leichte Bejagung des Wolfs fordern werden. Der Zeitpunkt all dessen ist natürlich kein Zufall, schließlich wird in Sachsen-Anhalt bald gewählt.

Spätestens dann, bei der Kommunalwahl Ende Mai, wird sich zeigen, ob der Plan der CDU aufgeht.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | FAKT IST! aus Magdeburg | 29. April 2019 | 22:05 Uhr

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