Folgen der Corona-Krise Puppenspielerin aus Quedlinburg lebt nur noch von Spenden
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Der Terminkalender von Anja Herbener aus Quedlinburg war immer voll mit Aufführungen. Oft hatte sie mehrere Veranstaltungen am Tag. Im Corona-Jahr 2020 waren es für sie und ihre Marionetten genau zwei. Ein Weiterso ist nicht mehr möglich.

Wenn sich Anja Herbener an ihren Werktisch setzt, um eine ihrer Puppen zu restaurieren, macht sie dann meistens doch nichts. Wozu auch? Es sind keine Auftritte in Sicht, bei denen die Puppe gebraucht würde. So bleiben Marionetten-Augen unbemalt und Puppenbäuche ungestopft.
Sie setzt sich dann an den Schreibtisch, den sie vor Corona noch nicht einmal hatte. Sie ruft Schulen und Kitas an, verschickt E-Mails, immer mit der Bitte, sie doch auftreten zu lassen oder mit einer kleinen Gruppe zu ihr zu kommen. Jedes Mal erfolglos. Keiner traut sich in solch einer Situation, eine auch noch so kleine Veranstaltung mit noch so strengen Hygieneregeln stattfinden zu lassen. "So gehe ich mit trüben Gedanken ins Bett und kann doch nicht schlafen", erzählt die Puppenspielerin MDR SACHSEN-ANHALT.
Ohne Familie und Freunde hätte sie den Mut verloren
Es sind Anrufe von lieben Menschen, die ihr Mut zusprechen oder Freunde, die Obst und Gemüse aus ihren Gärten vorbeibringen und so die trüben Gedanken vertreiben. Auch unverhoffte Spenden von Fremden oder Familienmitgliedern geben ihr die Zuversicht, diese Krise doch noch zu überstehen. "Doch dann kommt die nächste Nacht", sagt Herbener.
Ich kann nur das! Ich kann nichts, was in dieser Lage Geld bringt, ich kann keinen systemrelevanten Beruf.
Bis jetzt konnten die staatlichen Hilfsmaßnahmen wenigstens die laufenden Kosten decken. In der ersten Welle hat die Investitionsbank Sachsen-Anhalt die Betriebskosten von 800 Euro für drei Monate übernommen. Im Sommer konnte sie mit der Förderung des Landes Sachsen-Anhalt ein Kooperationsprojekt mit anderen Künstlern veranstalten und wenigstens kurzzeitig eigene Einnahmen ermöglichen. Zurzeit bekommt sie von einem Arbeitsstipendium wiederrum für drei Monate je 1.000 Euro, doch das Stipendium läuft im Dezember aus.
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Manchmal denkt sie darüber nach, sich irgendwo anstellen zu lassen. "Im Altenheim könnte ich mir vorstellen, zu arbeiten", sagt Herbener. Sie wäre dann zum ersten Mal in ihrem Leben angestellt, denn eigentlich ist sie mit Leib und Seele Künstlerin. "Ich kann nur das! Ich kann nichts, was in dieser Lage Geld bringt, ich kann keinen systemrelevanten Beruf", erklärt die Puppenspielerin.
Über Anja Herbener
- 1961 geboren in München
- 1975-83 gearbeitet am Münchner Marionetten-Theater
- 1983-88 am Orff-Institut in Salzburg elementare Musik- und Tanzpädagogik studiert
- 1988-1991 gearbeitet Musikalische Früherziehung
- 1991-1994 Tanzstudium in England
- 1994 Gründung des Figurentheaters Cirqu^onflexe
Ein Leben für die Kunst
Am meisten fürchtet Herbener, dass sie sich verkleinern und ihr Haus verkaufen muss. Bevor die DDR gegründet wurde, war das Fachwerkhaus im Zentrum von Quedlinburg ein Eisen- und Haushaltswarenhandel, der damals schon von ihrer Familie betrieben wurde. Zu DDR-Zeiten blieb es glücklicherweise in Familienbesitz und konnte nach der Wende zu einem Teil von Herbeners Eltern aufwendig saniert werden.
Ihre Eltern hatten das Hinterhaus extra für ihre Tochter zu einem kleinen Theater umgebaut. Der erste Stock wurde zur Bühne, im zweiten Stock wurde die Werkstatt eingerichtet. Unterm Dach wohnt sie. Jetzt bleibt ihr nichts weiter als zu hoffen, in ihrem Figurentheater Cirquonflexe bald wieder mit ihren Puppen auftreten zu können, denn am meisten vermisst sie das Kinderlachen.
Quelle: MDR/mp
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 25. November 2020 | 19:00 Uhr