Zukunftschancen Landrat: Das Jerichower Land braucht vor allem bessere Mobilität

23. September 2019, 12:50 Uhr

Wie kann das Leben in ländlichen Regionen attraktiv gestaltet werden? Landrat Steffen Burchhardt meint: Man braucht nicht überall ein Theater, sondern muss vor allem gut von A nach B kommen. Im Gespräch erzählt Burchhardt außerdem, was die Region für ihn lebenswert macht. Teil 4 der Reihe zu Zukunftschancen im Jerichower Land.

Einer Studie zufolge sind die Zukunftsaussichten im Jerichower Land nicht gerade rosig. In der bundesweiten Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos landete der Landkreis auf Platz 399 von 401. Verglichen wurden dabei unter anderem Daten zur Bevölkerungsentwicklung, zur Kaufkraft, zur Kriminalitätsrate sowie zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.

MDR SACHSEN-ANHALT hat mit Landrat Steffen Burchhardt (SPD) über die Zukunft seiner Region gesprochen.

Landrat Steffen Burchhardt...

... über die Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos, die dem Jerichower Land besonders schlechte Zukunftschancen ausmalt:

Wir beschäftigen uns nicht ernsthaft mit solchen Studien, weil sie uns nicht weiterbringen. Ich weiß aus Erfahrung, weil ich teilweise mit solchen Studien gearbeitet habe, dass die alle ihre Schwachstellen haben. Denn egal, wie viel Mühe man sich gibt, das möglichst neutral hinzubekommen – es gibt keine Vergleichsmaßstäbe, die der Individualität der Regionen Rechnung tragen können. Da sind auch ganz viele Faktoren dabei, die wir gar nicht beeinflussen können. Deswegen fange ich auch nicht an, das zu interpretieren. Es werden ganz viele strukturelle Probleme aufgezeigt und dass sie eben nicht aufgelöst wurden, sondern weiterhin bestehen.

Wir haben grundverschiedene Systeme in Deutschland. Und viele Dinge, die eigentlich wichtig sind, können in der Studie nicht abgebildet werden. Für Familien ist zum Beispiel gute, verlässliche und bezahlbare Kinderbetreuung wichtig. Sachsen-Anhalt legt da aber beispielsweise einen Schwerpunkt drauf.

Außerdem werden die Zahlen, die dort verwendet werden – insbesondere zur Wirtschaftskraft – im Wesentlichen beeinflusst durch den Hauptstandort von Firmen. Und wir wissen alle, dass Ostdeutschland ganz wenige Firmenzentralen hat.

Es sind bloße Zahlen, die gegeneinander gestellt werden. Sie können die tägliche Arbeit, die hier geleistet wird, damit gar nicht bewerten. Und weil mir die Studie so wenig sagt und sie am Ende höchstens dazu führt, dass die Leute selbst anfangen, zu sagen "Oh schade, wir haben hier aber eine schwierige Region", gebe ich da relativ wenig Acht drauf. Ich versuche lieber selbst im Gespräch mit den Leuten herauszufiltern, was das Leben für die Menschen hier lebenswert macht und welche Probleme es im Alltag gibt.

... über die Lebensverhältnisse im Jerichower Land: 

Den Leuten hier in der Region geht es nicht schlecht. Hier können sie sich von dem, was sie verdienen, relativ viel leisten. Wir haben sehr niedrige Grundstückspreise und ein deutlich niedrigeres Preisniveau in vielen Dingen. Nicht ohne Grund kommen ganz viele Menschen hier her und wollen ihren Ruhestand hier verbringen.

Ansonsten liegen wir hier auch relativ günstig: der nördliche Teil des Jerichower Landes in der Nähe von Potsdam und Brandenburg, und der südliche Teil direkt an der Landeshauptstadt. Das heißt, wir haben fast alles an Infrastruktur vor der Haustür und das kann man gut und gerne mitnutzen.

... über das, was dem Jerichower Land fehlt:

Wir haben einiges an Infrastruktur nicht. Wenn wir aber das Problem der Mobilität lösen, dann ist es egal, ob wir ein eigenes Theater haben. Ich glaube, das muss man nicht überall vorhalten. Wenn ich Hochkultur genießen will, dann kann ich da hinfahren. Das brauche ich nicht im eigenen Ort.

Wenn wir allerdings den öffentlichen Nahverkehr weiter ausdünnen, braucht man immer ein eigenes Auto, um in die Städte zu kommen. Und das ist nicht für jeden möglich. Ich würde mir wünschen, dass es mal ein Bundesprogramm gibt, mit dem ganz gezielt der öffentliche Nahverkehr gefördert wird. Damit die ländlichen Regionen gut angebunden sind an die lebendigen Metropolen ringsherum. Das würde uns am meisten helfen.

Die Mobilität muss gestärkt werden, dann lassen sich die Menschen gerne hier nieder.

Landrat Steffen Burchhardt

Es gibt kritische Infrastruktur, die mir schon wichtig wäre und für die aktuell zu wenig Geld vorhanden ist. Da würde ich mir schon wünschen, dass die Gemeinden besser ausgestattet werden und sie sich um sowas kümmern können. Zum Beispiel Schwimmbäder, die sind rückläufig. Wir haben nur zwei Schwimmhallen im gesamten Landkreis. Das heißt, der gesamte Schwimmunterricht muss sich dort konzentrieren. Und die Städte Burg und Genthin ächzen natürlich auch, weil sie die laufenden Kosten bezahlen, das ist nicht wenig.

... über den Internetausbau im Jerichower Land:

Beim Thema Breitband sind wir als Landkreis im Vergleich zu allen anderen Landkreisen in Sachsen-Anhalt am weitesten. Wir werden in den nächsten Wochen den Breitbandausbau abschließen. Wir haben ein Wirtschaftlichkeitslückenmodell gewählt. Das heißt, wir haben nicht überall Glasfaser verlegt. Sondern wir haben quasi das grobe Netz aus Glasfaser; die letzte Meile aber nicht mit Glasfaser ausgebaut. Wir haben stattdessen das Netz erstmal aufgewertet, sodass alle 30 bis 50 MBit haben.

Wir haben uns deswegen dafür entschieden, weil uns klar war, dass ansonsten einige Regionen relativ gut mit Glasfaser ausgestattet werden und andere gar nicht. Wir wollten als Landkreis keinen Flickenteppich haben, sondern dass erstmal jeder ein gutes Grundniveau hat und wir als ländlicher Raum nicht abgehängt sind. Die letzte Meile muss irgendwann ausgebaut werden, das ist mir klar, aber für den Moment war das ein guter und schneller Schritt.

Viele können von zu Hause aus arbeiten. Einige Freischaffende haben allerdings das Problem, dass sie sich nicht in einem Gewerbegebiet angesiedelt haben und extreme Datenmengen hin und herschicken müssen. Da mag die bisherige Ausstattung nicht reichen. Die Gewerbegebiete haben wir separat mit Glasfaser erschlossen, die sind zukunftsfähig. Aber eben noch nicht jede Wohnsiedung.

Beim Telefonnetz haben wir noch ein wenig Nachholbedarf, da bin ich in Gesprächen mit der Telekom. Da erhoffe ich mir in den nächsten Jahren eine spürbare Verbesserung.

... über die Diskussion zu gleichwertigen Lebensverhältnissen:

Die Diskussion über gleichwertige Lebensverhältnisse ist abstrus. Es ist unrealistisch zu sagen, wir wollen tatsächlich gleiche Lebensverhältnisse schaffen. Das ist praktisch ausgeschlossen. Aber man kann bei wichtigen Zukunftsfeldern dafür sorgen, dass der ländliche Raum nicht schlechter dasteht als die Stadt.

Jeder, der hier herzieht – und wir sind da noch deutlich lebendiger als andere Regionen – jeder der in die Altmark zieht oder nach Mansfeld-Südharz, und sich da einen Vierseitenhof kauft für 'n Appel und 'n Ei, der weiß, dass er im Ort keinen Laden hat und auch keine Tankstelle. Da lässt man sich mit Absicht drauf ein, weil man sich sagt, dass das ein tolles Lebensgefühl ist. Hier gibt es Weiträumigkeit, hier gibt es Natur und günstige, interessante Liegenschaften. Wer das sucht, kann nicht erwarten, dass er in fünf Minuten alles verfügbar hat.

Aber was wichtig ist, ist eine gute Vernetzung hin zu den Zentren, die rings um uns sind. Und das ist ausbaufähig. Da ist in den letzten Jahren zu wenig Energie in die Mobilität geflossen. Da ist einfach zu wenig Geld da und das Land Sachsen-Anhalt hat das nicht als Schwerpunkt für sich gesetzt. In die Bundes- und Landesstraßen wird relativ viel investiert. Aber für die Kreisstraßen ist relativ wenig Geld da. Da müsste wieder mehr Priorität drauf gelegt werden.

... über Möglichkeiten, die Gemeinden zu stärken:

Den Gemeinden in Sachsen-Anhalt geht es insgesamt relativ schlecht. Da ist zu wenig Spielraum, es kommt zu wenig Geld in den Gemeinden an. Und das wirkt sich jetzt auch auf die Landkreise aus, weil wir ja per Kreisumlage an den Steuereinnahmen der Gemeinden beteiligt sind. Das ist eine Mangelverwaltung, da fehlt Geld im System. Immer wenn der Bund sagt, er will die Kommunen entlasten, schafft er es nicht, einen Weg zu finden, dass die Gelder tatsächlich bei uns ankommen.

Dafür würde ich werben, dass sich der Bund von dieser Länderbeziehung ein Stück weit löst. Wenn der Bund dem Land Geld gibt, dann findet das Land immer einen guten Grund, warum das Geld nicht weitergeleitet wird zu uns. Wenn man die allgemeine Finanzausstattung der Gemeinden ein stückweit stärkt, würde das dem ländlichen Raum zugutekommen.

Als Bundesrepublik sollte man außerdem ein Augenmerk auf die gesundheitliche Versorgung legen. Dass man sich Fördermaßnahmen überlegt, die dafür sorgen, dass die Gesundheitsversorgung auf dem Land gut bleibt. Wir haben keine schlechte Versorgung, aber ich sehe am Himmel dunkle Wolken aufziehen.

... über Forderungen von Wirtschaftsforschern, vor allem in Städte zu investieren:

Ich glaube, wir brauchen Stadt und Land. Natürlich müssen die Motoren laufen – denn sie strahlen positiv auf die ganze Region ab. Wir profitieren hier von der Nähe zur Landeshauptstadt Magdeburg, das ist ganz eindeutig. Aber natürlich darf man den ländlichen Raum nicht komplett abhängen.

Aber: Ich kann nicht erwarten, dass Kleinstgemeinden denselben Anspruch haben, auch ein Dorfgemeinschaftshaus zu haben. Und wenn ich ein ganz kleines Dorf habe, habe ich eben auch keine eigene Sporthalle. Das ist nachvollziehbar, dass da nicht so viel Kraft reingesteckt werden kann, um eine annähernd gleiche Infrastruktur herzustellen. Das steht auch nicht im Verhältnis zu dem Steueraufkommen, das die Leute generieren, die dort wohnen.  

Es ist kein Weltuntergang, wenn mal ein Dorf verschwindet, weil die Leute dort nach und nach wegziehen, weil sie dort nicht mehr leben wollen aus unterschiedlichen Ursachen.

Was aber nicht passieren darf: Dass man sagt, man kümmert sich grundsätzlich nicht um Mobilität, und der Breitbandausbau im ländlichen Raum ist viel zu teuer. Das wäre nicht richtig, denn die Masse von Sachsen-Anhalt ist der ländliche Raum. Man muss nicht krampfhaft um jede Siedlung kämpfen, aber der ländliche Raum wird von den Großstädten gebraucht. Denn viele wollen nicht in der Landeshauptstadt wohnen. Das muss sich gegenseitig ergänzen.

... über das, was das Jerichower Land für ihn persönlich lebenswert macht:

Wir sind damals nach Magdeburg gezogen, weil die Wege kürzer waren. Während des Studiums war das praktisch. Für uns war danach klar, dass unsere Kinder in der Natur groß werden und mit Tieren und Natur in Kontakt kommen sollen. Außerdem leben wir hier im Jerichower Land echte Nachbarschaft. Das ist für mich einer der Hauptgründe, der das Leben hier lebenswert macht. Es gibt ein Leben in Gemeinschaft, Brauchtum, Traditionen, die Menschen helfen einander. In der Großstadt dagegen war alles sehr anonym, da nimmt man sich kaum Zeit füreinander.

Außerdem kann ich meine Kinder hier ohne Sorge mit dem Fahrrad zum Sportverein oder zu Freunden schicken und sie ziehen lassen. Das würde ich in der Landeshauptstadt nicht machen. Diese Selbstständigkeit stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder.

... über die Zukunftschancen, die er für das Jerichower Land sieht:

Wenn die Punkte, die ich angeschnitten habe, beherzigt werden, gucke ich positiv in die Zukunft. Die Region hier hat gelitten, weil viele junge Leute keine berufliche Perspektive hatten und ihre Heimat teilweise auch schweren Herzens zurückgelassen haben. In den letzten Jahren merken wir aber, dass immer mehr Menschen, die hier großgeworden sind, zurückkehren. Es gehen immer weniger junge Leute weg, weil die Perspektiven jetzt da sind. Wir haben hier in fast jeder Branche freie Stellen. Es gibt mehr Lehrstellenangebote als Lehrlinge, sodass sich die meisten ihren Lehrberuf und auch die Firma aussuchen können. Das geben wir den Kids hier jetzt früh auf den Weg.

Ich ermutige die jungen Leute, im Studium oder in einem Auslandsjahr die Welt ein wenig anzuschauen. Und dann aber wiederzukommen. Oftmals wissen sie dann auch zu schätzen, was sie an ihrem Zuhause haben. Wenn die jungen Leute verstanden haben, dass sie hier sehr gut leben können, werden immer weniger abwandern. Das ist eine gute Perspektive und stimmt mich positiv für die nächsten Jahre.

Über die Autorin Kalina Bunk arbeitet seit 2015 für MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online- und in der Hörfunkredaktion. Sie schreibt für mdrsachsenanhalt.de, verfasst und spricht die Nachrichten im Radio und ist als Reporterin im Land unterwegs. Aufgewachsen ist sie in Bremen. Dort und in Madrid studierte sie Kulturwissenschaft und Germanistik. Danach war sie für mehrere private Radiosender in Bremen und Berlin tätig. An der Arbeit als Redakteurin fasziniert sie, dass jeder Arbeitstag anders aussieht und dass man täglich etwas Neues dazu lernt.

Über die Reihe "Zukunftschancen im Jerichower Land"

Welche Regionen in Deutschland haben die besten Zukunftsaussichten? Dieser Frage ist das Wirtschaftsforschungsinstitut "Prognos" nachgegangen. Verglichen wurden dabei zum Beispiel Daten zur Bevölkerungsentwicklung, zur Kaufkraft, zur Kriminalitätsrate sowie zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.

In der im Sommer veröffentlichten bundesweiten Studie schnitten die meisten Landkreise Sachsen-Anhalts nicht gut ab, darunter das Jerichower Land. Der Kreis landete auf Platz 399 von 401. Aber auch hier gibt es engagierte Menschen, die ihre Heimat schätzen und sich für eine positive Entwicklung der Region einsetzen. Um sie geht es in unserer Reihe zu Zukunftschancen im Jerichower Land.

Quelle: MDR/kb

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Juli 2019 | 15:00 Uhr

1 Kommentar

Burgabwanderung am 23.09.2019

Herr Burchhardt,
Vielen Dank für Ihren Beitrag. Ich bin einer derjenigen der in Burg aufgewachsen ist und muss gestehen das ich kaum meine Volljährigkeit abwarten konnte um das Jerichower Land zu verlassen. Es müsste so viel mehr passieren als von Ihnen aufgezählt. Grade für die jüngere Generation und junge Familien. Es gibt sehr wenige Lokalitäten, die Schartauer Strasse in Burg, ich weiss gar nicht was ich dazu sagen soll. Klar es gibt den Big Ben etc., ein paar Tage Weihnachtsmarkt wenn überhaupt. Im Jerichower Land gibt es ausserdem einige mittelständische Unternehmen die Ihre Angestellten einfach nur ausbeuten. Ist Ihnen das bewusst? Haben Sie wirklich den Finger auf dem Puls der Leute dort? Ich wünschte das es anders wäre und ja die Landesgartenschau war gut aber was nun? Ich weiss es gibt einige die das versuchen zu verändern allerdings kann ich mir wirklich nicht vorstellen das jemand der ein Studium abgeschlossen hat oder ein Auslandsjahr zurückkommen würde. Schade!

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