Das bringt der Titel Kulturhauptstadt Europas: Was Magdeburg von Breslau lernen kann

07. August 2019, 20:04 Uhr

Magdeburg möchte 2025 Kulturhauptstadt Europas sein. Unterstützung bei der Bewerbung gibt es unter anderem aus der polnischen Stadt Breslau (Wrocław). Sie hat das Titeljahr 2016 ausgerichtet und profitiert davon noch immer. Teil 5 der Serie zur Kulturhauptstadt-Bewerbung: Ein Besuch in Breslau.

Dass 2016 ein Schaltjahr war, war für den Breslauer Kulturchef Krzysztof Maj ein Glücksfall. Ein Tag mehr, um die vielen Veranstaltungen unterzubringen. Breslau war 2016 – neben San Sebastián in Spanien – eine von zwei Kulturhauptstädten Europas. Und noch heute bestimmt dieses besondere Jahr den Arbeitsalltag von Maj. Im Titeljahr und in der Vorbereitung hielt er als Direktor des Büros Wrocław 2016 die Fäden in der Hand. Heute ist er Chef der Strefa Kultury, der zentralen Kulturinstitution der polnischen Stadt.

Majs Ziel: Breslau soll den Schwung des Kulturhauptstadtjahres erhalten. Und wer durch die Gassen in der Innenstadt schlendert, gewinnt den Eindruck, dass das auch klappt. An so gut wie jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken: hübsch sanierte Gebäude, Straßenkünstler, Skulpturen, Installationen, nette Cafés, Streetart. Besucher können sich einfach treiben lassen. Einwohner und Touristen können außerdem in diesem Jahr allein im Juli und August zwischen 150 kulturellen Veranstaltungen wählen: Konzerte, Ausstellungen, Theater- und Filmaufführungen, Architektur, Literatur.

Dass das so ist, liegt an der Entwicklung der letzten Jahre. Die Stadt hat beschlossen, Kultur auch nach dem Festjahr weiter verstärkt zu fördern. Einige Projekte, die um 2016 entstanden sind, gibt es deswegen noch immer. Als Beispiel nennt Kulturdirektor Maj die Aktion "Mikrogranty". Seit 2014 bekommen lokale Initiativen in Breslau Geld – und damit Verantwortung – um ihre eigenen kleinen Projekte umzusetzen. Pro Idee gibt es umgerechnet etwas mehr als 1.000 Euro. Herausgekommen sind schon die unterschiedlichsten Dinge: Kurse, bei denen man aus Plastik etwas Sinnvolles schafft, Workshops mit Hunden, Nachbarschaftsinitiativen.

Auch das Projekt "Sąsiadujemy" soll die Gemeinschaft in Wohnvierteln stärken. Denn in Breslau gibt es nicht nur die herausgeputzte Innenstadt. Es gibt auch viele vernachlässigte Hinterhöfe und – ähnlich wie in Magdeburg – hohe Wohnblocks. Nachbarschafts-Spaziergänge, kulinarische Treffen oder auch Kunstaktionen sollen die Einwohner vernetzen.

Die Breslauer, so ist Majs Eindruck, wollen auch nach dem Kulturhauptstadtjahr aktiv bleiben. Früher sei es häufig so gewesen, dass viele zwar Lust gehabt hätten, etwas zu unternehmen – sie hätten aber nicht viel gefunden, das sie interessiert habe. Heute dagegen sei Kultur zu einem ganz normalen Teil des Lebens geworden. Kultur – damit meint Maj übrigens nicht unbedingt Hochkultur. Es gehe oft auch einfach darum, Zeit miteinander zu verbringen, zu kochen, Traditionen zu leben, sich mit anderen auszutauschen.

Marder sorgt für Eklat

Die Breslauer haben das Kulturhauptstadtjahr aber nicht immer positiv gesehen, erzählt Maj. Besonders nach der Eröffnungszeremonie war die Skepsis ihm zufolge groß. Das lag nicht zuletzt an einem kleinen Marder. Er hatte mitten in der Eröffnung ein Kabel durchgeknabbert und für einen Kurzschluss gesorgt. Die komplette Innenstadt, und damit 120.000 Menschen, waren für 40 Minuten im Dunkeln, mitten im Januar. Nicht einmal die Mikrophone funktionierten, um die Situation zu erklären. Das Kulturhauptstadtteam bekam die Verärgerung der Menschen auch im Nachhinein noch zu spüren.

Mit dem Frühling habe sich die Stimmung aber gebessert. Viele Events unter freiem Himmel hätten dazu beigetragen, so Maj: "Die Menschen wurden stolz darauf, in der Kulturhauptstadt Europas zu leben."

Insgesamt wurden im Titeljahr 2016 mehr als 4.000 Veranstaltungen auf die Beine gestellt. Ursprünglich geplant war nur etwa die Hälfte. Ein Reserve-Geldtopf hat sich als nützlich herausgestellt: Denn viele Menschen seien erst im Laufe des Kulturjahres auf die Idee gekommen, sich mit Projekten zu beteiligen. Sie konnten durch das noch nicht verplante Geld noch eingebunden werden.

Viele Menschen mit vielen Ideen – das brachte auch viele Enttäuschte. Diese Enttäuschungen zu managen, sei 2016 eine große Aufgabe gewesen, so Maj. Denn natürlich konnte nicht jedes Projekt umgesetzt werden. Auch alternative Künstler aus Breslau haben sich zum Teil nicht einbezogen gefühlt. Maj meint dazu, man könne nicht immer jeden glücklich machen. 2016 habe er versucht, die Balance zu halten zwischen Events mit großen, internationalen Stars und Veranstaltungen mit lokalen Künstlern.

Insgesamt war es für Maj und sein Team ein ziemlich intensives Jahr. Volle Terminkalender, hoher öffentlicher Druck. Seine Erfahrungen teilt er heute oft mit anderen Kulturhauptstädten, etwa mit Matera in Italien (das in diesem Jahr gemeinsam mit der bulgarischen Stadt Plowdiw den Titel trägt) oder dem ungarischen Veszprém (Kulturhauptstadt 2023). Auch mit dem Kulturhauptstadtbüro in Magdeburg steht er in Kontakt und unterstützt das Team bei der Bewerbung für das Titeljahr 2025.

Ratschlag für Magdeburg und Mitbewerber

Den Anwärtern rät Maj, genau auszuarbeiten, wie die von der europäischen Jury geforderten Kriterien erfüllt werden können. Dazu gehören zum Beispiel die Umsetzungsfähigkeit und langfristigen Ziele. In der jetzigen Bewerbungsphase sei es vor allem wichtig, die Jury zu überzeugen. Die Einwohner stünden erst danach verstärkt im Fokus.

Was nach einem Kulturhauptstadtjahr bleibt, sind im Fall von Breslau ein besseres Image und eine größere Bekanntheit der Stadt. Zu diesem Ergebnis kommen die Stadt, das Festivalbüro und die Universität Breslau in einer gemeinsamen Untersuchung. Nach Angaben der Stadt besuchten 2016 rund fünf Millionen Touristen Breslau, etwa ein Drittel davon kamen aus dem Ausland.

Die Veranstaltungen des Kulturhauptstadtjahres wurden laut EU-Kommission von insgesamt gut 5,2 Millionen Menschen besucht. Ein weiteres Fazit: Das kulturelle Programm sei 2016 innovativer und europäischer gewesen als in den Vorjahren. Der Erfolg des Kulturhauptstadtjahres sei aber auch darauf zurückzuführen, dass Kultur auch zuvor schon einen hohen Stellenwert in der Stadtpolitik gehabt habe.

Entwicklung der Besucherzahlen von Breslau

Die Statistik zeigt: Die Anzahl der Touristen steigt seit Jahren an. Die meisten Besucher kommen aus anderen Städten Polens nach Breslau und nicht aus dem Ausland. Allerdings sind die kulturellen Veranstaltungen nur zum Teil der Grund für einen Breslau-Besuch. In einer Befragung für die Universität der Stadt gaben lediglich knapp 15 Prozent der Besucher an, im Titeljahr 2016 ein kulturelles Event bei ihrem Breslau-Trip besucht zu haben.

Die Bahn macht es schmackhaft, ins Nachbarland zu reisen – zumindest von Berlin aus. Für 19 Euro verkehrt seit 2016 ein Kulturzug zwischen Deutschlands Hauptstadt und Breslau. Die Direktverbindung sollte es eigentlich nur für ein paar Monate geben – weil das Angebot aber gut genutzt wird, besteht es noch immer. Wer von Dresden aus nach Breslau möchte, muss in jedem Fall mindestens ein Mal umsteigen.

Über Sinn und Unsinn des Kulturhauptstadttitels wird gern diskutiert. Das Ruhrgebiet zum Beispiel verbinden die meisten auch nach seinem Kulturhauptstadtjahr 2010 wohl eher mit Industrie als mit Kultur. Und wer im Urlaub vor allem auf Ruhe und Entspannung setzt, sollte angesichts der steigenden Tourismuszahlen wohl eher nicht nach Breslau fahren. Für Kulturdirektor Krzysztof Maj bleibt die Ausrichtung des Titeljahres in seiner Stadt dennoch als das "größte Kulturprojekt in der Geschichte Polens" in Erinnerung. Er zitiert gern einen Satz des Regisseurs Wim Wenders:

Breslau sollte für immer Kulturhauptstadt sein.

Wim Wenders

So ganz ist das natürlich nicht möglich – aber es bleibt eine Stadt reich an Kultur.

Über die Autorin Kalina Bunk arbeitet seit 2015 für MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online- und in der Hörfunkredaktion. Sie schreibt für mdrsachsenanhalt.de, verfasst und spricht die Nachrichten im Radio und ist als Reporterin im Land unterwegs. Aufgewachsen ist die Redakteurin in Bremen. Dort und in Madrid studierte sie Kulturwissenschaft und Germanistik. Danach war sie für mehrere private Radiosender in Bremen und Berlin tätig.

In ihrer Freizeit reist sie gerne – unter anderem geht es jedes Jahr in ihre zweite Heimat Polen.

Quelle: MDR/kb

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 30. Juli 2019 | 12:30 Uhr

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