Kommentar mit Spuren von Ironie "Nichts" spricht für den Titel Kulturhauptstadt: In Magdeburg kann man trotzdem nicht meckern

28. Oktober 2020, 07:05 Uhr

Mit dem Vakuum hat Magdeburg sich um den Titel "Kulturhauptstadt" beworben. Eigentlich also mit "Nichts". Ein gewagtes Konzept. Aber Magdeburg liegt erstaunlich gut im Rennen. Prädikat: "Kann man nicht meckern". Macht MDR SACHSEN-ANHALT-Autor Leonard Schubert aber trotzdem. Wie am Ende trotzdem noch alles gut wird und was 240 Erdmänner und Oberbürgermeister Lutz Trümper damit zu tun haben, erklärt dieser ironische Kommentar.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Ganz Magdeburg stellt sich momentan nur eine Frage: Werden wir Europas Kulturhauptstadt 2025? Wirklich ganz Magdeburg? Nein! Ein Großteil der Stadt beschäftigt sich momentan vermutlich mit anderen Dingen. Und das, obwohl die Jury am Mittwoch entscheidet. Ja, diesen Mittwoch. Morgen. Heute. Jetzt. Aber warum ist das eigentlich so? Und was ist bisher passiert?

"Nichts" soll zum Titel reichen

Fangen wir mal mit der Bewerbung an: Magdeburg hat sich mit seinem Vakuum zur Kulturhauptstadt beworben. Wenn man genau darüber nachdenkt also mit Nichts. Man hätte jetzt denken können, dass die Jury von Nichts auch nicht besonders überzeugt ist. War aber nicht so. Stattdessen ist Magdeburg mit großen Fanfaren in die Endauswahl der letzten fünf gekommen und hat damit sogar Städte wie Dresden hinter sich gelassen.
Die Begründung (vom Redakteur interpretiert): "Magdeburgs Nichts bietet viel Potential, um Neues entstehen zu lassen. Das ist spannend." Aha. Ich sage mal so: Wenn ich leere Klassenarbeiten abgegeben und gesagt hätte, hier ist viel Platz, um sie mit klugen Gedanken zu füllen, hätte mein Lehrer mich nicht für das spannende Konzept und mein großes Potenzial gelobt. Da wäre ich achtkantig rausgeflogen.

In diesem Fall hat es aber funktioniert. Also Hut ab vor dieser mutigen Bewerbungsstrategie. Prädikat "Kann man nicht meckern!" würde ich sagen. Ein bisschen Glück war vielleicht auch dabei. Hätte die internationale Jury gewusst, dass "Otto" in weiten Teilen Deutschlands als Synonym für "Trottel" benutzt wird, hätte es für die Ottostadt auch ganz anders ausgehen können. Ist es aber nicht. Oder, wie Peer Steinbrück in einem legendären Interview sagte: "Hätte, hätte Fahrradkette". Für Steinbrück reichte es damals nicht zum Kanzler. Reicht es bei Magdeburg zur Kulturhauptstadt Europas?

Der Oberbürgermeister im Sturm, 240 Mal Erdmann im Mittelfeld

"Geht mich nichts an", denken Sie? Sollte es aber. Denn beispielsweise das Ruhrgebiet profitiert noch heute in großem Ausmaß von seinem Titel als Kulturhauptstadt 2010. Und zwar nicht nur die Kulturschaffenden, sondern die ganze Region hat durch den Titel sowohl ein neues Selbstbewusstsein als auch internationale Aufmerksamkeit bekommen. Damit verbunden: Ein wirtschaftlicher Aufschwung für die ganze Region. Oder, wie Magdeburgs Kulturbeigeordnete sagt: Kultur ist ein Motor der Stadt. Zudem ist für den Kulturhauptstadt-Titel ein Budget von 66 Millionen Euro eingeplant. Damit ließe sich einiges machen. Zum Beispiel könnte der FCM damit Dennis Erdmann zurückkaufen. Der ist laut Transferbörse gerade 275.000 Euro wert. Das Geld reicht also genau für 240 Erdmänner. Oder für einen halben Citytunnel. Das könnte ja für den Titel reichen. Oder?

Der Magdeburger Dom spiegelt sich in einer Scheibe auf der Magdeburg 2025 steht.
Magdeburg hält viele positive Punkte für die Jury bereit. Ob es am Ende reicht? Bildrechte: MDR/Julia Heundorf

Der Fußballfan würde jetzt wahrscheinlich sagen: "Das MUSS reichen!" Denn die Konkurrenten heißen Chemnitz, Hannover, Nürnberg und Hildesheim. Magdeburgs taktische Aufstellung: Im Zentrum eine breitgefächerte Kette aus kulturellen Akteuren und städtischen und gesellschaftlichen Initiativen, die alles miteinander verknüpfen. Im Sturm: Kapitän Oberbürgermeister Lutz Trümper, der mit den anderen Parteien gemeinsam für den Titel kämpft und die Richtung ansagt. In der Abwehr: Das Bewerbungsbüro, das mit riskanten Grätschen, klugen Flanken und unermüdlicher Laufarbeit alle Gefahren abwehrt und von hinten das Spiel aufbaut. Torwart? Brauchen wir nicht! Der Trainer: alle Magdeburgerinnen und Magdeburg, die sich mit Aktionen, Kommentaren und Verbesserungsvorschlägen von der Seitenlinie melden. Und natürlich die zahlreichen Fans, die nicht nur den Pflegekräften, sondern auch ihrer Stadt jeden Morgen aus dem Fenster applaudieren. Denn wir sind, wir sind, ein Magdeburger Kind. Oder so ähnlich.

Die Jury findet übrigens Magdeburgs Sport- und Fankultur breit und identitätsstiftend und somit sehr positiv. Vielleicht habe ich also nur deshalb eine Fußballmetapher benutzt, weil ich heimlich auch gerne den Titel hätte.

Was die Jury außer Fankultur noch gut an Magdeburg finden könnte? Vieles!

  • Magdeburgs interessante europäische Geschichte und sein großes Potential (der Titel soll Städten helfen, das abzurufen)
  • Magdeburgs zunehmende europäische Anbindung
  • Verhältnismäßig günstiger Raum für neue Kulturbetriebe und Start-Ups
  • Die Unterstützung durch alle Parteien und Bürgerinnen und Bürger für den Titel
  • Magdeburgs gutes Finanzkonzept für den möglichen Titel

Meckern muss auch sein!

Jedenfalls: Magdeburg ist in der Endrunde! Juhuu! Die Ansage für den zweiten Bewerbungsteil lautete: Der internationalen Jury zeigen, wie viele Menschen in Magdeburg die Stadt schon beleben, und wie groß damit das Potential ist, diese Stadt zu entwickeln und zu einem schillernden europäischen Kulturort zu machen.

Das klingt erstmal toll, oder? Ist es auch.

Schade, dass trotz der gezielteren Förderung und Wertschätzung viele Kulturbetriebe in Magdeburg gerade ums Überleben kämpfen oder sogar schon dicht gemacht haben. Das liegt nicht nur an den Belastungen durch Corona, sondern teilweise auch an Kommunikation und beidseitiger Einigung, wie im Falle der geschlossenen Aerosolarena. Bars, Clubs, Theater, Kleinkünstler, Techniker, Veranstaltungshäuser, Caterer, Securitypersonal, ... viele aus der Branche haben Corona-bedingt katastrophal planbare Zeiten mit nahezu null Umsätzen hinter sich. Erst am Dienstag kritisierte der Magdeburger Cellist "Prypjat Syndrom" auf Facebook erneut, dass sich beim Kampf um die Kulturhauptstadt sehr stark auf die Kulturbetriebe berufen würde, die Hilfen aber eher dürftig ausfielen.

Viele Magdeburger Kulturschaffende stimmen zu. Viele sagen aber auch: Der Bewerbungsprozess hat eine sehr positive Entwicklung mit sich gebracht, die Kommunikation habe sich extrem verbessert, viele tolle Projekte seien entstanden. Letztendlich wurde also schon sehr vieles erreicht und richtig gemacht. Und für Corona kann die Politik nun auch nichts. Aber Kritik ist trotzdem wichtig. Oder besser: Verbesserungsvorschläge. Ich habe eben einen gewissen Ehrgeiz, was die Kultur angeht. Denn mal ehrlich: Besser als Hochdeutsch-Hannover muss einfach drin sein, oder? War nur ein Spaß. Denn auch das zeigt die Bewerbung: Zusammenhalten ist wichtig! Auch zwischen den Städten. Und auch nach der Bewerbung. Egal, wie es ausgeht im Titelkampf: Magdeburg braucht eine starke Kultur und Magdeburg braucht auch eine starke Europaanbindung!

Auf einer Wand steht groß Kubus 2025, in einer Scheibe daneben spiegelt sich der Magdeburger Dom.
Immer auf einer Linie: Das Bewerbungsbüro im Kubus und der Magdeburger Dom. Bildrechte: MDR/Julia Heundorf

Abwarten und Daumen drücken

Am Mittwoch liegt es also in den Händen der Jury. Sie alle sind in die Festung Mark zur Verkündung der Jury und einer großen Präsentation eingeladen, wenn Sie möchten (jedenfalls, wenn Corona nicht noch mehr Verordnungen nötig macht, denken Sie an den Mund-Nasen-Schutz!). Trotz aller frecher Worte muss ich eins festhalten: Die Stadt hat bereits jetzt sehr viel erreicht. Darauf können wir ein bisschen stolz sein.

Einer der ersten Artikel, die ich in meinem Berufsleben geschrieben habe, endete mit dem sagenhaften Schlusssatz: "Da hilft nur: Abwarten und Daumen drücken." Ich werde noch heute dafür ausgelacht. Aber diesmal meine ich als zugezogener Magdeburger diesen Satz sehr ernst. Falls es doch nichts werden sollte: "Hätte, hätte Fahrradkette!". Aber egal, was kommt: Lassen Sie uns weiterhin zusammenhalten und gemeinsam die Stadt verschönern. Darauf freue ich mich.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Leonard Schubert arbeitet seit Februar 2020 in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Interessensschwerpunkte sind Politik, Umwelt und Gesellschaft. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF.

Nebenher arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts oder sitzt mit einem Eisbärbier am Lagerfeuer, irgendwo in Skandinavien.

Quelle: MDR/ls

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 27. Oktober 2020 | 08:30 Uhr

1 Kommentar

wolter108 am 27.10.2020

...puuhhh, dann hätten wir Glück gehabt...gibt Wichtigeres!!!

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