Folgen der Corona-Krise "Endlich raus aus dem Schmuddelimage" – Wie Clubbesitzer aus Magdeburg mit dem Lockdown umgehen

25. Mai 2020, 14:11 Uhr

Während die meisten Betriebe langsam wieder öffnen, bleiben Clubs auf absehbare Zeit geschlossen. Finanziell ist das zwar schwierig, aber es gibt auch positive Effekte. Wie Magdeburger Clubbesitzer mit der Situation umgehen und wieso DJ Henne sich von Corona nicht aufhalten lässt. Ein Einblick.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Mit einem leisen Surren geht die rote Partybeleuchtung an, die Lüftung beginnt zu brummen, der Kühlschrank erwacht mit einem kleinen Klackern zum Leben. Ein halb voller Aschenbecher steht noch auf einem Tisch und erzählt die Geschichte einer vergangenen Nacht. Zu trinken gibt es eine warme Cola. Hier, im Magdeburger Club Downtown, wo normalerweise Hunderte Menschen dicht an dicht gedrängt zu wummernden Bässen tanzen und ausgelassen feiern, sind momentan alle Sicherungen rausgedreht. "Getränke zu kühlen lohnt sich gerade nicht. Für wen denn?" sagt Marcel Koke, Mitinhaber des Clubs, entschuldigend.

Während viele Betriebe in Deutschland langsam wieder öffnen dürfen, ist für die Clubszene noch lange kein Ende des Lockdowns in Sicht. Denn das, was das Clubleben normalerweise ausmacht, sind leider auch perfekte Bedingungen für das Coronavirus. "In Clubs geht es im Prinzip um Nähe. Darum, seine Jugend zu verschwenden. Sich kennenzulernen, sich lieben zu lernen, ums Tanzen. Darum, die Sorgen des Alltags eine Weile zu vergessen, vielleicht Alkohol zu trinken, gesellig zu sein", findet Michael Conrad, Inhaber des Magdeburger Clubs Insel der Jugend. Außer, dass man sich auch im Club nicht gegenseitig anniesen sollte, liest sich das wie das Gegenteil der Corona-Schutzmaßnahmen. Für die Clubs bedeutet das, dass sie erstmal geschlossen bleiben.

Wegkommen vom Schmuddelimage

Michael Conrad hat im leeren Außenbereich seines Clubs Platz genommen, wo statt Musik gerade nur Vögel zu hören sind. Ein Pferdekopf aus Gummi liegt auf dem selbstgebauten Tresen, eine einsame Flasche Spezi steht herum, ein Bretterstapel wartet darauf, verbaut zu werden. Außer Livestreams, die man z.B. auf Facebook angucken kann, geht partymaßig gerade nichts hier. "Die Kunden und Freunde fehlen mir!", sagt Conrad. Und natürlich sei die finanzielle Situation trotz Soforthilfen gerade sehr schwer, wie für sehr viele, nicht nur für Clubs. Trotzdem habe der Lockdown auch positive Effekte. Es sei irre, was für ein Gemeinschaftsgefühl in der freien Kulturszene durch Corona entstanden sei, und dass gegenseitige Unterstützung da sei, trotz der Konkurrenz.

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Corona hat auf jeden Fall bewirkt, dass wir alle wieder miteinander reden, uns an einen Tisch setzen, und einfach auch Gedanken machen, was die Appelle von unserer Seite aus an den Staat oder an staatliche Institutionen sind, damit wir überhaupt weitermachen können. Wie zum Beispiel eine Änderung der Gewerbeordnung, dass wir rauskommen aus diesem Schmuddelimage der Vergnügungsstätten und als kulturelle Stätten anerkannt werden.

Michael Conrad

Ein Club sei eben nicht einfach nur Vergnügungsstätte, sondern ein wichtiger Ort der Begegnung und des sozialen Lernens, der für eine Gesellschaft wichtig sei. "Ich hoffe, dass die Leute das Nachtleben nicht verlernen".

DJ Henne im Wohnzimmer

Jemand, der sich von Corona nicht aufhalten lässt, ist Hendrik Saare, vielen besser bekannt als DJ Henne. Das Magdeburger DJ-Urgestein ist seit 38 Jahren im Geschäft und vielen Menschen in der Region ein Begriff. Der Mann liebt Musik und ist mit Spaß und Leidenschaft bei der Sache. Dabei hat er schon einiges erlebt. Ob Bockwurstwettbewerbe an Tankstellen, Auftritte im Hähnchenkostüm oder Musikkontrollen zu DDR-Zeiten – "schräg wars irgendwie immer wieder." Der Lockdown ist auch für "Henne" eine neue Situation. Alle Auftritte sind abgesagt. Es feiert ja niemand. Aber Henne wollte sich davon nicht aufhalten lassen.
Einem spontanen Impuls folgend klebte Henne, musikhörend in seinem Musikzimmer, einfach sein Handy mit Klebeband irgendwo fest, startete einen Livestream und ab ging's.

Einfach mal sehen, was passiert. Mir hat das einfach gefehlt: Losfahren, Auflegen, Menschen Treffen, 5 – 6 Stunden Musik anmachen, volles Rohr.

DJ Henne
Der Magdeburger Hendrik Saare, alias DJ Henne, beim Auflegen
Hendrik Saare alias DJ Henne ist DJ aus Leidenschaft. Bildrechte: Tobias Bartholomäus

Tatsächlich schalteten viele Menschen seinen Stream ein und erlebten Henne und seine gelbe DDR-Jalousie bei sich im Wohnzimmer. Momentan pausiert das Livestreaming zwar, weil der Account vorübergehend gesperrt wurde, aber "es werden sich neue Wege auftun. So lange ich Spaß dran habe und Leute mich hören wollen, werde ich als DJ weitermachen!" sagt Henne, der froh ist, durch seinen zweiten Job finanziell nicht von seinem Beruf als DJ abhängig zu sein. "Einige Leute haben gespendet, ich hab mich auch riesig gefreut. Aber die fehlenden Auftritte gleicht das natürlich nicht aus. Das war vor allem Spaß und Erfahrung" sagt er, und freut sich, irgendwann wieder richtig vor Menschen auftreten zu können.

Aufgeben zählt nicht

Bis zur Wiedereröffnung heißt es: Durchhalten. Viele Clubs werden dazu kreativ. Manche bauen ihre Außenbereiche zu Biergärten um, andere organisieren Streamingveranstaltungen oder renovieren, wieder andere suchen sich zusätzliche Nebenjobs, um irgendwie über Wasser zu bleiben. Marcel Koke, der auch noch das Espresso Kartell führt, wünschst sich dazu noch mehr Steuererleichterungen durch die Politik.

Es ist zwar toll und super, dass wir in Deutschland Maßnahmen wie Soforthilfe bekommen, aber das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heiß Stein. Das fängt die Kosten natürlich nicht auf, die wir wirklich haben.

Marcel Koke

Auch, wenn es nicht einfach ist: Beide Clubbesitzer sind zuversichtlich, irgendwann wieder öffnen zu können, um den Menschen ein Stück Unbeschwertheit und Abenteuer zu schenken – zumindest einen Abend lang.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Leonard Schubert arbeitet seit Februar 2020 in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Interessensschwerpunkte sind Politik, Umwelt und Gesellschaft. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF.

Nebenher arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts oder sitzt mit einem Eisbärbier am Lagerfeuer, irgendwo in Skandinavien.

Quelle: MDR/ls

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. Mai 2020 | 09:30 Uhr

1 Kommentar

jackblack am 20.05.2020

Schön war es in Jua und TC.

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