11. August: Wann wird es endlich wieder Sommer(loch)?

Wenn Parlament und Regierung im Urlaub sind, wird gerne das Gefühl vermittelt, die Republik werde von Schönwetterfronten regiert. Statt in die Parteizentrale wird zu großem Sommerinterview vor Urlaubskulisse geladen, und die Akteure nehmen sich mehr Zeit als sonst, um das Volk an den Gedanken teilhaben zu lassen. Dieser Sommer war jedoch ein anderer.

Als am 24. Juni in Sachsen-Anhalt die Schulzeugnisse überreicht wurden, war möglicherweise so manche Schülerin und so mancher Schüler überrascht über das Ergebnis des schulischen Mühens. Noch überraschter allerdings zeigte sich an jenem Tag das europäische Spitzenpersonal, das den Verlust eines Sternes in der europäischen Beflaggungsverordnung zu gewärtigen hatte.

Wobei das Neusticken der Europaflagge wohl ein eher geringes Problem beim anstehenden Brexit darstellen dürfte. Über die mittelfristigen Folgen ist hinlänglich und umfangreich spekuliert worden. Die Urlaubslaune der meisten Sachsen-Anhalter dürfte das britische "bye bye" ohnehin kaum tangiert haben. Zwar ist Englisch auch hier die erste Fremdsprache, doch wenn es um Städtepartnerschaften geht, dann ist das europäische Festland deutlich beliebter als das nebelverhangene Britannien.

Dabei gibt es durchaus Parallelen zwischen dem Brexit und den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, denn der AfD-Wähler und der Brexit-Befürworter teilen zumindest eine grundlegende Einstellung, nämlich das tiefe Misstrauen gegenüber Strukturen und politischen Akteuren. Und dieses Misstrauen ist besonders dort ausgeprägt, wo sich Regionen abgehängt fühlen. Der Landkreis Mansfeld-Südharz ist dem nordenglischen Stockton-on-Tees näher, als es geographisch den Anschein hat.

Mehr Nachrichtenstoff als ein Sommerloch verträgt

Doch diese Sommerferien brachten für Sachsens-Anhalts Familien noch ganz andere Fragen am morgendlichen Urlaubstisch: "Was ist ein Salafist?", "Wo liegt Nizza?", "Warum tun Menschen so etwas?". Die Attacke zum französischen Nationalfeiertag in Nizza war noch nicht aufgeklärt, da jagten bereits neue Meldungen über die Bildschirme, diesmal aus der Türkei, mit Szenen eines Militärputsches, der rasch zusammenbrach. Es folgten dann die Beilattacke von Würzburg, die Schüsse in München und der Selbstmordanschlag in Ansbach, parallel dazu die Säuberungswelle in der Türkei und nun, kurz vor Ferienende, die vorübergehende Aussöhnung zwischen Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin. Das ist mehr Nachrichtenstoff, als ein Sommerloch verträgt und so gab es in diesem Jahr leider keinen Platz für Berichte über Krokodile im Badesee, geflüchtete Kängurus, Berliner Dienstwagenaffären oder geplante Currywurststeuern.

Nach der heillosen Aufregung über die Vorfälle zum Jahreswechsel in Köln, haben die meisten Deutschen auf die Attacken in Würzburg, München und Ansbach vergleichsweise unaufgeregt reagiert, auch wenn sich AfD-Landeschef Poggenburg wieder einmal genötigt sah, die Kanzlerin für die Münchener Toten verantwortlich zu machen. Übrigens auf mentaler Augenhöhe mit dem sogenannten IS, der ja die Schüsse im Einkaufszentrum ebenfalls für sich instrumentalisierte. Inzwischen ist jedoch bekannt, dass der Täter kein Islamist war, sondern sich eher an dem rechtsradikalen Massenmörder Breivik orientierte.

Doch egal welcher wirren Ideologie die Täter zu folgen glauben, ihre Taten führen zu politischen Konsequenzen, denn die Politik ist gezwungen, zu reagieren. Der Französische Präsident Hollande kündigte nach der Attacke in Nizza an, Stellungen des IS noch stärker zu bombardieren, wobei bis heute unklar ist, ob der Täter überhaupt Kontakt zu islamistischen Gruppen hatte.

Belegt sind hingegen Depressionen des 31-Jährigen, wegen derer er in psychiatrischer Behandlung war. In jedem Fall ist die Ankündigung, die Terrormiliz zu bombardieren, politisch leichter umzusetzen als Notwendigkeit, ein Sozialprogramm für die französischen Vorstädte zu entwickeln, die inzwischen als Brutstätte für die Radikalisierung gelten.

Als in München die Schüsse fielen, warteten viele Menschen auf eine Reaktion der Kanzlerin, doch die erfolgte erst, als die Hintergründe der Tat hinreichend geklärt schienen. Am nächsten Tag, und damit für viele zu spät, drückte Frau Merkel ihr Mitgefühl aus, sah dann aber keinen Anlass, irgendeinen Landstrich bombardieren zu lassen.

Symbolpolitik auch in Deutschland

Allerdings greift nun, mit wenigen Wochen Verzögerung, die Symbolpolitik auch in Deutschland. Denn in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern stehen Wahlen an und da will nun die CDU mit einem neuen Sicherheitsprogramm die Law-and-Order-Fraktion unter den konservativen Wählern überreden, das Kreuz nicht bei der AfD zu machen, ein politscher Richtungswechsel mit ungewissem Ausgang.

Denn klar ist ja auch, dass die Attacken von Würzburg und Ansbach die Taten von Asylbewerbern waren. Bayerns Innenminister Hermann spricht in beiden Fällen von einer Selbstradikalisierung, die bei aller Unterschiedlichkeit der Fälle deutlich mache, dass die jungen Männer erhebliche persönliche Probleme hatten. Die Sicherheitspläne der CDU, nämlich Burka-Verbot, Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht und die Einstellung von fünfzehntausend neuen Polizisten werden wohl wenig daran ändern, dass junge Männer in schwierigen Verhältnissen sich selbst radikalisieren. Interessanterweise gibt es Ansätze aus Sachsen-Anhalt, die das Problem radikaler angehen, also an der Wurzel, ohne selbst auf radikale Lösungen zu setzen.

Vor zwei Wochen startet das katholische Bistum Magdeburg einen weiteren Kurs für zukünftige Flüchtlingsseelsorger. Dieses Angebot nutzen Menschen, die aus dem abstrakten Begriff der Willkommenskultur für sich selbst ein praktisches Engagement ableiten und sich als ehrenamtliche Sozialarbeiter in den Unterkünften engagieren. Das ist vor allem jetzt wichtig geworden, da sich inzwischen zeigt, dass es eine klare Zweiklassengesellschaft unter den Flüchtlingen gibt, diejenigen aus Syrien, die schnell in Integrationsmaßnahmen übernommen werden und die übrigen, die auf ihre Anerkennung warten oder, inzwischen immer häufiger, auf ihre Ablehnung. Diese Menschen, die mit großen Hoffnungen vor einem Jahr nach Deutschland kamen, sitzen zu großen Teilen noch immer in einem bürokratischen Niemandsland fest und das ist der Ort, an dem eine sogenannte Selbstradikalisierung wahrscheinlicher ist, als bei jenen Flüchtlingen, denen sich eine persönliche Perspektive eröffnet. 

Flüchtlingssozialarbeit könnte also ein wichtiger Baustein sein, um die Situation in den Heimen zu entspannen.

Dennoch gilt festzuhalten, dass das christliche Abendland auch in diesem Sommer nicht untergegangen ist, auch wenn die Warnungen der Untergangspropheten bei so manchem Zeitgenossen scheinbar auf fruchtbaren Boden fallen. Sich über die realen Ängste lustig zu machen, ist jedoch keine politische Option mehr, die Ängste aber für die eigenen politischen Ziele zu nutzen ebenfalls nicht.

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