12. März: Wo steht Sachsen-Anhalt vor und nach der Wahl? Das Projekt Aufklärung 2.0.

Schon lange haben Landtagswahlen keine solche Aufmerksamkeit gefunden wie in diesem Jahr. Dabei spielen landespolitische Themen bei dieser Wahl ganz offensichtlich keine große Rolle. Denn egal wie der Landtag zusammengesetzt sein wird, über die Flüchtlingspolitik wird in Brüssel und Berlin entschieden. Der Einfluss der Bundesländer ist vergleichsweise gering. Dennoch markiert die Landtagswahl eine politische Zeitenwende: Stehen wir vor einer neuen Politisierung?

Fest steht jetzt zumindest schon eines – ab Montag wird zurückgebaut: Hunderte Meter Kabel im Magdeburger Landtag werden dann wieder aufgerollt, Scheinwerfer verpackt und Fernsehkulissen demontiert, denn die Karawane der Ü-Wagen zieht weiter. Auch die Wahlplakate werden abgehängt und mit ihnen verschwinden die politischen Kampfparolen der letzten Wochen, denn nun gilt es, Mehrheiten zu finden.

Da wird sich so manches wohlfeile Wahlversprechen der politischen Mengenlehre beugen müssen und das ist dann nicht etwa eine Wählertäuschung, wie so mancher anmerken wird,  sondern der mühsame Alltag in einer Demokratie: Aushandeln, Kompromisse finden, nach neuen Lösungen suchen.

Dieses Modell scheint in den letzten Jahren jedoch deutlich an Zustimmung verloren zu haben, nicht nur in Sachsen-Anhalt und sicherlich nicht nur wegen der aktuellen Flüchtlingspolitik. Allerdings zeigt der sich abzeichnende Wahlerfolg der AfD, wie groß das Bedürfnis des Wahlvolks in diesem Land ist, es "denen da oben mal so richtig zu zeigen".

Das im Übrigen ist der Sinn des Wahlrechts und wäre eigentlich nicht weiter zu diskutieren, wenn dieser Urnengang sich in die Landtagswahlen der letzten Jahrzehnte einreihen würde.

Politik ohne Konflikte seit Helmut Kohl

Das allerdings tut er nicht, denn diesmal steht die Wahl für einen Wechsel in der politischen Kultur und das nicht nur in Sachsen-Anhalt: Seit der Ära Helmut Kohl, so beschreiben es westdeutsche Kommentatoren,  sei es in der Bundesrepublik üblich geworden, politischen Konflikten aus dem Weg zu gehen und das Wahlvolk keinesfalls mit Problemen zu behelligen, die möglicherweise zu Verunsicherungen führen könnten.

Dieses erfolgreiche Modell wurde nach der Wende auch auf den Osten übertragen. Erinnert sei nur an den Wahlspruch der Ost-CDU geführten "Allianz für Deutschland" im Frühjahr 1990, welcher mit der Forderung "Keine Experimente" genau ein solches Experiment in Gang setzte, nämlich die Privatisierung einer bislang staatlich gelenkten Planwirtschaft.

Es war dies auch die Zeit, in welcher der US-Philosoph Francis Fukuyama sein heftig debattiertes Buch "Das Ende der Geschichte" veröffentlichte, mit der These, dass sich nun, nach dem Ende der sozialistischen Staaten, Demokratie und Marktwirtschaft überall durchsetzen würden.

Wie wir nun ein Vierteljahrhundert später feststellen müssen, hat sich Herr Fukuyama leider geirrt.  Denn inzwischen sehen wir es nicht nur in den Fernsehnachrichten, sondern erleben es auch in den Flüchtlingsheimen nebenan, dass die Geschichte der Kriege und Konflikte keinesfalls zu Ende gegangen ist.

Und noch viel schlimmer, diese Kriege und Konflikte sind uns bedrohlich nahe gekommen. Dabei handelt es sich nicht nur um eine vorrübergehende Einschränkung der Lebensqualität, sondern um eine tiefgreifende Anfrage an unser Gemeinwesen: Was für eine Art von Deutschland wollen wir eigentlich sein?

Wir haben die politische Auseinandersetzung verlernt

Und an dieser Stelle müssen wir uns eingestehen, dass das Land der Dichter und Denker merkwürdig ungeübt in dieser politischen Alltagsdiskussion wirkt. Den Erfolg der vielen Kochshows im Fernsehen führen Medienkritiker auf den Umstand zurück, dass immer weniger Menschen selbst kochen.

So ähnlich dürfte wohl auch das verbreitete Aufkommen von politischen Diskussionssendungen im Fernsehen zu erklären sein: Wir schauen anderen beim Diskutieren zu, weil wir die politische Auseinandersetzung verlernt haben.

Diese selbst verschuldete Unmündigkeit rächt sich nun, im Freundeskreis, beim Familientreffen, auf der Arbeit - kein Ort und kein Anlass, an dem nicht diskutiert und gestritten wird und der uns deutlich macht, wie schwer es uns fällt, mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen.

Wenn man der politischen Klasse in diesem Land einen Vorwurf machen kann, dann ist es der Umstand, die apolitische Grundhaltung im Wahlvolk dankend angenommen zu haben, mit dem Versprechen, auch weiterhin das Land von Zumutungen frei zu halten. So mancher Leserbriefschreiber und Facebook-Nutzer schreibt ganz klar, sich bislang nicht für Politik interessiert zu haben, um nun ziemlich verärgert von der Politik zu fordern, sie gefälligst wieder in diesen Zustand zurück zu versetzen. 

Doch egal, ob und wo jeder an diesem Sonntag sein Kreuz machen wird, dieser Umstand der unbeschwerten, ungetrübten Politikferne war nur eine kurze Episode in der jüngeren deutschen Geschichte. Denn die politischen, sozialen und technologischen Herausforderungen werden eher zunehmen, was je nach Sichtweise mehr Chancen oder mehr Risiken in sich birgt.

Integration kann nicht in Berlin verkündet werden

Diese Rückkehr des Politischen wird auch im Magdeburger Landtag spürbar werden, egal wie die Wahlergebnisse letztendlich aussehen werden. Dabei ist es noch nicht allzu lange her, dass eine Umwandlung des Landtages in ein Freizeitparlament vorgeschlagen wurde, als Bühne für nebenamtliche Parlamentarier. Angesichts der aktuellen Herausforderungen wirken solche Ideen nicht mehr zeitgemäß. Denn die Integration, so sie denn gelingen soll, kann nicht in Berlin verkündet werden, sondern muss ihre Umsetzung in den Ländern finden.

Und natürlich wird sich unter diesen Bedingungen auch die Berichterstattung ändern, denn auch die Medien haben einen Anteil an der Entpolitisierung im Land, weil politische Themen häufig als zu komplex eingeschätzt wurden, verbunden mit der Angst, das Publikum zu langweilen. Der deutliche Anstieg der Nutzung unserer Internetseiten zeigt jedoch, dass die Menschen ein deutlich gestiegenes Informations- und Mitteilungsbedürfnis haben. "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" schrieb einst der deutsche Philosoph Immanuel Kant. Starten wir also das Projekt "Aufklärung 2.0".

Mehr aus Sachsen-Anhalt