Menschen stehen bei der Begrüßung durch das Gericht.
Das Landgericht Stendal verhandelt über den mutmaßlichen Betrug bei der Wahl 2014. Bildrechte: MDR/ R. Stremmler

Briefwahlaffäre Stendaler Ex-Stadtrat gesteht Wahlfälschung

10. Januar 2017, 20:19 Uhr

Der ehemalige Stendaler CDU-Stadtrat Holger Gebhardt muss sich seit Dienstag vor Gericht verantworten. Es geht um Manipulationsvorwürfe bei der Kommunalwahl 2014. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Vollmachten zur Briefwahl gefälscht zu haben, um so an Stimmen für sich und andere Kandidaten zu kommen. Gebhardt habe sich und anderen Kandidaten auf diese Weise fast 1.000 Stimmen verschafft. Zum Auftakt legte er ein umfangreiches Geständnis ab.

Einige Dutzend interessierte Bürger, darunter auch mehrere Kommunalpolitiker, verfolgten den einstündigen Prozessauftakt. Verteidiger Uwe Kühne verlas für seinen Mandanten eine ausführliche Erklärung mit einem Geständnis. Außerdem schilderte er den politischen Werdegang Gebhardts, der sich bei der Wahl 2014 unter einem hohen Erwartungsdruck seines "politischen Ziehvaters" Wolfgang Kühnel, des CDU-Kreisvorsitzenden, gesehen habe. Mit dem Druck habe er nicht umgehen können. Gebhardt wolle mit der Erklärung die Schuld aber nicht auf Kühnel abwälzen.

Der CDU-Kreisvorsitzende Wolfgang Kühnel war zwar nicht anwesend, sein Name spielte aber immer wieder eine Rolle: Kühnel habe sich 2014 durch einen neuen Zuschnitt der Kreistags-Wahlbezirke um sein Wahlergebnis gesorgt und bei der Wahlvorbereitung großen Wert darauf gelegt, das Wählerpotential seiner Partei durch eine intensive Werbung um Briefwahlstimmen besser auszuschöpfen. Holger Gebhardt, der nicht für den Kreistag kandidierte, wohl aber für den Stadtrat, habe daraufhin aus seinem Umfeld und aus dem verschiedener Parteimitglieder Wahlbenachrichtigungen eingesammelt, selbst von Mitarbeitern einer Spielhalle unweit seines Wohnortes.

Verdacht gekaufter Stimmen

Größere Unterstützung soll ihm dabei auch von einem Unternehmen aus der Einheitsgemeinde Bismark zugekommen sein. Gegen dessen Chefin wurde bei den Ermittlungen zum Wahlbetrug bereits wegen Falschaussage eine Geldbuße verhängt. Sie und weitere Mitarbeiter des Betriebes sollen zusätzlich als Zeugen im Verlauf des Prozesses geladen werden. Es steht der Verdacht im Raum, dass für die Beschaffung von Wahlbenachrichtigungen auch Geld geflossen sein könnte.

Gericht sieht offene Punkte

Ein Mann sitzt neben seinem Anwalt.
Rechtsanwalt Uwe Kühne (links) verlas zu Prozessbeginn eine Erklärung seines Mandanten Holger Gebhardt (rechts). Bildrechte: MDR/ R. Stremmler

Trotz der langen Erklärung blieben für das Gericht noch Fragen offen: Was sei zum Beispiel mit den Stimmzetteln passiert, fragte Richterin Henze-von Staden. Das sei ihr aus den Aussagen noch nicht klar geworden. Am ersten Verhandlungstag wollte Holger Gebhardt aber keine weiteren Fragen beantworten. Er bedaure jedoch seine Taten zutiefst, ließ er – über seinen Anwalt – das Gericht wissen.

Genauer Ablauf des mutmaßlichen Betrugs unklar

So blieb auch die Frage nach der Rolle von Holger Gebhardt im Stendaler Jobcenter unklar. Gebhardt war beim Jobcenter angestellt. Die Anklage wirft ihm vor, sich dort gezielt die Daten von Empfängern von Sozialleistungen beschafft zu haben – um mit gefälschten Unterschriften für diese dann Wahlscheine zu beantragen.

In einigen Fällen soll Gebhardt auch ganz legal an Wahlbenachrichtungen gekommen sein. Einige Wahlscheine soll er dann aber nicht den Wählern ausgehändigt, sondern selbst ausgefüllt haben. Darunter listete Staatsanwältin Kelm auch die Namen von Hardy Peter Güssau und dessen Vater Peter auf. Hardy Peter Güssau ist CDU-Stadtverbandsvorsitzender in Stendal. Nach Vorwürfen, er habe zur Vertuschung des Briefwahlskandals beigetragen, war er im Herbst 2016 vom Amt des Landtagspräsidenten zurückgetreten.

Staatsanwaltschaft lehnt milde Strafe ab

Ein Staatsanwältin sortiert ihre Akten.
Staatsanwältin Kelm will sich nicht auf einen juristischen "Deal" einlassen. Bildrechte: MDR/ R. Stremmler

Im Vorfeld des Prozesses hatte der Verteidiger mit der Staatsanwältin gesprochen, um auszuloten, ob Gebhardt bei einem Geständnis mit einem milderen Urteil wie einer Bewährungsstrafe rechnen könne.
Staatsanwältin Kelm sieht nach eigener Aussage allerdings keine Möglichkeit, sich mit einer Strafe von zwei Jahren zufrieden zu geben – auch wegen des Verhaltens Gebhardts nach der Tat. So drohen ihm bei einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Haft wegen Wahl- und Urkundenfälschung.

Kommunalwahl musste wiederholt werden

Der mutmaßliche Betrug war entdeckt worden, weil mehrere Stendaler seinerzeit im Wahllokal gesagt bekamen, sie hätten bereits per Briefwahl abgestimmt. Nach der Wahlfälschung war zunächst nur die Briefwahl wiederholt worden. Später musste die Stadtratswahl komplett wiederholt werden. Die gleichzeitig abgehaltene Wahl zum Kreistag des Landkreises Stendal wurde dagegen für gültig erklärt.

Die Recherchen von Marc Rath, Leitender Redakteur bei der "Magdeburger Volksstimme", hatten dazu geführt, dass die Stendaler Briefwahlaffäre aufgedeckt wurde. Nach dem Geständnis von Holger Gebhardt geht Rath davon aus, dass noch weitere Details ans Licht kommen. "Es zeigt sich, dass es ein System in der Stendaler CDU gegeben hat, Briefwahlunterlagen gezielt zu besorgen. Damit wurde auch der Boden dafür bereitet, dass Holger Gebhardt kriminell agiert und Unterschriften und Vollmachten gefälscht hat. Das ist in meinen Augen in der Deutlichkeit zwar anhand der Aktenlage zu sehen, aber bisher nie eingeräumt worden. Das wirft für mich und meine Recherchen natürlich weitere Fragen auf. Die immer gern geäußerte Theorie des Einzeltäters, die ist für die Fälschung vielleicht haltbar, für das ganze Umfeld aber nicht mehr. Insofern wird es sicher noch sehr unangenehme Fragen geben, die sich auch die örtliche CDU-Spitze stellen muss."

Dieses Thema im Programm: • MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 10.01.2017 | 08:10 Uhr
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