Pusten statt pieksen Forschung in der Lausitz: Atemalkoholtest könnte viele Blutproben überflüssig machen
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Wer betrunken am Steuer erwischt wird und beim Atemalkoholtest einen Grenzwert überschreitet, muss zum Bluttest. Das ist aufwendig und kostet Zeit. Experten der Hochschule Zittau/Görlitz und der Polizeihochschule Rothenburg wollen deshalb nachweisen, dass der Atemalkoholtest genauso präzise wie der Bluttest ist, damit er auch vor Gericht Bestand hat. Doch die Richter sind skeptisch.

Eigentlich könnte es ganz einfach sein: Nach dem Pusten ins Messgerät steht fest, wieviel Alkohol jemand getrunken hat. Das in Deutschland verwendete Gerät ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt geprüft und zugelassen, die Messwerte also zuverlässig. Doch ab einem Grenzwert von 1,1 Promille müssen Autofahrer trotzdem zum Bluttest. In anderen Ländern wie der Schweiz, Norwegen oder Frankreich ist dies nicht so, dort akzeptieren die Gerichte schon seit Jahren auch bei Straftaten den Atemalkoholtest. In Deutschland nicht.
Mehrjährige Forschung
Grund dafür ist das Strafrecht und die Gerichte, die den Atemalkoholtest nur bei Ordnungswidrigkeiten als Beweis zulassen, sagt Professor Dieter Müller. Der Verkehrsrechtsexperte lehrt an der Polizeihochschule Rothenburg.
Gemeinsam mit anderen Experten wie Professor Matthias Schmidt von der Hochschule Zittau/Görlitz arbeitet er seit 2015 daran nachzuweisen, dass die Werte von Atemalkohol- und Blutalkoholmessungen vergleichbar sind. Das Ziel: Den Blutalkoholtest vor Gericht auch bei mehr als 1,1 Promille durch den Atemalkoholtest zu ersetzen.
Blutentnahme hat viele Nachteile
Das würde die Arbeit der Polizeibeamten sehr erleichtern, sind sich die beiden Forscher einig. Denn in fast jeder Dienstschicht hätten die Beamten mit alkoholisierten Autofahrern zu tun. Ein Bluttest bedeute jedes Mal viel Zeitaufwand, da sie ins Krankenhaus fahren müssten, sagt Professor Müller: "Manchmal muss man stundenlang auf einen Arzt warten, der dann die Blutentnahme vornimmt." Diese Zeit könne man besser investieren, beispielsweise in mehr Verkehrskontrollen. Außerdem koste der Bluttest um die 80 Euro, der Atemalkoholtest sei kostenlos. Nicht zu vergessen, dass eine Blutabnahme immer auch ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen sei.
Unfälle unter Alkoholeinfluss
2019 gab es in Deutschland rund 35.600 Unfälle, bei denen mindestens einer der Beteiligten unter Alkoholeinfluss stand.
17.100 Menschen wurden dabei verletzt. 228 Menschen starben.
Quelle: Statistisches Bundesamt
Trinken im Dienst der Wissenschaft
Um Blutalkohol und Atemalkohol zu vergleichen, haben Dieter Müller und Matthias Schmidt in Labor- und Feldversuchen mehr als 500 Datensätze gesammelt. Sie stammen unter anderem von Studierenden der Polizeihochschule Rothenburg, die sich im Dienste der Wissenschaft unter Aufsicht betrinken durften. Dabei wurden verschiedene Tests durchgeführt und der Atemalkohol sowie der Blutalkohol gemessen. Auch freiwillige Probanden in anderen Bundesländern nahmen an den Feldversuchen teil.
Das Ergebnis ihrer Messungen hat frühere Forschungen zu diesem Thema bestätigt, sagt Professor Müller: Die Werte der beiden Testverfahren stimmen überein. Man könne in vielen Fällen also auch bei Werten über 1,1 Promille den Blutalkoholtest durch einen Atemalkoholtest ohne Bedenken ersetzen. Zudem sei die unverzügliche Messung des Atemalkohols genauer als ein zeitverzögerter Blutalkoholtest. So steht es auch im Abschlussbericht des Projektes, der demnächst vorgelegt wird.
Wir haben gezeigt, dass es eben nicht nur bei der Zulassungsstelle oder bei der Zertifizierung beim medizintechnischen Institut funktioniert, sondern es funktioniert mit echten Menschen und echtem Alkohol, egal welches Alter und Geschlecht.
Datenlage reicht Gerichten noch nicht
Doch die Gerichte und die Richter sind immer noch skeptisch, ob man die beiden Tests ohne weiteres vergleichen kann. Sie fordern noch mehr Daten und tiefergehende Forschung, auch wenn in anderen europäischen Ländern der Atemalkoholtest längst anerkannt ist. "Deutschland ist ja immer ein bisschen vorsichtig bei der Einführung von neuen Dingen", meint Professor Schmidt. Das zeige sich auch in der aktuellen Pandemie.
Sein Kollege ergänzt, dass sie Gesetzgeber und Richter nur mit guten Forschungsergebnissen überzeugen können. "Das ist der einzige Weg, den wir jetzt einschlagen können", sagt Dieter Müller. Deshalb plane man ein weiteres Forschungsprojekt, bei dem bei 3.000 Probanden in einem Laborversuch die Vergleichbarkeit der beiden Testmethoden nochmals nachgewiesen werden soll. Bei solch einer Datenlage, da sind sich beide sicher, komme der Gesetzgeber dann nicht mehr darum herum, die Ergebnisse anzuerkennen. Für das neue bundesweite Forschungsprojekt rechnen die Forscher mit Kosten von rund zwei Millionen Euro.
Quelle: MDR/vis
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 23.02.2021 | 16:30 Uhr im Regionalreport aus dem Studio Bautzen