Ein Austauschjahr mit Folgen Von Zittau nach Istanbul direkt in den 7. Himmel

08. Mai 2019, 23:04 Uhr

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt - die Redensart nach Wilhelm Busch kennt auch Clemens Krause. In Zittau entschied er sich vor drei Jahren als Student für ein Auslandssemester in der Türkei. Was als Horizonterweiterung geplant war, änderte sein ganzes Privatleben.

Ende Juni 2019 soll Schluss sein. Nach drei Jahren Schluss mit dem Pendeln zwischen Berlin und Istanbul. Dann will Clemens Krause seine Verlobte Elest aus der Türkei heiraten. "Wir werden in Deutschland sehr klein mit 30 Leuten feiern", sagt der 29 Jahre alte Bräutigam. Eine größere Feier soll es dann mit der Verwandtschaft in Malatya in der Zentraltürkei geben. Ihr gemeinsames Leben planen die beiden in Berlin.

Es ist ein bisschen klischeehaft, aber wirklich wahr: Der Austausch gab mir die Liebe meines Lebens.

Elest Gün Verlobte

All das hätte sich Clemens Krause vor vier Jahren nicht vorstellen können, als er als Student für Wirtschaftsethik und Nachhaltigkeitsmanagement am Internationalen Hochschulinstitut Zittau (IHI) überlegte, wo er einen Studienaustausch machen könnte. Spanien, Großbritannien, Polen und die Türkei standen für ihn zur Auswahl. "Es hat mich am meisten gereizt, in die Türkei zu gehen." Vier Monate sollte der Austausch mit Sprachkurs dauern, am Ende sind es sieben geworden. Am Tag des Putschversuches von Teilen des türkischen Militärs am 15. Juli 2016 lernte Krause in einem Café zufällig die zwei Jahre jüngere Elest kennen.

Ich habe eine großartige Gelegenheit bekommen, die richtige Person zu treffen, mit der ich mein ganzes Leben verbringen möchte.

Elest Gün beendet derzeit ihr Masterstudium in Management Information Systems

Zurück an seiner Hochschule in Zittau, blickte Krause auf sieben Monate voller Erlebnisse: "Der kulturelle Unterschied zu Sachsen war schon enorm. Zittau kam mir plötzlich sehr klein vor. Aber es war auch schön, wieder in Sachsen zu sein, wo vieles an der Hochschule super funktioniert."

Seine wichtigste Erkenntnis lautete: "Ich habe gelernt, die Dinge nicht einfach hinzunehmen, wie sie einem präsentiert werden, sondern selbst zu reisen und mir Eindrücke von den Menschen zu verschaffen." Selbstkritisch gibt der einstige Erasmus-Student zu, dass er vor dem Austausch viele Vorurteile gegenüber der Türkei und dem Islam hegte. "In der Türkei habe ich ein klareres Bild von den Menschen und ihrem Leben bekommen."

Ich wünsche Europas jungen Menschen, dass sie den Rest der Welt kennenlernen, solange sie noch die Chance dazu haben.

Elest Gün ihr künftiger Ehemann lief ihr als Erasmus-Student zufällig über den Weg

Krauses Eltern waren über die Beziehung ihres Sohnes anfangs "beunruhigt", fragten sich, ob sie beim Sonntagsbesuch künftig auf Schweinefleisch verzichten müssten. Schließlich waren den Krauses auf Berliner Kiez-Straßen überwiegend konservative Muslime begegnet. "Meine Freundin und ihre Familie sind sehr liberal, sie trinken Alkohol, tragen keine Kopftücher, studieren und leben so wie wir", sagt Clemens Krause.

In vielen Gesprächen habe das junge Paar den deutschen Verwandten Vorurteile nehmen können und erklärt, dass sich die Menschen in der Türkei weiterentwickelt hätten im Vergleich zur ersten Einwanderergeneration nach Deutschland. Clemens Krause sagt: "Meine Eltern sehen Elest als Tochter an."

Zwar gibt es einige Konflikte zwischen europäischen Ländern und der Türkei, aber ich glaube, dass das keine kritischen Auswirkungen auf junge Menschen hat, die im Rahmen von Erasmus reisen.

Elest Gün arbeitet neben ihrem Masterstudium als Business Analyst

Das Erasmus-Programm hat Clemens Krause weltoffener gemacht, meint er. "Ich habe dadurch gelernt, unvoreingenommener zu denken und anderen Leuten aktiver zuzuhören - auch über deren Vergangenheit." Das trage zu mehr Verständnis bei. Der 29-Jährige wünscht sich, dass Europa trotz aller politischen Probleme mit der Türkei "nicht vergisst, dass die Menschlichkeit nicht am Bosporus endet".

EU - Türkei: Beziehungen in der Sackgasse Die Türkei ist NATO-Mitglied.
44,5 Prozent des Exports der Türkei gehen in EU-Länder.
Für die EU ist die Türkei aktuell der viertgrößte Exportmarkt mit 4,4 Prozent.

1963 wurde die Türkei ein assoziiertes Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).
1987 bewarb sich das Land um die EU-Mitgliedschaft.
Seit 1999 galt die Türkei als offizieller Beitrittskandidat.

2005 wurden Verhandlungen aufgenommen. Damals wurden 35 Beitrittskapitel eröffnet, um politische, rechtliche und wirtschaftliche Standards ans EU-Regelwerk anzugleichen. Aber nur eines im Bereich Wissenschaft und Forschung wurde auch abgeschlossen.

Mit dem Ausnahmezustand, der nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 ausgerufen wurde, gelten die Gespräche als stillgelegt und abgekühlt. Die Bedenken zur Lage der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Türkei wachsen.

Quelle: Europaparlament zur Neubewertung der EU-Türkei Beziehungen

ERASMUS - was ist das? Die Europäische Union hat das Förderprogramm 1987 gestartet.
Es soll die Mobilität und Sprachkenntnisse von Studenten fördern und das Studieren in 33 Ländern ermöglichen.

Der Name erinnert an Erasmus von Rotterdam, einen Humanisten der Renaissance.

Seit 2014 gibt es das Programm ERASMUS + das für allgemeine und berufliche Aus- und Weiterbildung, Jugend und Sport. Dabei fördert die EU Praktika, berufliche Weiterbildungsmaßnahmen. Damit bekommen auch Berufstätige die Möglichkeit, mit einem Mobilitätsprojekt einen Kostenzuschuss für einen Sprachkurs im Ausland. Das Programm läuft noch bis 2020.

Quelle: Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD)

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSENSPIEGEL | 26.05.2019 | 19:00 Uhr

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