
"Lebende Bibliothek" Experiment in Chemnitz: Gespräche contra Vorurteile
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Ein Verein in Chemnitz verleiht "lebende Bücher" und will damit mehr als bloß unterhalten. Ein mutiges Experiment mit offenem Ausgang. Dabei erzählen Homosexuelle, Transgender, Menschen mit Behinderung, Muslime oder Flüchtlinge aus ihrem Leben.

Axel ist Mitte 30 und wirkt ein wenig schüchtern. Mit leiser Stimme erzählt er von sich und kommt ohne Umschweife zu Sache: "Ich bin 34 und wurde als Kind von meinen Eltern missbraucht und vergewaltigt. Seither leide ich am Posttraumatischen Belastungssyndrom, mich plagen schwere Depressionen." Diese schonungslose Offenheit frappiert, vor allem aber ist sie mutig. Axel ist eines von neun "lebenden Büchern", die am Sonnabend im Chemnitzer Kulturkaufhaus Tietz"ausgeliehen" werden können.
Wir wollen Menschen zusammenbringen, die sich so im Alltag nie begegnen würden.
Idee stammt aus Dänemark
Organisator Markus Eidam ist Chef des Vereins "Mehr Miteinander in Sachsen". Er hat die Idee der "lebenden Bibliothek" in Dänemark entdeckt. Besucher entleihen dabei kein Buch, sondern für eine halbe Stunde einen Menschen, der bereit ist, aus seinem Leben zu erzählen. Im Anschluss sind Fragen erlaubt, ja unbedingt erwünscht.
Über Facebook und im Freundeskreis haben Eidam und seine Mitstreiter ihre "Bücher" gefunden: Homosexuelle, Transgender, Menschen mit Behinderung, Muslime, Flüchtlinge. "Viele Menschen haben noch nie mit einem Transgender oder Flüchtling gesprochen. Unser Ziel ist es zu sagen, sprich mit einem. Mach Dir Dein eigenes Bild!"
Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass der Dialog mit den "lebenden Büchern" tatsächlich Berührungsängste und damit Vorurteile abbaut, sagt Eidam. Der "Bibliothekar für einen Tag" hofft daher auf zahlreiche Gespräche.
"Ich mache mit, um Vorurteile aus dem Weg zu räumen", sagt Dimon. Der junge Mann aus Syrien kam vor knapp zwei Jahren als Flüchtling nach Chemnitz und spricht sehr gut Deutsch. Sein Traum ist ein Schauspielstudium. Und dass es in Chemnitz wieder wird wie früher. Wie vor dem Tod von Daniel H. Seither habe sich die Stimmung gegen Ausländer spürbar verschlechtert, klagt er. "Ich will zeigen, dass wir nicht alle Gauner sind, sondern ganz normale Menschen", erklärt Dimon seine Motivation.
"Auf welche Toilette gehst Du?"
Auch Steve ist von der Idee der "lebenden Bücher" überzeugt. Nichts deutet auf den ersten Blick darauf hin, dass Steve vor knapp 50 Jahren als Elke zur Welt kam. Sein Thema an diesem Sonnabend: Transsexualität. Angst vor unangenehmen Fragen hat Steve nicht: "Man kann jede Frage stellen: Auf welche Toilette gehst Du? Zu welchen Ärzten? Nur mein Sexualleben geht keinen was an. Da sollen sie ihre Fantasie walten lassen und dann ist gut!", lacht er.
"Respect our books", lautet die wichtigste Spielregel für Besucher der "lebenden Bibliothek". Wird sie eingehalten, finden die Erzähler empathische Zuhörer. Und die Besucher hören Geschichten, die so nur das Leben schreibt. So profitieren beide Seiten. Wenn das Experiment gelingt, soll die Aktion wiederholt werden.
Club der lebenden Geschichten
Wann: 19. Januar 2019 | 10-18 Uhr
Wo: Stadtbibliothek im Tietz Chemnitz
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 17.01.2019 | 16:30 Uhr im Regionalreport aus dem Regionalstudio Chemnitz
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19.01.2019 22:43 Paule 36
19.01.2019 20:42 Mediator 35
19.01.2019 17:54 Udo K 34
19.01.2019 17:50 Carola 33
19.01.2019 17:16 magda urs 32
19.01.2019 16:56 Mediator an Carola (30) 31
19.01.2019 15:11 Carola 30
19.01.2019 12:25 Sachse43 29
19.01.2019 11:09 schmachulke 28
19.01.2019 10:52 Mediator 27